Grüne Stromangebote sind seit Fukushima stark in Mode. Preise und Angebot variieren, weshalb ist nicht immer offensichtlich

Auf Safari im grünen Tarifdschungel

d'Lëtzebuerger Land vom 14.04.2011

Seit man die Kernschmelze in Fukushima in Echtzeit im Fernsehen, im Internet oder auf dem Smartphone verfolgen kann, will auch in Luxemburg fast jeder immer schon gegen die Kernenergie gewesen sein. Zumindest aber gegen die direkt vor der Haustür, also gegen das Kraftwerk in Cattenom. Da ist es nur konsequent, wenn man die eigene Stromzufuhr auf einen alternativen, einen grünen Strommix umstellt. Doch was bieten die Stromgesellschaften überhaupt an? Ein Selbstversuch.

Das Institut de régulation luxembourgeois (ILR) für die Aufsicht der Energie- und Telekomanbieter und deren Versorgungsnetze zuständig führt in seiner Liste der zugelassenen Anbieter acht Stromgesellschaften: Eida S.A., Electris, Enovos, Leo, Nordenergie, Pfalzwerke, Steinergy und Sudstroum. Die Pfalzwerke – das ist bekannt – sind noch nicht aktiv, können also aus dem Versuch gestrichen werden.

Bleiben sieben Anbieter, bei denen seit der Strommarktliberalisierung theoretisch jeder Kunde werden können müsste. Und alle haben ein grünes Stromangebot, das sie mitunter stark bewerben. Die Tarife gibt es meist zum Herunterladen oder aber als integrierte Kalkulationsmöglichkeit in der Webseite. Schön. Doch Obacht – wer in Mathe immer schon schlecht war, läuft beim Versuch, die Preise der Anbieter zu vergleichen, gleich Gefahr, sich in den Dezimalstellen zu verheddern, zumal mancher Anbieter in Euro, die anderen die Preise aber in Eurocent angeben. Kniffelig wird die ganze Übung noch dadurch, dass es keine einheitliche Tarifpräsentation gibt, die einen ihre Grundgebühren monatlich verrechnen, andere sie wiederum auf den Tag herunterbrechen. So gibt es möglichst viele Dezimalstellen, und der direkte Vergleich wird quasi unmöglich. Warum die Stromtarife mancher Gesellschaften fast doppelt so hoch sind als die der anderen, erschließt sich, wenn man die Tariftabellen mit dem Lauskamm durchkämmt: Manche weisen die Netznutzungsgebühr nicht separat aus, so dass man den eigentlichen Strompreis gar nicht mehr erkennt.

Erkennen lässt sich auch nicht eindeutig, ob man als Creos-Netzkundin bei allen Anbietern Strom kaufen darf. Also anrufen. Zum Beispiel bei Nordenergie, der gemeinsamen Gesellschaft von Enovos und den Stadtverwaltungen von Diekirch und Ettelbrück. wo gleich eine Kundenberaterin ans Telefon geht. Ungefähres Gesprächsprotokoll: „Nordenergie, Guten Tag.“ „Ich würde mich gerne über ihr Naturstromangebot informieren.“ „Die Tarife stehen auf unserer Webseite.“ „Gelten die denn auch für Creos-Netzkunden?“ „Das müsste man kontrollieren.“ „Kann ich als Creos-Kundin überhaupt von Nordenergie Strom beziehen?“ „Das weiß ich nicht. Ich frage nach. (...) Nein können sie nicht.“ „Wieso? Was ist denn mit der Strommarktliberalisierung?“ „Wir haben ein Abkommen mit Nordenergie, demzufolge Strombezieher außerhalb von Diekirch und Ettelbrück, nicht Kunde werden können.“ „Wer ist jetzt ‚wir’? „Enovos.“ „Arbeiten Sie nicht für Nordenergie?“ „Doch wir machen die Abrechnung.“ „Für Enovos?“ „Nein, für Nordenergie.“ „Kann ich denn jetzt dort Kunde werden?“ „Bei Enovos.“ „Da bin ich doch schon Kunde. Bei Nordenergie.“ „Ja, was wollen Sie denn? Sie verwirren mich.“ „Sie mich auch.“ „Nein.“ „Doch.“ „Und bei Steinergy können Sie auch nicht Kunde werden. Da haben wir auch ein Abkommen.“ Klick.

Also Enovos Nova? Da gibt es auf der Webseite ILR-Bezugszertifikate für Nova plus 25, plus 50, plus 75. Am Telefon heißt es: „Das haben wir abgeschafft. Wir bieten entweder den normalen Strommix oder 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien.“ Und der wird laut Webseite von Greenpeace Energy aus Deutschland geliefert. „Nein. Seit Anfang 2011 nicht mehr. Die haben die Preise dermaßen angehoben, das konnten wir nicht an unsere Kunden weitergeben. Also kaufen wir bei anderen Produzenten.“ „Ist denn das Interesse groß?“ „Wir haben zwischen 6 000 und 7 000 Nova-Kunden von 160 000 Kunden insgesamt und in den vergangenen Wochen haben rund 1 000 zum grünen Tarif gewechselt.“ „Können Sie denn die Zufuhr an grünem Strom weiter garantieren, wenn so viele auf einmal wechseln?“ Das sei, versichert der Berater, kein Problem: „Das Land ist klein. Die Nachfrage fällt bei den Produzenten im Ausland kaum ins Gewicht.“

Nächster Versuch: Leo, der hauptstädtische Versorger. Die hängen wie Nordenergie auch am Enovos-Konzern. Doch wie die freundliche Kundeberaterin versichert: „Auch im Creos-Netz können Sie Kunde bei uns werden.“ Das ist doch mal was. Doch wo findet man als wechselwillige Kundin die Tarife? Auf der Webseite? „Nein. (kleines Hüsteln) Seit wir zu Enovos gehören, werben wir keine Kunden von außerhalb der Stadt an.“ Die Tarife gibt es immerhin telefonisch, da kann man sich dann selber ausrechnen, wie teuer einen die Stromrechnung von Leo zu stehen kommt.

Nächste Station: Sudstroum. Lässt sich toll an. Die verkaufen ausschließlich grünen Strom, heißt es auf der Webseite und laut Tarifkalkulator auch noch richtig günstig. Kann das sein? Der Wechsel ist verlockend. Doch das Kundentelefon klingelt, klingelt noch, und noch. Wird hier etwa am Service gespart? Später noch mal versuchen.

Electris – Hoffman Frères in Mersch. Der grüne Strom ist hier blau und heißt „Switch Blue“. Den kann man auch im Creos-Netz beziehen. Allerdings für teures Geld. Und das ILR-Stromherkunftszertifikat ist nicht sofort verfügbar, wird aber zugeschickt.

Bei Eida in Beckerich ist sofort jemand an der Strippe. Noch während des Gesprächs stellt der Berater einen Preisvergleich auf, und der ist, noch bevor man auflegt, in der Inbox. Mitsamt Dokumentation zu den Produktionsanlagen, zwei Windkraftanlagen in den Niederlanden. Super effizient, super kompetent. Das Interesse sei derzeit groß, bestätigt der Mitarbeiter. 100 neue Kunden in wenigen Wochen, fünfmal mehr als sonst.

Aber wieso kommt der Strom aus Holland, wo doch der Aktionär von Eida, der Energipark Réiden, selbst Strom herstellt? Energipark Réiden profitiert von der staatlich garantierten Einspeisevergütung, so die Erklärung. „Vergleichen Sie doch mal unseren Verkaufstarif mit der garantierten Einspeisevergütung“, hilft der Mitarbeiter der verwirrten Kundin auf die Sprünge. In der Tat. Der Vertriebspreis beträgt – Netzkosteninklusive – nicht mal die Hälfte der aus dem Kompensationsfonds gezahlten Einspeisevergütung. „Wir kaufen nur bei nicht-subventionierten und neuen Anlagen. Die sind einem gewissen Marktdruck ausgesetzt, müssen leistungsfähig und modern sein.“ Das leuchtet ein, wirft aber wieder neue Fragen auf. Erstens: Woher beziehen die anderen Anbieter ihren grünen Strom? Gibt es also guten und schlechten grünen Strom? Und zweitens: Wo gibt es den grünen Strom zu kaufen, der in Luxemburg produziert wird? In den Biomasse-Anlagen, Wasserkraftwerken oder den tausenden subventionierten Photovoltaikanlagen auf den Dächern Luxemburgs?

Die Umweltschutzorganisation Green­peace prangert gerne das „Greenwashing“ an. Damit, ist im Infomaterial nachzulesen, werden solche Ökostromprodukte bezeichnet, die aus abgeschriebenen Anlagen stammen und deshalb den Bau neuer Anlagen nicht durch neue Nachfrage steigern. Greenpeace bewertet auf seiner Webseite die grünen Stromangebote Luxemburgs. Ob die Bewertung von Enovos Nova – Stromkonzern, mit dem sich Greenpeace ansonsten mit Genuss streitet – noch so günstig ausfällt, wenn berücksichtigt wird, dass der Strom nicht mehr von Greenpeace Energy bezogen wird, dürfen kritische Kunden bezweifeln. Die Angebote von Sudstroum und Electris werden gar nicht erst besprochen. Soll das heißen, die sind nicht gut?

Wehe dem, der telefonisch nachfragt, was mit Electris und Sudstrom ist. „Wir besprechen Eida, Nova und Leo Green Energy.“ Das war eigentlich klar. Verbraucherin: „Sudstroum ist aber günstiger.“ Das zu sagen, war ein Fehler. „Günstig“ scheint bei Greenpeace ein Reizwort zu sein, ­automatisch gleichbedeutend mit schlecht und böse. „Günstiger?“, fragt die Greenpeace-Mitarbeitern entsetzt zurück. „Es kommt doch nicht auf immer nur auf den Preis an. Sie sollten auch mal bedenken, was das für Konsequenzen fürs Klimaund ihre Kinder und Enkelkinder hat!“ Sie kann sich gar nicht beruhigen. Dabei „bedenkt“ ja schon, wer sich erkundigt, und hätte sich den ideologischen Anpfiff gerne erspart. Aber so einfach kommt man hier nicht davon: „Wenn der Preis niedrig ist, dann stammt der Strom meist aus längst abgeschriebenen Wasserkraftwerken aus Norwegen und Österreich. Das ist ‚Grünwäsche‘.“ Seltsam. Genau daher stammt den eigenen Angaben zufolge der Strom von Greenpeace Energy. Doch das sollte man zu diesem Zeitpunkt gegenüber der Militantin unerwähnt lassen und ablenken: „Damit überzeugen Sie aber keine Mehrheit, oder? Sonst wären doch schon alle auf grünen Strom umgestiegen. Außerdem sehe ich nicht ein, weshalb ich den teuren grünen Strom bezahlen soll, wenn mir niemand sagen kann, ob er ‚grüner’ ist als der billige grüne Strom.“ Immerhin: Kommende Woche will Greenpeace eine neue Bewertung bekannt geben. Bis dahin gilt die Devise: Selbst ist die Stromverbraucherin und alles zurück auf Start. Das heißt, nochmals nachfragen, woher der Strom genau kommt und wie alt die Anlagen sind.

Bei Enovos kann der Kundenberater immerhin beteuern: Der Strom kommt immer noch aus Deutschland. Er wird zu 95 Prozent in Wasser- und zu fünf Prozent in Windkraftanlagen produziert. Und die, versichert er, sind nicht älter als sechs Jahre. Electris macht selbst keine Angaben über das Alter der Produktionsanlagen, teilt aber auf Nachfrage die Namen der Wasserkraftwerke mit, von denen 2011 erneuerbarer Strom bezogen wird. Sie liegen allesamt in Frankreich, genauer im Elsass und in Lothringen, alle sind deutlich älter als die Kundin selbst und gehören dem Stromkonzern EDF, der auch die umstrittene Atomzentrale in Cattenom betreibt. „Wir haben uns für Wasserkraft entschieden, weil sie historische Basis des Unternehmens ist“, erklärt die Mitarbeiterin.

Bei sechsten Anruf geht auch bei Sudstroum jemand ans Telefon („Probleme mit der Zentrale“, so die Erklärung), und wer nach den Bezugsquellen fragt, wird flugs zum Direktor persönlich durchgestellt. Der sagt, 90 Prozent des Stroms würden aus abgeschriebenen Wasserkraftwerken aus Norwegen stammen, zehn Prozent aus neuen Windkraftanlagen in Dänemark. Von weniger gutem grünem Strom, weil aus bereits abgeschriebenen Anlagen, will er nichts wissen. „Der Strom ist zertifiziert“, sagt Ady Emering. Und das Zertifizierungssystem vom ILR überwacht, um sicherzustellen, dass nicht ein und derselbe Strom mit seinen Zertifikaten von mehreren Anbietern gleichzeitig in Anspruch genommen wird. Dadurch trage man auch zur Förderung der Nachfrage und damit zum Ausbau der erneuerbaren Energieproduktionsanlagen bei. Die 17 000 Sudstroum-Kunden können derzeit noch nicht nachvollziehen, was mit den Geldern passiert, die Südstrom über den Sonder-Invest-Tarif einnimmt. Das werde sich bald ändern, Projekte zum Förderung oder Modernisierung von Anlagen seien in Bearbeitung.

Bei Leo bestätigt der fünfte Gesprächpartner: „Seit 2008 ist es unsere Politik, bei Anlagen einzukaufen, die seit weniger als sechs Jahren in Betrieb sind.“ Diese zu finden, sei nicht immer leicht. Besonders, da die Anlagen unbezuschusst sein sollen. Sonst wird der Strom zu teuer. Der Leo-Mix besteht aus 70 Prozent Wasserkraft, 20,08 Prozent Windkraft, 9,03 Prozent Biomasse und 0,8 Prozent Photovoltaik. Alles aus dem Ausland.

Wer sich mit Todesverachtung und der Ausdauer afrikanischer Langstreckenläufer durch die Webseite des ILR arbeitet, erfährt dort: Insgesamt 381 533 Megawattstunden bezuschusster „grüner“ Strom wurden 2009 in die Luxemburger Stromnetze eingespeist – wobei 241 000 aus gasbetriebenen Blockheizkraftwerken stammten. Das verursachte den Netzbetreibern Mehrkosten von 21,5 Millionen Euro. Die übernimmt der Kompensationsfonds, der aus den Abgaben aller Stromkunden gespeist wird.

Um die Kosten für den Kompensa-tionsfonds, und damit für die Allgemeinheit, ein wenig zu senken, verkaufte das ILR 2010 die Zertifikate via öffentliche Ausschreibung. Die Nachfrage war nicht besonders groß. Leo hat sich an der Ausschreibung beteiligt, wie auch Enovos, heißt es bei Leo. Gerade mal 38 5081,1 Euro haben sie bezahlt. Doch weil der Strom für alle Ökoangebote explizit aus dem Ausland bezogen wird, dienen diese Zertifikate eher dazu, den allgemeinen Strommix der Anbieter nachweislich zu vergrünen – 67 Prozent beträgt der Anteil erneuerbarer Energien am Leo-Standardangebot. Wer also Luxem­burger grünen Strom kaufen möchte, müsste logischerweise die nicht-grünen Angebote wählen?

Michèle Sinner
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