Die CSV unterwegs

d'Lëtzebuerger Land du 03.01.2025

Das RTL-Neujahrsinterview mit dem Premier bot diesmal ein paar interessante Montagen. Ehe das Gespräch mit Luc Frieden auf die Verlängerung der Sonntagsarbeitszeit im Einzelhandel kam, wurde ein Auszug aus dem „Background“ vom 18. Dezember mit Jean-Claude Juncker eingeblendet. In dem dieser erklärt, einfach zu sagen, acht Stunden, „Pang, dat ass elo esou, dat well ech net!“, und er bringt das mit so viel Nachdruck vor, als sei er noch Premier.

Der Anschluss hin zum Thema Sozialdialog und der Rolle der Gewerkschaften beim Zustandekommen von Tarifverträgen wurde mit dem Bekenntnis von CSV-Fraktionspräsident Marc Spautz im „Kloertext“ vom 6. Dezember illustriert, in seiner Partei eine Art Oppositionspolitiker zu sein: „Et weess all Mënsch, wou ech hierkommen“, sagt der frühere LCGB-Generalsekretär, und: „Dass ech net frou si mat verschidden Entwécklungen, do brauch ee guer net laang ëm de Bräi ze schwätzen, dat ass esou.“ Schnitt auf Juncker, diesmal in seinem Büro: „Et gëtt mech och nach ëmmer. A mir sinn net eléng, de Marc an ech. A mir si frou, dass en do ass.“

So offen und vor allem prominent wurde noch nicht darauf hingewiesen, dass es CSV-intern Richtungskämpfe zwischen sozialkatholischem und wirtschaftsliberalem Flügel gibt. Kämpfe, wie sie normal sind für eine Volkspartei, die daraus ihre kollektive Identität ableitet und das, wofür sie stehen will.

Doch solche Auseinandersetzungen sind immer mehr eine Sache der Vergangenheit. Eine von Parteien des 20. Jahrhunderts, die noch unterscheidbare politische Optionen anboten. Im Zeitalter von Globalisierung und Europäischer Union dagegen werden sie zunehmend von „Leadern“ geprägt, und die Parteien der so genannten „Mitte“ wetteifern um einen Platz an einem politischen Pol. Juncker war auch ein Leader; mehr noch als Frieden, der immer wieder darauf hinweisen zu müssen meint, dass er der „Chef“ ist. Die wichtige Nuance zwischen beiden ist Friedens Priorität Wettbewerbsfähigkeit. Während Juncker vor zwei Wochen meinte, einer alleinerziehenden Verkäuferin aus Aumetz könne nicht zugemutet werden, einen halben Sonntag auf Arbeit in Luxemburg und unterwegs dahin und von dort zu verbringen, begründete Frieden an Neujahr die künftig acht Stunden sonntags damit, dass die Zeiten sich nun mal geändert hätten. Online-Handel erlaube Einkaufen rund um die Uhr, und der Luxemburger Einzelhandel müsse „besser“ sein als der in Trier, Arlon und Thionville.

Luc Frieden hat recht, wenn er sagt, die Politik der CSV-DP-Regierung sei „kohärenter“ als die ihrer Vorgängerin. Sie entspricht seiner „Theorie“, wie er selber sagt, vom Primat der starken Wirtschaft. Wenn nicht alles täuscht, ist der Ausgang des Flügelkampfs innerhalb der CSV so offen nicht mehr. Als Luc Frieden am 16. März auch zum Parteipräsidenten gewählt wurde, stimmten von 400 Delegierten nur 15 dagegen.

Aber natürlich ist es heikel einzuräumen, die Volkspartei in eine „Patronatspartei“ zu verwandeln. Deshalb muss Luc Frieden Argumente finden, um einen Schritt wie die Ausweitung der Sonntagsarbeit nicht nur mit Standortpflege zu erklären, sondern auch als Reaktion auf komplexer gewordene Bedürfnisse der Beschäftigten: Die vielen „Patchwork-Familien“ brächten eine Vielfalt an Kinderbetreuungsmöglichkeiten mit sich. Das Fernsehpublikum sollte am Neujahrsabend verstehen, dass sonntags zu arbeiten organisatorisch leichter fallen könne als mittwochs etwa. Vielleicht verstand es das umso besser, als die Änderung vor allem Grenzpendler/innen betrifft.

Ein anderer Versuch, eine Art klassenlose Gesellschaft zu simulieren und so die CSV zu schützen, ist die „breite Konsultation“ zu den Renten. Denn die Regierung weiß offenbar schon, was sie will – wie sie es auch vor einem Jahr schon wusste. Luc Frieden nannte es bei  RTL das „Capuccino-Modell“. Mit einem „Grondsaz vu Kaffi, doriwwer Schlagsan an doriwwer Schockela“. Zu diskutieren bleibe, wie hoch die „dezente Grundrente“, die Menge Kaffee in der Tasse, sein soll. Das süße Obenauf wären Zusatzversicherungen. Und nein, die seien „nicht nur“ ein Geschäft für die Versicherer.

Peter Feist
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