Leitartikel

Elternurlaub GTI

d'Lëtzebuerger Land du 29.06.2018

Der Liberalismus war hierzulande im 20. Jahrhundert eine Zweckheirat aus Schmelzherren und Geschäftsleuten, die sich wegen ihrer unterschiedlichen Interessen wiederholt schieden und dann wieder zusammenrauften. Der Sozialpolitik galt deshalb nie sein besonderes Interesse, es sei denn als stets für übertrieben gehaltene Kostenfaktor für Industrie und Handel.

Deshalb konnte es etwas überraschen, dass die DP 2013 erstmals in ihrer Geschichte das Familienressort übernahm. Wo die Familienpolitik doch traditionell die Spezialität der CSV ist, die sich dort in der horizontalen Umverteilung übt, wenn die LSAP in der Sozialpolitik die vertikale Umverteilung versucht. Aber die DP hatte diesmal eine Vorstellung von liberaler Familienpolitik: Sie wollte nicht weiter die den Christlich-Sozialen teure Dreifaltigkeit von Kinder, Küche, Kirche stützen, sondern die jungen Mittelschichtenfamilien „in der Rushhour des Lebens“ fördern, die sie im Wahlkampf zu ihrer bevorzugten Wählergruppe erklärt hatte.

Im ersten ungestümen Elan, den sie damals mit Xavier Bettel und Maggy Nagel teilte, hatte Familienministerin Corinne Cahen forsch angekündigt, in der Familienpolitik aufzuräumen. Und tatsächlich taufte die Regierung die Familienzulagenkasse in Zukunftskeess um und strich im Zuge ihres Zukunftspak verschiedene Familienzulagen zusammen, was CSV und ADR seither mit vereinten Kräften als Angriff weniger auf die Kaufkraft von Familien mit niedrigen Einkommen, als auf die Wahlfreiheit zugunsten paternalistischer Hausfrauenehen anprangern. Gleichzeitig bereitete sie eine Reform des in Revis umgetauften RMG, des Garantierten Mindesteinkommens, vor, die, ganz im liberalen Geist, die Armen für ihre Armut verantwortlich machen und sie für den Arbeitsmarkt „aktivieren“ soll.

Als dann der erste Elan den Meinungsumfragen, den Europawahlen und dem Referendum zum Opfer gefallen waren, wollte sich die liberale Regierung auch einen Erfolg gönnen und reformierte den Elternurlaub. Das Ziel war es, die Entschädigung zu erhöhen, damit der Elternurlaub auch für die jungen Mittelschichtenfamilien attraktiv wurde und nicht bloß für die Kaufhauskassiererinnen, die sowieso nur den Mindestlohn verdienten, wie es in der DP abschätzig hieß. Tatsächlich erntete die Familienministerin dann Applaus von allen Rängen für ihre Reform, was bei 40 Millionen Euro Mehrausgaben nicht weiter überraschen muss.

Was lag also näher, als diesen Erfolg wiederholen zu wollen? Deshalb verspricht das am Sonntag vom Nationalrat der Partei verabschiedete und in einer Woche vorgestellte Wahlprogramm neben weiteren Steuersenkungen einen „Elternurlaub plus“, das heißt eine Verlängerung des einjährigen Elternurlaubs um ein halbes Jahr. Der Name erinnert ein wenig an kostenpflichtige „Premiumangebote“ im Internet und meint das auch. Denn der sechsmonatige zusätzliche Elternurlaub beschränkt sich auf einen unbezahlten Urlaub mit Arbeitsplatzgarantie, wobei der Staat für die Sozialversicherung des einkommenslosen Elternteils und für den Unternehmeranteil an der Sozialversicherung einer während dieser Zeit beschäftigten Ersatzkraft aufkommen soll.

Doch einen Ausfall des halben Haushaltseinkommens oder eines ganzen bei Alleinerzieherinnen können sich nicht die den Mindestlohn verdienenden Kaufhauskassiererinnen leisten und nicht einmal jene jungen Mittelschichtenfamilien, die mit mittleren Einkommen gerade ihr Hypothekendarlehen abbezahlen müssen. Mit dem von den Liberalen versprochenen flotten Elternurlaub GTI kann nur die obere Mittelschicht durch die Rushhour des Lebens brausen.

Romain Hilgert
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