Unser tägliches Vollkornbrot gib uns heute

d'Lëtzebuerger Land du 26.04.2019

Anfang April machte ein Forscherteam der University of Washington weltweit Schlagzeilen, als es die Ergebnisse seiner Studie in der Fachzeitschrift The Lancet veröffentlichte. Denn darin hieß es: Die schlechte Ernährung bringe jährlich mehr Menschen um als das Rauchen. Zu viel Zucker, Salz, Stärke und verarbeitetes Fleisch, zu wenig Obst, Gemüse, Vollkorngetreide und Nüsse – an den Folgekrankheiten ihres unausgewogenen Diätplans sterben den Forschern zufolge jährlich weltweit elf Millionen Menschen, während laut Weltgesundheitsorganisation jährlich sieben Millionen Menschen Opfer ihrer Tabaksucht werden. Dieser wissenschaftliche Beleg, dass unser Essen tödlicher ist als Zigaretten, wirft die dringende gesundheitspolitische Frage auf, ob schlechte Ernährungsgewohnheiten mit der gleichen Vehemenz bekämpft werden sollten, wie die Tabaksucht.

Wenn man bedenkt, mit welchen Mitteln in den vergangenen Jahren versucht wurde, den Tabakkonsum einzudämmen und die Allgemeinheit vor Qualm zu schützen, wird die Sache allerdings ein wenig delikat. Denn hielt sich das Mitleid mit Gaststätten- und Restaurantbetreibern angesichts der Umsatzeinbußen in Folge des Rauchverbots in Grenzen, würde ihnen durch ein vergleichbares Essverbot tatsächlich die Geschäftsgrundlage ein wenig flöten gehen. Wenn im Restaurant nicht mehr gegessen werden darf, weil es zu gefährlich ist, warum dann noch hingehen – es sei denn, das Rauchen würde dort wieder erlaubt. Eine Petition dafür, sowie die Gegenpetition sind bereits in Bearbeitung.

Wem das als öffentliche Gesundheitsmaßnahme zu extrem, unwahrscheinlich und absurd erscheint, sollte bedenken, dass in der EU seit vergangenem Jahr die Höchsttemperatur der Fritteusen geregelt ist, um die Bildung krebserregender Stoffe zu verhindern. Gewiefte Verteidiger von Individualfreiheiten und Euroskeptiker erkannten hierin früh ein verdecktes und gezieltes Brüsseler Manöver zur Entmündigung der Europäer, das sie ihres Rechts beraubt, ihrem Körper nach ihren Wünschen Fett, Salz und Karzinogene zuzuführen. Denn wer will schon frittierte Fischfilets und Hühnchenschenkel mit weicher Kruste oder labbrige Pommes essen? Da muss einem der Appetit auf Europa doch vergehen!

Sollte die Politik die Alarmstufe angesichts der Gefahrenlage in den Kühlschränken und Tellern der Nation erhöhen, sind weitere Maßnahmen nicht auszuschließen. Pommestüten und Burger-Schachteln könnten in Zukunft wie Zigarettenschachteln mit abschreckenden Bildern versehen werden, beispielsweise von verstopften Herzkranzgefäßen. Bis dahin wäre es nur ein kleiner Schritt, schließlich sind die Verpackungen bei McDonalds, Quick und KFC bereits jetzt in der Signalfarbe rot gehalten, die in der Natur Gefahr und Gift anmahnen.

Sinnvoll wäre es auch, das Mindestalter für den Verkauf und Konsum von Pommes sowie Pizza und Pasta ohne Vollkornmehl auf 16 Jahre anzuheben. Doch seit der Klimawandel Jugendliche aus der politischen Apathie geholt hat und sie das Demonstrieren wiedererlernt haben, wird das kaum noch ein Politiker wagen. Man stelle sich nur mal vor, wie viele Schüler auf die Straße gehen würden, um gegen ein Verbot ihrer Leibspeisen zu demonstrieren, wenn Tausende gegen das Schmelzen der Polkappen marschieren. Zumal sich das künftige Elektorat nach dem politischen Einsatz im Fastfood-Restaurant stärkt.

Wahrscheinlicher ist deshalb, dass die Gesundheitsbehörden versuchen werden, mit allerhand Kampagnen moralischen Druck auf die Bevölkerung auszuüben. Erwachsene könnten zum Beispiel für die Gefahren des Passivessens sensibilisiert werden, damit sie in der Gegenwart von Kindern nicht nur aufs Rauchen verzichten, sondern auch auf Kartoffelchips, damit sie ihre mörderischen Essgewohnheiten nicht auf die Nachkommen übertragen und dadurch deren Lebenserwartung schmälern. Zumal die Verantwortung für eine ausgewogene Ernährung dadurch Privatsache bliebe, was für die politischen Verantwortlichen keine geringen Vorteile hätte. Sie müssten sich keine Gedanken darüber machen, dass gute Ernährung ein Privileg derjenigen ist, die sich frisches Bio-Obst und -Gemüse und Vollkornprodukte leisten können, und sich fragen, was zu tun wäre, damit auch Geringverdiener gut essen können. Und außerdem sind Konzerne wie Pepsi und Heinz brave Luxemburger Steuerzahler, deren Interessen sie ebenfalls zu verteidigen haben. Schließlich verzichtet der Staat ja auch nicht einfach auf Tabakakzisen, nur weil Zigaretten Krebs verursachen.

Michèle Sinner
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