Nachrichtendienst-Reform

Nicht Charlie

d'Lëtzebuerger Land du 26.06.2015

Der Staatsrat rang sich diese Woche ein zweites Gutachten zur Reform des Nachrichtendienstes ab. Sein erstes Gutachten hatte im Dezember vergangenen Jahres wie eine Bombe eingeschlagen. Die Regierung, von Premierminister Xavier Bettel (DP) abwärts, hatte sich hinter vorgehaltener Hand entrüstet über die ihrer Meinung an Landesverrat grenzende Fundamentalkritik der sonst so maßvollen Räte gezeigt. Immerhin war die Reform des Nachrichtendienstes, über den vor zwei Jahren CSV-Premier Jean-Claude Juncker gestürzt war, der erste Gesetzentwurf, den der neue Premier im Parlament eingebracht hatte.

Der Staatsrat hatte DP, LSAP und Grünen gnadenlos vorgeworfen, die Schlussfolgerungen ihres eigenen parlamentarischen Untersuchungsausschusses über den hysterisch gewordenen Service de renseignement „nur sehr partiell“ beherzigt zu haben und „die Fehler der Vergangenheit in einem neuen Rahmen fortzusetzen“. Er hatte sogar die Daseinsberechtigung des Dienstes in Frage gestellt und vorgeschlagen, seine Aufgaben auf verschiedene Behörden zu verteilen, um eine unkontrollierbare Machtkonzentration zu verhindern. Stattdessen drohe die geplante Vervielfältigung der Kontrollkompetenzen zu ihrer Ausdünnung zu führen; der geplante interne Aufseher diene dagegen nur als Schutzschild, um von der politischen Verantwortung des Premierministers für den Nachrichtendienst abzulenken.

Daraufhin hatte die Regierung vor drei Monaten 54 Seiten Änderungsanträge zu ihrem Gesetzentwurf nachgeschossen. Sie hatte fast jeden Artikel neu geschrieben mit Ausnahme des entscheidenden Artikel drei über die Kompetenzen des Nachrichtendienstes. Sie übernahm viele Detailvorschläge des Staatsrats, ohne aber die allgemeine Ausrichtung zu ändern. Es ging ihr offenbar darum, den Gesetzentwurf möglichst schnell und unauffällig durch das Parlament zu bringen, ohne sich die Unterstützung der CSV und aller anderen, die Charlie sind, zu verscherzen.

Doch der Staatsrat musste am Montag feststellen, dass die Regierung ihm gerade in den Punkten, die er für „wesentlich“ hielt, nur „sehr partiell“ gefolgt sei: Die Kompetenzen des Nachrichtendienstes seien noch immer zu „ungenau“ und mit „zu vagen Formeln“ beschrieben. Was diesem selbstverständlich erlaubt, sich für alles und jeden zuständig zu erklären. Außer allgemeinen Verweisen auf Artikel drei der Nato-Charta und Artikel 73 des EU-Vertrags sei die Regierung auch außer Stande gewesen, die Vertragsstellen anzugeben, mit denen Luxemburg sich zur zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in Geheimdienstangelegenheiten verpflichtet habe. Gerade diese vom Staatsrat angezweifelte Notwendigkeit wird aber seit Jahrzehnten als Rechtfertigung für die Existenz des Spëtzeldéngscht angeführt. Nur ein „ausreichend präziser gesetzlicher Rahmen“ könne, so der Staatsrat, die richtige Antwort auf die „Ungesetzlichkeiten und Dysfunktionen der rezenten Vergangenheit“ liefern.

Der Staatsrat vernachlässigt allerdings die Erfahrung, dass publik gemachte Ungesetzlichkeiten und Dysfunktionen seit der Gründung des Nachrichtendienstes vor 55 Jahren stets dazu dienten, ihm im Zuge von Reformen mehr Agenten, mehr Mittel und mehr Kompetenzbereiche zuzugestehen, ihn noch schöner, noch mächtiger und noch unkontrollierbarer aus seiner Asche aufsteigen zu lassen. Wenn die neuste Reform nun verabschiedet wird, dann waren die Skandale vor zwei Jahren beinahe ein Glücksfall. Denn das Ziel ihrer künftigen Vermeidung erlaubt, dem Geheimdienst, wie in vielen anderen Ländern, neue personelle, rechtliche und technische Mittel zur großräumigen Überwachung zuzugestehen und dabei eine öffentliche Debatte wie derzeit in Frankreich oder Großbritannien zu verhindern.

Romain Hilgert
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