Pacte logement 2.0, Offensive für erschwingliche Mietwohnungen und wieso öffentliche Immobilien im privaten Markt verschwinden. Interview mit Wohnungsbauminister Henri Kox (Grüne)

„Ich werde nicht scheitern“

Grundsteinlegung für Sozialwohnungen in Esch/Alzette mit dem Luxemburger Wohnungsbauminister henri Kox (Grüne)
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 14.02.2020

d’Land: Herr Minister, im Wahlkampf 2018 erklärten alle Parteien, dass im Wohnungsbau Notstand herrscht. Der Koalitionsvertrag der Regierung verspricht eine „action concertée“. Gilt das noch?

Henri Kox: Das gilt nach wie vor. Wir müssen dringend den gesetzlichen Rahmen anpassen. Endlich soll eine gezielte Wohnungsbaupolitik definiert werden, und die werde ich auch definieren.

Allein zwischen Frühjahr 2018 und 2019 stiegen die Wohnungspreise im Landesschnitt um elf Prozent. Laut Observatoire de l’habitat ging das seitdem so weiter. Wollen Sie die Preise senken oder stabilisieren?

Die Preise steigen, weil Luxemburg weiterhin boomt und die internationale Finanzpolitik dazu führt, dass viel Geld auf dem Markt ist. „In Stein“ zu investieren, verspricht hohe Erlöse. Die Folgen sieht man nicht nur bei uns, sondern in den meisten europäischen Großstädten. In Luxemburg galten dafür leider bis vor kurzem noch zusätzliche Anreize.

Welche denn?

Zwischen Mitte 2016 und Ende 2018 erhielt, wer Wohnungen oder Bauland auf den Markt brachte, den Mehrwert nur zum Viertelsatz besteuert. Es gab mehr Transaktionen, von der Steuererleichterung wurde gerne profitiert. Mehr Abtretungen an die öffentliche Hand aber gab es kaum. Die Politik der Nachfrageförderung war also weitergegangen und ließ die Preise vermutlich zusätzlich steigen. Das darf es nicht mehr geben. Wir wollen konsequent das Angebot fördern – das im erschwinglichen öffentlichen Wohnungsbau.

Wollte die vorige DP-LSAP-Grüne-Regierung das nicht auch?

Ja, und sie hat auch große Projekte initiiert oder weiter vorangetrieben: in Wiltz, in Düdelingen, auf dem Kirchberg, auf den Industriebrachen in Schifflingen und Esch. Wir wollen weitergehen und den öffentlichen Wohnungsbau massiv fördern. Wir müssen richtig viel Geld in die Hand nehmen. Und den gesetzlichen sowie den steuerlichen Rahmen anpassen, damit die Richtung stimmt.

Mehr zu bauen, wird aber Zeit kosten. Unterdessen wächst die Einwohnerzahl vermutlich weiter. Wie wäre es, schnell Einfluss zu nehmen und die Mietpreise auf dem privaten Markt zu deckeln? Im Koalitionsvertrag steht ja, der Mietmarkt werde „kontrolliert“.

Wir haben bereits eine Mietpreisbremse: die fünf Prozent vom investierten Kapital. Sie funktioniert aber nicht richtig und ist nicht transparent genug. Deshalb wird das Mietgesetz geändert, daran arbeiten wir. Damit möchte ich auch erreichen, dass die kommunalen Mietkommissionen korrekt arbeiten.

Glauben Sie, dass dann viele vor die Mietkommission ziehen werden? Wer das tut, fliegt doch wahrscheinlich aus seiner Wohnung, denn es gibt genug Anwärter, die mehr zu zahlen bereit wären.

Dem müssen wir bei der Gesetzesänderung Rechnung tragen. Aber abgesehen davon muss die öffentliche Hand auf dem Mietmarkt viel präsenter sein. Wir müssen dem freien Markt eine massive öffentliche Angebotspolitik entgegenhalten. Prioritär mit dem Fonds du logement und der SNHBM, darüberhinaus mit den 102 Gemeinden, denn das macht
102 Wohnungsbaugesellschaften.

Vom Pacte logement 2.0 ist schon die Rede. Weshalb sollen 102 Gemeinden bauen lassen und nicht die größten? Die, die besonders gut an den öffentlichen Transport angebunden sind und kritische Massen nötig haben, damit die kommunalen Dienstleistungen effizienter eingesetzt werden können, aber auch das Leben dort interessanter wird?

Deshalb habe ich die Umsetzung des Pacte logement 2.0 mit großen Gemeinden zu diskutieren begonnen. Ich war in Differdingen, in Düdelingen und in Esch. Nach Luxemburg-Stadt gehe ich demnächst. Aber wir haben im ganzen Land 2 900 Hektar Bauland in den kommunalen Perimetern. Ich werde nicht morgen verlangen, die zu verkleinern. Im Umkehrschluss heißt das, dass wir die Perimeter auch nicht vergrößern, oder nur da, wo es sinnvoll ist: Weil eine gute Anbindung an den öffentlichen Transport besteht oder die öffentliche Hand dort schon zusammenhängende Flächen hat.

Sie selber hatten im Wahlkampf beklagt, dass über den ersten Wohnungsbaupakt nur vier Prozent der staatlichen Ausgaben in den Wohnungsbau durch die Gemeinden flossen. Wie wollen Sie das ändern?

Der erste Pakt belohnte Einwohnerzuwächse, ganz gleich ob sie durch öffentlichen oder privaten Wohnungsbau möglich wurden. Das Geld vom Staat stand für begleitende Investitionen zur Verfügung: für Schulen, Sportstätten, Kläranlagen und so fort. Die sind nötig, wenn die Einwohnerzahl wächst. Über den Pacte 2.0 aber wird es Geld dafür nur geben, wenn gleichzeitig auch erschwinglicher öffentlicher Wohnraum gebaut wurde. Eine Gemeinde muss entweder selber in erschwinglichen Wohnungsbau investieren oder einem anderen Träger helfen, erschwinglichen Wohnraum zu schaffen, sei es zum Beispiel der Fonds du logement, gemeinnützige Vereinigungen oder der Kierchefong. Dann erhält die Gemeinde pro Wohnung einen Betrag X – aber nicht überwiesen, wie früher, sondern das Geld wird hier auf einem Konto stehen. Abgerufen werden kann es entweder für Schulen, Kinderkrippen und so weiter, oder für Investitionen in die Steigerung der Wohnqualität in den Quartiers. Ganz wichtig und neu im Pacte logement wird der „Conseiller Logement“, den jede Gemeinde zur Verfügung gestellt bekommt. Mit seiner Hilfe muss jede Gemeinde eine kommunale Wohnungsbaustrategie entwickeln, um Anrecht auf eine Finanzhilfe im Rahmen des Pacte logement 2.0 zu erhalten.

Über den ersten Pakt gab es auch Geld unmittelbar für den Wohnungsbau, wenn auch am Ende nicht viel dafür abgerufen wurde. Wenn es künftig nur Geld für begleitende Investitionen in Infrastrukturen oder Wohnqualität geben kann – fehlt den Gemeinden dann nicht Geld zum Wohnungsbau?

Nein, dafür gibt es seit 1979 das Wohnungsbau-Beihilfengesetz. Grundstückserwerb und Wohnungsbau werden zu 75 Prozent staatlich bezuschusst, Planungskosten zur Hälfte. Wohnungen für Studenten werden ebenfalls zu 75 Prozent subventioniert und Strukturen für Asylsuchende finanziert der Staat zu hundert Prozent. All das bleibt so. Hinzu kommt, dass der Staat die Gemeinden planerisch und logistisch unterstützen wird. Neu ist aber auch, dass bezuschusste Mietwohnungen nicht wie bisher nach 20 Jahren zum Marktpreis verkauft werden dürfen, sondern frühestens nach 40 Jahren. Konventionen über 20 Jahre schließt das Wohnungsbauministe-
rium keine mehr ab. Wir müssen öffentlichen Wohnraum länger im öffentlichen Segment halten. Dass er bisher zu schnell im Privatmarkt verschwand, ist Teil des Problems, das wir haben.

Kommt ein Bauträger auf seine Kosten bei 40 Jahren?

Darüber habe ich unter anderem auch mit dem Erzbischof diskutiert, was den Kierchefong angeht. Gelten 40 statt 20 Jahre, fallen Kosten für Erhalt und Renovierung der Wohnung an. Die werden wir subventionieren, das ist kein Problem.

Sie sprechen von „erschwinglichem Wohnraum“. Was genau ist das?

Die Conditio sine qua non! Im Moment ist von „erschwinglichem Wohnraum“ nur im Kommunalplanungsgsetz die Rede: Errichtet ein privater Promotor mehr als 25 Wohneinheiten, müssen zehn Prozent davon „erschwinglich“ abgegeben werden. Was das ist, regeln Promotor und Gemeinde in einer Konvention. In der Praxis werden diese Wohnungen vielleicht 20 Prozent unter dem Marktwert verkauft. Ich will erreichen, dass sie generell an die öffentliche Hand verkauft werden. Dazu muss das Gesetz geändert werden. In Zukunft wollen wir zwischen „Logement abordable“ (erschwinglich) unterscheiden im Falle von subventionierten Mietwohnungen, sowie „Logement à coût modéré“ für subventionierte Wohnungen, die in Erbpacht verkauft werden. Beim erschwinglichen Wohnraum sollen Mieter maximal ein Drittel ihres verfügbaren Einkommens für Wohnzwecke ausgeben.

In den Zones prioritaires d’habitation‚ die der Plan sectoriel Logement auflistet (siehe S. 24), sollen nicht nur zehn Prozent aller Wohnungen erschwinglich sein, sondern 30 Prozent. Wollen Sie das verallgemeinern?

Das ist politisch noch nicht entschieden. Wenn es nach mir ginge, wären es generell 30 Prozent. Aber selbst wenn es am Ende nur zehn Prozent wären, abgesehen von den Großprojekten: Wenn dieser Anteil in Zukunft nicht mehr in den Privatmarkt übergeht, hätten wir schon was erreicht. Erreichen will ich auch, dass Gemeinden kein Bauland mehr verkaufen und Wohnungen nur in Erbpacht, aber nicht en pleine propriété mit dem Grundstück.

Fällt das nicht unter die Gemeindeautonomie?

Ja, verbieten kann ich das heute nicht, das liegt im Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. Ich kann nur sagen, dass ich das nicht gut finde.

Geht es dabei um Bauland, das Gemeinden mit 75 Prozent Zuschuss vom Staat gekauft haben?

Um Himmelswillen, nein. Das sind Grundstücke, die die Gemeinden selber erwerben. Aber auch ihr Verkauf auf dem freien Markt entspricht nicht meinem Verständnis von Allgemeininteresse, wenn wir das Angebot an öffentlichem Wohnraum massiv steigern wollen. Deshalb werde ich der Gemeindeautonomie, was diesen Punkt angeht, das Allgemeininteresse entgegensetzen und anregen, dass es künftig besser geregelt wird. Die Reform des Gemeindegesetzes bietet dafür die Möglichkeit. Wir dürfen das öffentliche Segment nicht schwächen. Der Bedarf nach erschwinglichen Wohnungen reicht bis in die Mitte der Gesellschaft.

Was folgt aus diesem hohen Bedarf praktisch?

Ich kenne den Bedarf noch nicht in seinem vollen Umfang, wir arbeiten an der Erhebung. Fest steht schon, dass die Akteure besser definiert werden, Promoteurs sociaux und Bailleurs sociaux. Promoteurs sociaux werden all die, die erschwinglichen subventionierten Wohnraum schaffen. Bailleurs sociaux verwalten und vermieten ihn: die Gemeinden, der Wohnungsbaufonds, die Caritas und so fort. Heute bestehen dort überall Wartelisten. Die werden in einem nationalen Register zentralisiert, natürlich mit Datenschutz. Klopft bei einem Bailleur social jemand an, der eine Wohnung sucht, prüft der zunächst, ob der Antrag berechtigt ist. Wenn ja, überprüft der Bailleur die Person im Register und versucht sie in einer Wohnung eines Promoteur social unterzubringen, am besten in der Nähe des Ortes, wo der Interessent wohnt. Wir müssen noch klären, welcher Personenkreis dafür in Frage kommt. Wie gesagt: Der Bedarf reicht bis in die Mitte der Gesellschaft. Wie ich schon sagte, gehen wir davon aus, dass in einer erschwinglichen Wohnung 33 Prozent des verfügbaren Einkommens für Wohnzwecke herangezogen werden können. Das kann ein Révis sein, aber auch ein höheres Einkommen – wir wollen soziale Mischung. Wir möchten auch den Verkauf öffentlicher Wohnungen in Erbpacht regeln und Brücken von der Miete hin zu solchem Eigentum schaffen.

Wie viel soll der Staat sich all das kosten lassen?

Ich möchte im Wohnungsbau eine Investitions offensive wie im öffentlichen Transport. Dieses Jahr haben wir 134 Millionen Euro zur Förderung von Baulandkauf, Bau und Renovierung im Staatshaushalt stehen. Das muss steigerungsfähig sein. Wenn wir das verdreifacht bekommen, könnten wir einiges machen.

Es heißt aber, die Baubranche sei am Limit.

Ich war auf dem Neujahrsempfang der Bauunternehmer, der Fête des entrepreneurs. Ihr Präsident Roland Kuhn sagte dort: „Sobald ihr uns ruft, liefern wir!“ Engpässe gibt es nur in einigen Gewerken.

Kaufen Wohnungsbau- und Finanzministerium schon gemeinsam Land auf? Das soll ja geschehen, aber im Staatshaushalt steht dafür keine Riesensumme.

Dieses Jahr sind es drei Millionen Euro, aber als crédit non-limitatif. 2019 stand dort zunächst der symbolische Betrag von 100 Euro, aber am Ende kauften wir für 5,6 Millionen.

Kommen Sie damit weit genug, wenn auf Landesebene keine Steuer die Spekulation bremst? Interessanterweise scheint es dafür eine politische Mehrheit zu geben, wenngleich eine ohne die DP.

Wenn man genau hinschaut, gibt es auch mit der CSV keine – um das einfach mal zu sagen. Wichtiger finde ich, über eine Steigerung des Zehn-Prozent-Anteils erschwinglicher Wohnungen an größeren privaten Projekten politisch zu diskutieren.

Könnte eine solche Steuer der Staatskasse nicht auch Mittel für die Bauoffensive zuführen, die Sie sich wünschen?

Unter anderem deshalb steht im Koalitionsprogramm, den Mehrwert zu besteuern, der sich ergibt, wenn in einem kommunalen Flächennutzungsplan Grünland in Bauland umgewidmet wird. Das ist nicht etwa vom Tisch. Eine gewisse Belastung der Flächen soll sich mit der Grundsteuerreform ergeben: auf Baulücken, die nicht bebaut werden, auf brachliegendes Bauland und so weiter.

Das heißt, es werden neue Flächenkategorien für die Grundsteuer definiert, wie es heute die Kategorien B1 bis B6 gibt?

Bei der Grundsteuerreform ist die Innenministerin federführend. Ich kann Ihnen sagen, dass eine Formel existiert, die derzeit getestet wird. Klar ist: Wer eine Fläche mit seiner Familie besitzt, soll nicht sehr belastet werden, wer dagegen bewusst zwei, drei und mehr Flächen liegen lässt, stärker. Das wird ein ganzes Paket. Die Regierung diskutiert auch, wie mit den Immobilien-Investitionsfonds, den FIS, umgegangen werden soll, und wir überprüfen sämtliche Unterstützungen für Eigenheime: Wenn wir das Angebot statt der Nachfrage fördern wollen, brauchen wir ein neues Gleichgewicht. Fest steht, dass wir uns dafür keine Jahre mehr geben. Es soll dieses Jahr klar sein. Das erfordert politische Entscheidungen. Ich diskutiere gerne mit.

Das heißt, anders als der Lénk-Abgeordnete David Wagner sagt, „Henri Kox wird scheitern“, kann man bis zum Ende der Legislaturperiode damit rechnen, dass ...?

Ich werde nicht scheitern. Ich werde alle Gesetze in meinem Ressort, die zu mehr Angebot führen, bis dahin reformiert haben. Das verschwindet nicht in der Schublade. Wohnungsbaufonds und SNHBM werden massiv bauen. Der Wohnungsbaupakt bekommt klare Kriterien. In drei Jahren sieht die Wohnungsbaupolitik anders aus als heute: zielorientierter, öffentlicher, erschwinglicher und nachhaltiger.

Peter Feist
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