Kino

Erlösung

d'Lëtzebuerger Land vom 27.08.2021

Nachdem sich die zahlreichen Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen den 85-jährigen Woody Allen während seines letzten Films A Rainy Day in New York (2019) häuften, wurde sein öffentliches Ansehen über die vergangenen Jahre hinweg stark beschädigt. Die Anschuldigungen liegen da wie eine außerfilmische Last über seinen Bildern, kaum eine Besprechung seines neuen Films Rifkin’s Festival lässt diese diffamierenden Umstände unausgesprochen. Rifkin’s Festival ist Woody Allens 50. Film und das mutmaßliche Ende einer Regie-Karriere, die seit Ende der 1960er Jahre, über einige Pausen hinweg, eine konstante Häufigkeit von einem Film pro Jahr beibehalten hat und eine Werkkohärenz ausprägt, die auch Rifkin’s Festival einhält: Mort Rifkin (Wallace Shawn), ein in die Jahre gekommener Filmkritiker, erzählt seinem Therapeuten von seinen jüngsten Lebenserfahrungen: Er besucht zusammen mit seiner Frau Sue (Gina Gershon) das Filmfestival von San Sebastián aber – wir sind bei Woody Allen – sie haben Eheprobleme. Der aufstrebende Filmemacher Philippe (Louis Garrel) ruft bei Mort nur Empörung hervor, sein Erfolg ist ihm unerklärlich. Zudem scheint seine Frau ein Verhältnis mit ihm zu haben. Sein Leid ruft ein Stechen in der Brust hervor, das er auf Empfehlung eines Freundes von der Ärztin Jo Roja (Elena Anaya) untersuchen lassen will. Er fühlt sich von Jo angezogen, sie teilt seine Vorliebe für das einstige europäische Kunstkino, das Mort in seinem Filmunterricht stets verteidigte. Mort erfährt, dass Jo ihrerseits Eheprobleme hat. Er wird zusehends zum eingebildeten Kranken und sucht sie aufgrund angeblicher Beschwerden immer wieder in der Praxis auf.

Damit sind die Grundrisse gezeichnet, von denen der vermutlich letzte Film von einem von Amerikas produktivsten Filmemachern ihren Ausgang nimmt. Und da plötzlich sind wir mittendrin in der Welt von Woody Allen, wo unattraktive Neurotiker durch fortwährende Aphorismen Frauen verführen können, jeden dummen Macho mit allerlei originellen Witzen überlisten und offen ihre große Liebe erklären können. Hier aber findet auch Woody Allens Liebeserklärung an das Kino seinen deutlichsten Ausdruck: Seinen besonderen Reiz bezieht Rifkin’s Festival mithin über die intertextuellen Bezüge, die zu so etwas wie einer nostalgischen Rückbesinnung auf die Filmgeschichte, die europäisch-modernistische im Besonderen, führen. In Schwarz-Weiß-Aufnahmen wird vor allem dem schwedischen Großmeister Ingmar Bergman Tribut gezollt, aber auch den beiden berühmtesten Bilderstürmern der Nouvelle Vague François Truffaut und Jean-Luc Godard, sowie dem italienischen Einzelgänger Federico Fellini, dessen eigener Film Otto e mezzo, 8 ½ (1963) seinerseits eine tiefsinnige Reflexion über das Schicksal des Filmemachens darstellte. Natürlich geht es bei Woody Allen immer auch um die großen Sinnfragen des Lebens. Dieser Mort Rifkin – allein sein Vorname stellt seine Sterblichkeit in den Mittelpunkt – ist ein alternder, zweifelnder Mann, ein Griesgram, der eher in seiner eigenen Vergangenheit als Filmlehrer und in der Vergangenheit des Filmes lebt – gerade da sind die Filme Bergmans ihm ein Anker: Wilde Erdbeeren (1957), Das 7. Siegel (1957), Persona (1966), alles Filme, die um den Zweifel, den Glauben, den Tod kreisen. Diese innerfilmischen Verweise schaffen ein Bezugsgeflecht, das nicht nur das Innenleben Rifkins über diverse Traumszenen herausstellt, sondern gleichsam auch Woody Allens selbstkritischer Rückblick auf das eigene Schaffen darlegt. Er übernimmt nicht mehr eigens eine Haupt- oder Nebenrolle, eine Tradition die er bis To Rome with Love (2012) pflegte. Nein, er will vielmehr über diesen Mort Rifkin in absentia spürbar werden, das Publikum über das eigene Werk urteilen lassen – ohne aber sichtbar zu sein. Und so kann auch ein Augenblick der Gnade, wenn man so will, nicht in der filmischen Erzählung stattfinden, nicht zwischen Mort und seinem Therapeuten, sondern vielmehr und unbedingt, in- und außerhalb der Leinwand, zwischen unseren Blicken und denen der Figuren. Es scheint so als wolle Allen, der das eigene Image des ständigen Neurotikers über die Jahre hinweg durch seine Filmauftritte selbst nährte, mit Rifkin’s Festival den Zuschauer selbst zum Erlöser machen.

Marc Trappendreher
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