Griechische Schuldenkrise: Weil die Regierung ihre Politik nicht ändert, ändert sie ihre Politik

Ende der Mäßigung

d'Lëtzebuerger Land du 10.07.2015

Vergangene Woche hatte Finanzminister Pierre Gramegna dem Parlament erklärt, dass die griechische Regierung eine lokale Spezialität, die Dia­lektik, pflege, wenn sie in Brüssel die These und in Athen die Antithese vertrete. Doch als er diese Woche erneut vor das Parlament trat, hatte er nicht einmal bemerkt, dass ihr mit der Volksbefragung am Sonntag die Synthese gelungen war.

Nach dem Referendum über die Fortsetzung der inneren Abwertung beantragte die griechische Regierung am Mittwoch ein neues Darlehen des Europäischen Stabilitätsmechanismus. Die anderen Regierungen der Euro-Zone haben ihr bis Sonntag ein Ultimatum gestellt, um dafür Strukturreformen in Kauf zu nehmen, die dem Entscheid der Volksbefragung zuwiderlaufen. Andernfalls droht die Europäische Zentralbank, am Montag die griechischen Banken zu zerstören.

Am Krautmarkt stellte man sich am Mittwoch dumm und spielte das Spiel mit. CSV-Sprecher Claude Wiseler jammerte: „Ich verstehe nicht richtig, was geschieht, warum nichts auf den Tisch kommt.“ Deshalb meinte er, dass die griechische „Regierung nur auf Zeit spielt, aber es ist keine Zeit mehr da“.

Premier Xavier Bettel sprach zur Griechenlandkrise, weil ihm vorgeworfen worden war, die Chefsache Europa an den Finanzminister abgetreten zu haben. Er brachte das Kunststück fertig, zu den wichtigen Fragen erst einmal gar nichts zu sagen. Auch eine lokale Spezialität.

Dass inzwischen immer mehr europäische Regierungen Griechenland aus der Euro-Zone zu mobben versuchen, erwähnte er erst nach der Debatte. Er fand, dass ein „Grexit keine Lösung“ sei, um dann aber zu drohen, dass er „in den letzten Tagen und Wochen einen gemäßigteren Diskurs gehabt“ habe als heute, und wenn der griechische Premier Alexis Tsipras „morgen keine Vorschläge bringt, wird das Wochenende kein schönes Wochenende für Europa“. Pierre Gramegna kündigte dem Parlament an, dass die internationalen Institutionen alle Vorkehrungen für den Fall getroffen hätten, „dass Griechenland leider langsam aus der Euro-Zone rutschen würde“.

Eine andere lokale Spezialität ist, gleichzeitig für und gegen einen Rauswurf Griechenlands, einen Schuldenschnitt oder mehr Austerität zu sein und am Ende die Meinung zu teilen, die sich durchgesetzt hat. So gab sich der Regierungschef gleichzeitig versöhnlich, stellte sich als Vermittler dar und war dann kompromissloser denn je.

Es bleibt dabei, wie morgens im Europaparlament vorgespielt: Schuld an der Katastrophe und besonders an jeder noch kommenden sind die Himmelsstürmer in der griechischen Regierung. Auch wenn sie trotz aller Destabilisierungsversuche zwischen den Wahlen und dem Referendum ihre öffentliche Unterstützung von einem auf zwei Drittel der Wähler vergrößern konnten. Premier „Alex Tsipras bekam eine Hand gereicht“, so Xavier Bettel, „aber er behielt seine Hände in der Tasche“.

Am heftigsten drosch LSAP-Fraktionssprecher Alex Bodry auf die griechischiche Regierung ein, die eine Alternative zur liberalen Wirtschaftspolitik der europäischen Sozialdemokratie verkörpern will. Sie sei „aus nationalen Links- und Rechtskräften zusammengesetzt“ und könne nicht „nach altem kommunistischen Muster ein Land wie Griechenland verwalten, sondern muss den Privatsektor wieder ins Rollen bringen“.

Von dem linken Abgeordneten Serge Urbany auf die kritischen Analyse des Internationalen Währungsfonds angesprochene, räumte der Premier ein, dass die „von den internationalen Institutionen“ erzwungene innere Abwertung in Griechenland „in den letzten Jahren nicht die erwarteten Resultate“ gezeigt hätte. Aber fast im selben Atemzug forderte er eine Fortsetzung und Intensivierung dieser Reformen. Auch Alex Bodry gab zu, dass „Fehler“ bei den Griechenland aufgezwungen Sparprogrammen begangen worden seien, aber nun „müssen die Griechen liefern“.

Obwohl die grüne Fraktionssprecherin Viviane Loschetter daran erinnerte, dass „wissenschaftliche Analysen von Ökonomen“ bewiesen hätten, dass Griechenland seine Staatsschuld nicht zurückzahlen könne, dachte die Regierung, anders als in den Wochen zuvor, nicht mehr an einen Schuldenschnitt. Der Finanzminister hatte laut Serge Urbany dem parlamentarischen Finanz- und Haushaltsausschuss vorausgesagt, dass „alles scheitern kann, wenn keine Zugeständnisse bei einem Schuldenschnitt gemacht werden“. Doch vor dem Plenum meinte Gramegna, dass bei den europäischen Finanzministern „ganz wenig Bereitschaft besteht – um es ganz höflich auszudrücken –, um über einen Schuldenschnitt zu reden“.

Mehrmals betonte Premier Xavier Bettel, dass er sich im Rahmen des Ratsvorsitzes als „Brückenbauer“ versuche. Davon war bisher zwar wenig zu merken, aber so braucht die Regierung nicht Partei für einen der beiden großen Nachbarn, Frankreich oder Deutschland, zu ergreifen. Frankreich versucht vorsichtig, Griechenland in der Euro-Zone zu halten, um die deutsche Vorherrschaft in der Europäischen Union nicht zusätzlich zu stärken. Aber strategische Überlegungen haben keinen Platz im Parlament, und die deutsche Politk dient am besten dem Bankenplatz.

Zwar meinte Alex Bodry, er sei froh, dass die Luxemburger Regierung immer „eine vernünftige Haltung“ eingenommen habe. Aber mehr aus dem nicht Gesagten als aus dem Gesagten hörte man heraus: Weil die Regierung ihre Politik nicht ändert, ändert sie ihre Politik. Sie will nicht zu den Scharfmachern gehören, sondern mit dem Strom schwimmen. Und dort schwimmt eine wachsende Meute von Scharfmachern.

Romain Hilgert
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