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Dinge, die da kommen könnten

d'Lëtzebuerger Land du 23.10.2020

Sogar in Kanada stand es in der Zeitung, weil das Journal de Montréal vergangene Woche die Meldung der französischen Nachrichtenagentur AFP übernommen hatte: „La Moselle s’alarme de la fuite des soignants au Luxembourg“. Und es wurde vom Krankenhaus in Esch/Alzette erzählt, das französischen Krankenpfleger/innen doppelt bis dreimal so viel zu zahlen imstande sei, wie das Regionalkrankenhaus CHR Metz/Thionville. Der Chef einer Privatklinik in Metz beschwerte sich, das Escher Spital werbe „sehr wild“ ab, und ein Personalvertreter des CHR wusste zu berichten, ein in Chemotherapie spezialisierter Pfleger habe sich nach Luxemburg verabschiedet, obwohl ihm dort nur ein Drei-Monats-Vertrag beim Large-scale testing angeboten wurde, aber monatlich 5 000 Euro Bezahlung.

Ähnliche Meldungen kommen aus Belgien. Der Soir schrieb am Dienstag dieser Woche, der interkommunale Krankenhausbetreiber Vivalia habe in der Province de Luxembourg 2019 fünfzig Abgänge nach Luxemburg verbucht. 42 allein aus Arlon, was der Pfleger-Belegschaft von drei Sta-
tionen im dortigen Krankenhaus entspreche. Im vergangenen Jahr hätten 57 Prozent der Kündigungen aus Anlass eines Wechsels nach Luxemburg stattgefunden, dieses Jahr seien es vermutlich 62 Prozent. In Luxemburg, zitiert der Soir die Personalchefin von Vivalia, verdiene man selbst mit einem Halbtagsvertrag mehr als in einer Vollzeitstelle in Belgien. Wobei, fügt die Direktorin hinzu, sie sich nicht zu laut beklagen wolle: In Arlon sei fast jeder dritte Pfleger Franzose.

Womit Luxemburg nicht ganz so stark am Pranger steht als sich schamlos aus dem Gesundheits-Arbeitskräftereservoir der Nachbarregionen bedienend, obendrein in Pandemiezeiten. Vielmehr ist es, weil in der EU Arbeitnehmer-Freizügigkeit herrscht, nun mal an den Mitgliedstaaten, ihre Gesundheitssysteme attraktiv genug zu halten, damit das Personal nicht fortläuft.

Dennoch ist die Luxemburger Situation speziell. Alleine kann das Großherzogtum seine Gesundheitsberufler nicht ausbilden; das gilt für Ärzt/innen noch mehr als für Pflegepersonal. Es bedient sich also doch im Reservoir der im Ausland und nicht auf Luxemburger Kosten Ausgebildeten. Die Hauptattraktion, die Luxemburg bieten kann, ist das Geld. Krankenpfleger/innen verdienen hierzulande nicht nur mehr als in Frankreich und Belgien (und mehr als in Deutschland), sondern so viel wie in keinem anderen Staat der OECD.

Die Frage des Geldes ist komplex. Nötig wäre aber, dass Luxemburg mehr Krankenpfleger/innen selbst ausbildet und sich junge Menschen dafür auch interessieren. Selbstverständlich ist das nicht. Schichtarbeit wollen nicht viele. Selbst in einer 38-Stundenwoche und mit der Aussicht auf fast 100 000 Euro Jahressalär nach 26 Dienstjahren. Bis Ende dieses Jahres will eine Arbeitsgruppe aus Gesundheits- und Hochschulministerium dem Regierungsrat einen Vorschlag zur Reform der Ausbildung vorlegen, die zurzeit noch am Gesondheetslycée stattfindet, künftig vielleicht in die Universität integriert werden könnte.

Sehr wahrscheinlich aber könnte selbst eine modernisierte Krankenpflegerausbildung den Bedarf der Luxemburger Spitäler nicht decken. Hinzu käme auf jeden Fall noch der Bedarf der Pflegebetriebe, der bei einer immer älter werdenden Bevölkerung entsprechend wächst. Apropos älter werdende Bevölkerung: Probleme, wie das um die Krankenpfleger und Medienberichte um „wildes Abwerben“ könnte es in der nicht allzu fernen Zukunft noch mehr geben. Schon seit ein paar Jahren weisen wissenschaftliche Studien, die sich mit der demografischen Entwicklung in der Großregion beschäftigen, darauf hin, dass Luxemburg, falls es so ein potenter Wirtschaftsmotor bleibt, in absehbarer Zeit nur noch Frankreich als nahes Arbeitskräftereservoir zur Verfügung stehen könnte, Belgien und Deutschland wegen steigender Verrentungen immer weniger. Für Luxemburg folgt daraus, auch Fachkräfte anderer Richtungen hochkarätig hierzulande ausbilden zu müssen. Andernfalls könnte die Konkurrenz um Fachkräfte eines Tages zum politischen Problem werden.

Peter Feist
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