Kino

Wenn Sterne verglühen

d'Lëtzebuerger Land vom 20.08.2021

Das titelgebende Naturphänomen einer Supernova eröffnet den neuen Spielfilm des Regisseurs und Schauspielers Harry Macqueen. Wobei das Wort „Naturphänomen“ ist im Kontext dieses intergalaktischen Vorfalls wohl nicht die passendste Bezeichnung ist. Die Supernova ist das Aufleuchten bei der Explosion eines Sterns, wenn dieser an sein Lebensende gelangt. Welche Hitze und Energie eine solche Supernova freisetzt, ist auf dem Papier wissenschaftlich zwar festzuhalten, rational jedoch schwer zu fassen. Macqueen überblendet den nun um einen hellen Punkt ärmeren Sternenhimmel mit dem Bild zweier sich haltender Hände. Was schön, was erhaben sein soll und ob die zwei Bilder sich nicht doch näher sind als die Lichtjahre, die sie eigentlich trennen – davon handelt Supernova.

Die Hände gehören den beiden Hauptfiguren Sam und Tusker - von Engländer Colin Firth und Amerikaner Stanley Tucci verkörpert. Die beiden Herren mittleren Alters sind ein längst eingespieltes Paar und zu Beginn der Handlung, in Begleitung ihres Familienhundes, mit ihrem Wohnwagen im englischen Nordwesten des Lake District unterwegs. Sam sitzt hinterm Lenkrad, Tusker grübelt mit Lesebrille auf der Nase über der Landkarte. Sie zanken sich über Vor- und Nachteile eines elektrischen Navigationssystems, während das Haustier in aller Ruhe vor sich hin döst und seinen Herrchen wenig Beachtung schenkt. Die beiden sind auf dem Weg zu Sams Freunden und Familie und am Ende der Reise wartet ein Konzertklavier auf den professionellen Pianisten Sam, welchem er aus unerklärten Gründen den Rücken gekehrt hat. Der Trip wird jedoch von etwas weitaus Dramatischerem überschattet. Sams Lebenspartner, Autor und Lebemann Tusker wurde früh auftretende Demenz diagnostiziert. Aus der anfänglich entspannend anmutenden Reise wird eine existenzielle.

Supernova von Harry Macqueen reiht sich in die noch sehr überschaubare Kategorie Film ein, die Geschichten eines nicht mehr so jungen, homosexuellen Paares im Mittelpunkt hat. Deux, der von Tarantula mitproduzierte Debutfilm von Filippo Meneghetti kann im gleichen Atemzug genannt werden, wobei das Gespann Sukowa/Chevalier noch zehn Jahre älter ist als Colin Firth und Stanley Tucci. Muss das lesbische Paar im Film von Meneghetti noch für ihre Liebe und ihr Zusammenleben einstehen, so ist das bei Macqueen kein Thema mehr. Die Mitmenschen des Paares sind überaus fürsorglich und verständnisvoll und der treue Wohnwagen macht unterwegs auch keine Macken. Macqueens Augenmerk liegt ganz woanders. Dass Supernova ein Film über Leben und Tod ist, dürfte jedem klar sein, der schon ein Melodrama gesehen hat. Und ist das Ende auf eine Art und Weise komplett vorhersehbar, benutzt Regisseur und Drehbuchautor Macqueen diese Vorhersehbarkeit, um über etwas völlig anderes filmisch nachzudenken. Das frühzeitige Trauern um einen Geliebten.
Das passiert natürlich nicht nur zwischen den Figuren, sondern auch zwischen dem Film und seinem Publikum.

Supernova gibt auf jeden Falle auf kompletter Länge Grund, sich melancholisch stimmen zu lassen. Sei es das Paar, das Kapp an Aarsch miteinander ist und welches durch Momente, wie subtil auch immer, in ihrer Dynamik nüchtern wachgerüttelt wird, oder die Augen des nicht mehr so jungen Haustieres oder ganz einfach die Art und Weise, wie Kameralegende Dick Pope - längjähriger Weggefährte von Mike Leigh, unter anderem für Secrets & Lies und Mr. Turner - die Landschaften des englischen Lake Districts einfängt. Herbstlich feuchte Braun- und Orangetöne der Bäume, Gräser und tief hängenden Sonne geben dem Grau des Himmels und des Asphalts, auf dem das Paar unterwegs ist, die Klinke in die Kamerahand. Unterstreichen das psychologische Innenleben der beiden Figuren. Macqueen inszeniert ein behutsames Drama, welches nie wirklich eines wird, das jedoch die Vergänglichkeit des Lebens und des gemeinsamen Miteinanders im Mittelpunkt hat, ohne das Leben aus den Augen verlieren zu wollen.

Die Kritikerkolleg/innen stempeln das Zusammenspiel von Colin Firth und Stanley Tucci als gewohnt grandios ab. Tatsache bleibt, dass Firth seit Tinker Taylor Soldier Spy und A Single Man – obwohl es seiner Figur helfen würde, etwas weniger im luftleeren Raum zu hängen – und Tucci seit Spotlight nicht mehr so toll waren und sich komplementieren. Spätestens in einer ganz präzisen Szene im letzten Drittel wird dies glasklar. Supernova ist übrigens auch ein Roadmovie, welches sich, wie seine Figuren, des Endes bewusst ist. Was jedoch nicht bedeutet, dass Mensch sich trotz der ständigen Plackerei unterwegs und dem unumgänglichen Ende der Reise der Schönheit und Erhabenheit des Zusammenseins und der Umwelt bewusst werden darf.

Tom Dockal
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