Während die Geburtsmedizin chronisch unterbesetzt ist, wird der Ruf nach Selbstbestimmung lauter. Ein Verein macht sich nun für die Gründung eines Geburtshauses stark

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne

d'Lëtzebuerger Land vom 08.07.2022

Wer in den Wehen liegt, hat keine Nerven dafür, es zu hören, aber es hat etwas Kosmisches, ein neues Leben in die Welt zu setzen. Sich jeglicher menschlicher Kontrolle entziehend bahnt sich ein neues kleines Wesen seinen Weg in die Welt. In Luxemburg gebären die allermeisten Frauen im Krankenhaus, da es neben der Hausgeburt keine andere Möglichkeit gibt. Wer sich eine Geburt im Geburtshaus wünscht, von einer Hebamme begleitet und ohne medizinische Interventionen, muss ins saarländische Merzig fahren und die Kosten der Geburt selber tragen. Das wird sich vielleicht in Zukunft ändern, im April wurde die Asbl Gebuertshaus Lëtzebuerg gegründet, mit dem Ziel, eine maison de naissance hier zu etablieren.

Umringt von Maisfeldern und waldigen Hügeln empfängt Laure Baumann in ihrer Praxis in Eppeldorf. Sie ist selbstständige Hebamme, Mutter von drei Kindern und Mitgründerin von Gebuertshaus Lëtzebuerg. Ihr dreijähriger Sohn sitzt auf ihrem Schoß, dreht seinen blonden Schopf schüchtern zur Seite. An der Wand hängt ein Poster für therapeutische Frauenmassage, zwei Babypuppen sitzen auf dem Sofa, von der Decke hängt ein Plüsch-Storch. „Wir wollen den Menschen die Wahl lassen, wo sie entbinden“, sagt sie. In Luxemburg sei das im Gegensatz zu den Nachbarländern immer noch nicht der Fall. Seit Februar dieses Jahres haben die Luxemburger Hebammen einen Tarif, der außerklinische Geburten übernimmt, allerdings fehlen eine politische Genehmigung und finanzielle Unterstützung für eine solche Struktur.

„Die Leute glauben, wir würden damit unnötige Risiken eingehen, dabei geht es um risikofreie Schwangerschaften und physiologische Geburten“. Als Ausschlusskriterien für eine Geburt im Geburtshaus führt Laure Baumann Mehrlingsgeburten, Beckenendlagen, Schwangerschaftsdiabetes, hohen Blutdruck und Blutgerinnungsstörungen an; oder Frauen, die bei vorhergegangenen Geburten Komplikationen hatten. Die Gefahr zu suchen, sei absolut nicht ihr Anliegen: „Wir wollen reale Komplikationen in der Geburtshilfe nicht ausblenden.“ Stattdessen würde für die Frauen, die es wünschen und bei denen es möglich ist, im Geburtshaus eine ganzheitliche Betreuung während der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettzeit angestrebt. Und Unterstützung, diese Lebensphase selbstbewusst und selbstbestimmt zu leben. Auch das Elternwerden an sich. Aber am wichtigsten ist wohl das Versprechen einer 1:1 Betreuung während der Geburt.

Die chronische Unterbesetzung in den Krankenhäusern und die immer größer werdende administrative Arbeitslast erschweren derzeit die eigentliche Geburtsbetreuung für etliche Hebammen. Manche berichten von fünf bis sechs zeitgleichen Entbindungen. „Das hat Konsequenzen, die die gesamte Gesellschaft betreffen. Einen guten Start und eine optimale frühe Eltern-Kind-Bindung ist unumgänglich; es ist eben nicht egal, wie ein Kind auf die Welt kommt“, sagt Laure Baumann. Viele Hebammen verlassen die Geburtskliniken und machen sich selbstständig. Das Geburtshaus sollte Laure Baumann nach dennoch in der Nähe einer bestehenden Geburtsklinik sein, damit ein optimaler Austausch möglich wäre, auch bei etwaigen Komplikationen.

Natürlich habe sich einiges verändert, was die Versorgung angeht, sagt Danielle Federspiel-Haag, Hebamme und Mitglied in der ALSF (Association luxembourgeoise des sages-femmes). „Historisch hat die katholische Kirche eine große Rolle in unseren Krankenhäusern gespielt. Heute gibt es kaum mehr Schwestern, sondern Manager, alles wird ökonomischer betrachtet.“ Aber generell habe es einen Wandel gegeben, die Frauen würden heute deutlich mehr respektiert. Auch, wenn es darum geht, wie jemand eine Geburt erlebt und empfunden hat.

In Luxemburg machen sich Doulas ebenfalls für selbstbestimmte Geburten stark. Doulas, aus dem Altgriechischen für Dienerin, sind Frauen, die Geburten begleiten. Viele werdende Mütter erfreuen sich dieser psychologischen Unterstützung. Medizinisch geschult sind die Doulas nicht. Ihre Internetpräsenz ist oft ästhetisch sehr um Harmonie bemüht, es gibt natürliche Farben, Referenzen an die Natur, Bäume und Blumen, Babys die friedlich im Fruchtwasser schwimmen. Neben Betreuungen vor, während und nach der Geburt, findet man auch „Womb healing workshops“ und Einladungen zu Frauen-Heilkreisen, wo man sich in seine „weibliche Urkraft“ hineinspüren kann. Bei einer Reihe von alternativen Geburtsvorbereitungskursen wird zum Teil Medizinskepsis vermittelt, die auch in regelrechter Angst vor etablierter Krankenhausmedizin münden kann. Der Fokus auf „Natürlichkeit“ kann zu einer neuen Leistungsnorm werden. „Do muss een heiansdo e bëssen op d’Brems trieden“, sagt Laure Baumann dazu.

Im April, nach der Schließung der Ettelbrücker Maternité, fragte die Abgeordnete Carole Hartmann (DP) die Gesundheitministerin Paulette Lenert (LSAP), wie sie einer Unterscheidung zwischen pathologischen und physiologischen Geburten gegenüberstünde, und ob sie generell die Idee eines Geburtshauses unterstützen würde. Die Ministerin begann zunächst aufzuzählen, wie wenig außerklinische Geburten es gäbe, dann sprach sie über maximale Sicherheit, über Komplikationen, bei denen jede Minute zählt. Eine natürliche Geburt sei „jo schéin, ech wënschen se jidderengem“, aber es ginge eben oft um Minuten, um Leben und Tod. Die Wahl des Geburtshauses als Entbindungsort stellte sie eher als Zwang dar, in Ländern, in denen es viele Versorgungswüsten und weit und breit keine Krankenhäuser gäbe. In 2020 gab es in Deutschland 113 Geburtshäuser, viele davon in großen Städten.

Tatsächlich kann man die außerklinischen Geburten hierzulande als „marginal“ bezeichnen: Im Jahr 2021 zählte man 6 690 Geburten, davon kamen 6 481 in einem Krankenhaus zur Welt, 15 wurden zu Hause und 194 im Ausland geboren. Allerdings hat bis vor Kurzem auch nur eine Hebamme die Hausgeburt sehr ausgewählt angeboten, mittlerweile sind es vier.

„Luxemburg ist gut am Kommen“, sagt die verantwortliche Hebamme Manuela Klein am Geburtshaus Merzig, sie klingt vergnügt. Jeden Monat entbinden zwei Luxemburgerinnen bei ihr und es wären deutlich mehr, wenn sie mehr Plätze zu vergeben hätte. Die Verlegung wegen Komplikationen ins Krankenhaus nebenan könne sie nicht beziffern, sie sei aber „sehr selten“. Die Anfragen aus Frankreich seien ebenfalls in den letzten Jahren deutlich gestiegen.

Jeanne etwa wollte 2019 für ihre erste Schwangerschaft ins Geburtshaus Merzig, weil sie in einer heimeligen Umgebung entbinden wollte. Sie kannte beide Welten durch Praktika und eine 1:1 Betreuung war ihr wichtig. „Nach diesem rite of passage nicht mit meinem Vornamen angesprochen zu werden, sondern Maman genannt zu werden, wollte ich absolut nicht.“ Das sei ihr aus den Geburtskliniken erzählt worden. Doch bei dem wichtigsten Moment in ihrem Leben wollte sie bei jemandem sein, der sich Zeit nehmen kann. „Letztendlich übernahm die Medizin, mein Sohn war 16 Tage über dem errechneten Termin. Die Hebamme konnte mich nicht weiterbetreuen und ich ging in die Klinik.“ Zufrieden sei sie dort letztlich auch gewesen, weil es relativ ruhig war, als ihr Kind geboren wurde.

Sandra (richtiger Name der Redaktion bekannt) wünschte sich nach zwei klinischen Geburten, die erste davon traumatisch, ebenfalls einen anderen Rahmen. Eine Hausgeburt hatte sie immer schon gereizt, außerdem störten sie die Kontrollen im Krankenhaus, die durch die Pandemie hinzugekommen waren. Im Vorfeld habe sie fast niemandem davon erzählt, damit sie nicht verunsichert werde. Sie ist zufrieden mit der Erfahrung. „Eine Geburt außerhalb des Systems bleibt eine Geburt – es tut weh, genauso viel wie im Krankenhaus“, lautet ihr Fazit.

Eine Geburt, egal wo sie stattfindet, ist eine Naturgewalt, sie lässt sich nicht planen. Die spätmoderne Welt, technologisiert, kontrolliert und durchgetaktet, hat Schwierigkeiten, die Wildnis, die dem Geburtsprozess innewohnt, zuzulassen. Die moderne Medizin, mit ihren weißen Kitteln, blinkenden Monitoren, CTGs und Wehentropf, steht dieser Enthemmung entgegen. Sie verkörpert in dieser Debatte die Sicherheit, und mit ebendieser Sicherheit rettet sie auch Leben, in Situationen, in denen die „Natürlichkeit“ versagt. Der Kaiserschnitt ist eine Errungenschaft, Frauen, die ein kleines Becken und ein großes Kind im Bauch haben, müssen heute nicht mehr sterben, Komplikationen in der Schwangerschaft können früh erkannt und dementsprechend schnell behandelt werden. In 1950 lag die Kindersterblichkeitsrate – das Verhältnis zwischen Babys, die vor ihrem ersten Lebensjahr versterben, und allen Lebendgeburten – bei 49,2 pro Tausend, letztes Jahr bei 4,7. Das liegt natürlich an der verbesserten medizinischen Versorgung und der Einführung von Klinikgeburten.

Anruf bei Dr Marc Peifer, Gynäkologe. „Diskussionen um Gewalt in der Geburtshilfe haben bei manchen Frauen dazu geführt, dass sie das Krankenhaus fürchten“, sagt er. Was außerklinische Geburten angeht, sei er von einer Hausgeburt nicht überzeugt, das Restrisiko sei zu hoch. Ein Geburtshaus sei etwas anderes, weil die Strukturen dort mehr ermöglichten. Doch ob ein Geburtshaus eine 1:1 Betreuung stets garantieren könne, bliebe in der Praxis noch zu beweisen. „Ob man dem Personalmangel damit beikäme, sei dahingestellt. Wenn es ordentlich organisiert ist, wir im Krankenhaus nicht die großen Komplikationen und später die Schuld bekommen, wenn etwas schiefläuft, dann ist es ein Weg, über den sich reden lässt.“ Allerdings sieht er die Lösung eher darin, die Geburtskliniken personell aufzurüsten, damit keine Stunden mit Dokumentationsarbeit verloren gingen – Stunden, in denen man nicht bei der Patientin sein kann.

Die einen fürchten sich vorm Kranken-, die andern vorm Geburtshaus. Wie bei so vielen gesellschaftlichen Themen, an denen sich die Geister scheiden, geht es um viel Grundlegenderes. Um Vertrauen, um Kontrolle und Sicherheit. Auch um die Fragen: Was ist mir wichtig, wie will ich leben, als Mutter, als Eltern? Wie soll mein Kind aufwachsen? Die Geburt ist der Nullpunkt, an dem diese Frage an Bedeutung gewinnen.

Politisches Interesse am Thema haben bisher jedenfalls fast alle Parteien gezeigt, Termine sind vereinbart, sagt Laure Baumann. Auch mit der Gesundheitsministerin Paulette Lenert. Wer sich für das Wahljahr 2023 die Unterstützung des Projektes Geburtshaus auf die Fahnen schreiben wird, bleibt abzuwarten.

Sarah Pepin
© 2024 d’Lëtzebuerger Land