Ernste Party Die Stimmung ist nicht gerade ausgelassen, als am Mittwochmorgen ab 8 Uhr die ersten Gäste im Bistro The Spot in der Stater Rue Notre-Dame eintreffen. Die US-Botschaft hat zur „Election Results Party“ eingeladen. Mitarbeiterinnen der Botschaft begrüßen die Ankommenden mit der professionellen Freundlichkeit, die Amerikaner so wunderbar beherrschen. Doch um diese Uhrzeit sind die Wahlen quasi schon gelaufen. Donald Trump hat die Mehrheit im swing state North Carolina geholt. Die Hochrechnungen aus weiteren dieser entscheidenden Bundesstaaten, die CNN oder die New York Times ins Internet stellen, deuten an, dass das so weitergehen dürfte. Die Mehrheit im Senat haben die Republikaner ebenfalls schon errungen. Es sieht so aus, als hätten die Wenigsten, die sich nun erst mal einen Kaffee genehmigen, damit gerechnet, dass die Stimmabgabe so schnell so deutlich für einen verurteilten Verbrecher ausfallen werde.
Als Donald Trump sich von seinem Wahlkampf-Hauptquartier in Florida aus zum Sieger erklärt, obwohl das da noch nicht ganz klar ist, Männer in seinem Wahlkampfteam „capable“ nennt, Frauen „beautiful“, stehen im Bistro die meisten mit ernsten Mienen vor den Bildschirmen. Jede Menge Presse, Mitarbeiter anderer Botschaften. Ein paar Luxemburger Politiker/innen sind da. Dan Biancalana von der LSAP, Alex Donnersbach von der CSV, Djuna Bernard von den Grünen. Die frühere Grünen-Abgeordnete Jessie Thill scheint vom Gang der Dinge besonders angegriffen. Sie hat Verwandte in den USA, ihre Mutter wurde in Texas geboren. Vergleichsweise gelassen wirkt ADR-Fraktionssprecher Fred Keup.
Eine halbe Stunde später hat Trump die 270 Stimmen für die Mehrheit im electoral college erreicht. Botschafter Tom Barrett tritt ans Rednerpult. Er gibt dem Wahlverlauf einen positiven Spin: Die amerikanische Demokratie zeige sich hier mit ihren Stärken und Schwächen, nichts werde unter den Teppich gekehrt. Im Übrigen werde nicht nur der Präsident gewählt, sondern auch Abgeordnete, Gouverneure, Parlamente auf Bundesstaatsebene und manche Gemeinderäte. Das klingt schön, weil es über Trump hinaus verweist und eine Normalität beschwört. Dass Barrett, Abgeordneter der Demokraten im Repräsentantenhaus von 1993 bis 2003, Wahlen mit Sportwettkämpfen vergleicht, klingt auch schön. Dabei zeichnet sich ab, dass Trump nicht nur den Bundesstaaten-Proporz der Wahlmänner und Wahlfrauen für sich entschieden hat, sondern auch den popular vote. 2016 wurde er darin von Hillary Clinton um fast drei Millionen Stimmen übertroffen.
Was soll der Botschafter dazu weiter sagen; er hat unparteiisch zu sein. Im Gespräch mit dem Land betont er, wie „confident“ er sei, dass die Regierung Trump II die EU als „ally“ behandeln werde, nicht als „adversary“. Sogar ganz zuversichtlich ist er, dass die Beziehungen zwischen den USA und Luxemburg weiter gedeihen, schließlich teile man gemeinsame Werte. Wie dazu passt, dass Trump angekündigt hat, sich an politischen Widersachern zu rächen, oder dass er das Wahlergebnis von vor vier Jahren nicht anerkannte und sein „Stop the steal!“ einen Mob ermunterte, am 6. Januar 2021 das Kapitol zu stürmen, erörtert Tom Barrett lieber nicht. Zumal die Liste der Werte-Divergenzen sich fortsetzen ließe.
„Défi!“ Als CSV-Premier Luc Frieden sich im Radio äußert, hat er Trump noch nicht zum Wahlsieg gratuliert. Das tut er erst gegen Mittag, als das Resultat definitiv ist. Am frühen Nachmittag gibt er noch eine kurze Pressekonferenz. Dort beantwortet er gerne die Frage, welches sein erstes Gefühl war, als er vom Trend der Wahlen erfuhr: „Défi!“ Ein Regierungschef müsse Antworten und Lösungen liefern.
Die Koketterie mit leadership ist nicht zu überhören, aber dass Trump wie vor acht Jahren die Grundlagen der amerikanischen Außenpolitik fundamental verändern wird, ist abzusehen. Was erneut die Koordinaten der Luxemburger Außenpolitik beeinflussen wird, die seit der Aufgabe der Neutralität des Großherzogtums auf der Europäischen Union und der Nato basiert. Die EU ist das für Luxemburg überlebenswichtige Wirtschaftsbündnis. Es sichert dem kleinen Land diplomatischen Einfluss und ist Geschäftsgrundlage für den Finanzplatz, den abzusichern eines der Hauptinteressen der Luxemburger Außenpolitik darstellt.
So gesehen, wundert es nicht, dass der Premier in seiner Botschaft an Donald Trump via X auch verspricht: „I will work hard to build on the strong transatlantic partnership, in line with Luxembourg’s principles and interests.“ Das liest sich auf den ersten Blick, als sähe Frieden sich gegenüber Trump in einer Bringschuld. Doch neben dem Wunsch, Luxemburg den viertwichtigsten Handelspartner zu erhalten und jene 20 Prozent der Einlagen der Fongenindustrie, die aus den USA kommen, steckt darin auch die Ankündigung, sich für eine geeintere EU einsetzen zu wollen. Was für Luxemburg alternativlos ist.
Die Frage ist natürlich, für welche geeinte EU. Am Montag hatte Luc Frieden in Warschau bei der Eröffnung einer Außenstelle des College of Europe eine europapolitische Grundsatzrede gehalten. Indem er sie mit dem Punkt gemeinsame Verteidigung begann, für die Russlands Krieg in der Ukraine ein „Weckruf“ sei, ging er gegenüber Polen klüger vor als beispielsweise der deutsche Bundeskanzler. Der hatte kürzlich zu einem Treffen über die Ukraine Emmanuel Macron und den britischen Premier Keir Starmer eingeladen, aber nicht Polens Premier Donald Tusk. Was dieser Olaf Scholz übelnahm.
Gegenüber der Presse am Mittwoch verweist der Premier selber auf seine Warschauer Rede, spricht aber allgemein davon, dass er für mehr Integration plädiert habe. Die EU müsse „auf die Füße“ kommen. Was ihr nach dem Brexit gelang, müsse sie auch jetzt schaffen. In Einzelheiten aber ging Frieden in Warschau viel weiter als bisher von ihm oder der CSV zu vernehmen war. „Persönlich“ halte er eine EU-Armee für nötig. Das ist neu; Jean-Claude Juncker vertrat diese Idee als EU-Kommissionspräsident ab 2015, nicht als Premier, und die CSV ging so weit noch nie. In ihrem Europawahlprogramm 2019 stellte sie klar: „Das Ziel der europäischen Verteidigungsinitiative ist nicht eine einheitliche europäische Armee, sondern ein einsetzbarer Verbund europäischer Streitkräfte, die gemeinsam operieren können.“ In ihrem Programm 2024 tauchte der Satz, „Europa“ müsse „darauf vorbereitet sein, seine Verteidigung alleine zu gewährleisten“, als eine Art worst case-Szenario auf, weil mit der Einschränkung „gegebenenfalls“ versehen. Und ohne den Begriff „Armee“.
In Warschau brachte Frieden auch die Idee Kerneuropa wieder auf. Mit „konzentrischen Kreise unterschiedlicher Integrationsgeschwindigkeiten“. Im zweiten Kreis neben dem „hochintegrierten Kern mit gewissen förderalen Elementen“ hätten Mitgliedstaaten Platz, denen es lediglich auf eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit und eine Freihandelszone ankommt. Der dritte Kreis wäre für Beitrittskandidaten, der vierte für Länder wie Großbritannien oder die Schweiz, die mit der EU kooperieren.
Für Luxemburg stand nie außer Frage, zu einem Kerneuropa gehören zu wollen, wann immer in den letzten zwei Jahrzehnten dieses Thema aufkam. Ob ein Konstrukt „Freihandelszone neben hochintergriertem Kern“ der EU zu dem Gewicht verhilft, um mit den USA unter Donald Trump „auf Augenhöhe“, zu sprechen, wie Luc Frieden sich wünscht, und sie nicht etwa schwächt, ist eine viel weiter reichende Frage. Der Premier möchte sie auf seiner Pressekonferenz nicht diskutieren. Das sei „hier nicht das Thema“. Seine Warschauer Überlegungen hätten den Rea-
litäten Rechnung getragen, erklärt er nur. Doch die Realitäten lassen es auch möglich erscheinen, dass die EU angesichts einer zweiten Trump-Regierung nicht näher zusammenrückt. Frankreich ist politisch geschwächt. In Deutschland gibt es ausgerechnet seit dem US-Wahltag eine Minderheitsregierung und womöglich im März vorgezogene Wahlen. Neben Ungarns autokratischem Premier Viktor Orbán, der Donald Trump schon am frühen Mittwochmorgen zum Wahlsieg gratuliert hat, könnten vielleicht auch andere bilaterale Deals mit ihm wichtiger finden als europäischen Zusammenhalt. Der informelle EU-Gipfel am heutigen Freitag in – gerade – Budapest könnte erste Hinweise liefern, wie es weitergeht.
Kipppunkte Einer der großen Unterschiede gegenüber der ersten Trump-Präsidentschaft besteht darin, dass die Weltlage seither fragiler und gefährlicher geworden ist. Ein zweiter großer Unterschied wird sehr wahrscheinlich sein, dass Trump in sein Kabinett und seinen Beraterstab ihm loyal Ergebene holen wird. Statt Angehörige des Republikaner-Establishments, die als adults in the room dem Präsidenten die radikalsten Ideen ausreden. Und vielleicht mehr noch als 2016 hat Trump die Unterstützung von big money. Der größenwahnsinnige Elon Musk, reichster Mann der Welt, der 100 Millionen Dollar in Trumps Wahlkampagne steckte, ist nur der prominenteste Milliardär. Dass es zahlreiche andere aus dem Silicon Valley gibt, die unter anderem auf wenig Regulierung für Künstliche Intelligenz hoffen, ist neu im Vergleich zu 2016. Unterstützung aus der fossilen Brennstoffindustrie dagegen genoss Trump damals bereits.
Schon soll Musk versuchen, wie die New York Times gestern schrieb, Mitarbeiter seiner Raketenfirma SpaceX unter dem neuen Präsidenten auf hohen Regierungsposten unterzubringen. Darunter im Verteidigungsministerium. In seiner ersten Regierung hatte Trump unter anderem einem Klimawandel-Leugner mit Verbindungen zur Ölindustrie die Leitung der Bundesumweltbehörde übertragen. Dass Trump die USA, wie 2017, aus dem Pariser Klimaabkommen zurückzieht, ist nicht unwahrscheinlich.
In solchen Zusammenhängen liegt die Gefahr der zweiten Trump-Präsidentschaft. 2023 war das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Unweigerlich nähert die Menschheit sich Kipppunkten, nach deren Erreichen das Klimasystem nicht mehr sein wird, wie es war. Geopolitisch drohen ebenfalls Kipppunkte. Ein Krieg im Mittleren Osten etwa, falls Trump beschließt, den Druck auf Iran eskalieren zu lassen. Oder ein bewaffneter Konflikt mit China. Dagegen wirkt Trumps Wahlkampf-Ankündigung, auf jegliche Importe Zölle von zehn bis 20 Prozent zu erheben, und auf Importe aus China viel mehr, vergleichsweise harmlos. Nicht harmlos sind Ankündigungen wie die, gegen Protestierende die Nationalgarde einzusetzen. Das lässt ein autoritäres Regime erahnen, das ebenfalls ein Kipppunkt wäre. Noch mehr, wenn es zur Nachahmung anregt. Dass der Kapitalismus keine Demokratie braucht, hat die Geschichte zur Genüge bewiesen. Für einen Überwachungsstaat steht heute Künstliche Intelligenz bereit.