Kaum hatte am Donnerstag vergangener Woche die Abgeordnetenkammer nach einer fünf Stunden dauernden Debatte einen Punkt unter die dreieinhalbjährige Tätigkeit des Sonderausschusses für die Réorganisation territoriale gesetzt, schlugen diese Woche erneut die Wellen hoch: Das Luxemburger Wort hatte in seiner Ausgabe vom vergangenen Freitag eine „Kartografie“ der künftigen Gemeindelandschaft veröffentlicht. Jene Kartografie, die bislang nur ein Arbeitsdokument von Innenministerium und Gemeindeverband Syvicol war: Darin sind statt 116 nur noch 71 Gemeinden verzeichnet. Außerhalb der urbanen Agglomerationen um die Hauptstadt, das Alzettetal mit Mersch, die geplante Nordstad sowie die gesamte Südregion zwischen Petingen und Düdelingen würde beinah jeder Gemeinde die Fusion mit einer anderen vorgeschlagen – von wenigen Ausnahmen wie Mondorf, Steinfort oder Frisingen sowie sehr großflächigen Landgemeinden wie Wincrange und Rambrouch abgesehen.
Was der interessierte Zeitungsleser für eine originelle Lektüre halten konnte, musste vor allem die DP als Affront empfinden. Ihr Parteiorgan Journal veröffentlichte tagelang wütende Artikel, in denen mal das Walten der CSV im „Marienland“ verurteilt, mal die ganze Territorialreform als „Drittelreförmchen“ verspottet wurde. Denn es stellt sich nicht nur die Frage nach dem politischen Stil des Innenministers, der selbst dem Sonderausschuss Territorialreform die Karte noch nicht vorgelegt und bei dessen letzter Sitzung erzählt hat, dass an der Karte noch gearbeitet werde. Und eigentlich will Jean-Marie Halsdorf sie sich erst am Freitag nächster Woche vom Regierungsrat absegnen lassen.
Angesichts der auf dem Papier geplanten Fusionen wird insbesondere die DP an die Machtfrage auf kommunaler Ebene erinnert. Gleich nachdem der Innenminister vor drei Jahren erklärt hatte, 3 000 Einwohner seien die kritische Masse einer lebensfähigen Gemeinde, sah die DP darin einen kommunalpolitischen Durchmarschversuch der CSV. Denn bei Überschreiten der 3 000-Einwohner-Schwelle wird in einer Gemeinde nach dem Proporzsystem gewählt.
Nun muss die DP erleben, dass die Öffentlichkeit beispielsweise davon erfährt, dass Remich um Bous und Stadtbredimus vergrößert und Grevenmacher mit Biwer zusammengelegt werden könnte. Remich und Grevenmacher aber sind zwei Ostgemeinden, in denen die DP noch den Bürgermeister stellt; Remich hätten die Liberalen bei den letzten Gemeindewahlen um ein Haar an die Grünen verloren. Wer weiß, was ein Plus an Einwohnern bringt. Da die DP jüngsten Umfragen nach noch immer nicht aus ihrem Tief seit den 2004 verlorenen Parlamentswahlen herausgefunden hat, ist ihre Klage über das Informationsleck ein Zeichen ihrer anhaltenden Schwäche, die sie 2005 auch bei den Gemeindewahlen schlecht abschneiden ließ. Den Grünen passt zwar ebenfalls nicht, dass der Innenminister dem Territorialreform-Ausschuss eventuell nicht die Wahrheit sagte, und ein aufgebrachter Camille Gira verlangte am Dienstag, dass Jean-Marie Halsdorf sich vor dem Parlament ver-antworte. Wahlstrategisch jedoch müssten die Grünen derartige Fusionen vermutlich nicht fürchten: 2005 holte die Partei in allen Proporzgemeinden, in denen sie neu zur Wahl antrat, auf Anhieb mindestens ein Gemeinderatsmandat.
Hochrangige DP-Politiker wie Paul Helminger und Fernand Etgen kennen als Mitglieder des Syvicol-Vorstands die Karte zwar schon lange. Der entscheidende Punkt aber ist, dass sich bis vergangenen Samstag alle Beteiligten darauf verlassen konnten, dass über die Fusionskartografie noch lange Zeit intern mit dem Ministerium diskutiert werden könnte. Diese Möglichkeit ist nun ein bisschen kleiner geworden, wenngleich die großen Entscheidungen erst in der nächsten Legislaturperiode fallen. Aber es könnte ja sein, dass die Fusionskartografie den Bürgern stärker einleuchtet als so manchen Gemeindevätern und Parteistrategen. Zumal Halsdorfs Karte unterdessen ihren Weg geht: Gestern zierte sie sogar die Titelseite des Anzeigenblatts Luxbazar.