„Entweder gibt ihr zu, dass ihr keine Beweise habt, oder sie werden ihre Eigenschaft, ein Richter zu sein, verbüßen“, klagte der 67-jähriger Journalist Ahmet Altan am Montag über einen türkischen Richter während des Prozesses gegen ihn und weitere 16 Medienmachern. Wenn nur einer der Vorwürfe bewiesen werden kann, würde er auf eine Verteidigung verzichten und auch kein Einspruch einlegen, fügte er hinzu. Altan ist einer der bekanntesten Journalisten der Türkei und sitzt seit über einem Jahr in Isolationshaft.
Die Vorwürfe gegen ihn sind hanebüchen. Er soll einen Staatsstreich organisiert und einer Terrororganisation geholfen haben, ohne Mitglied zu sein. Gemeint ist Fetö (abgeleitet von Fethullah Gülen, d. Red.) – für deren Existenz es bisher keine nachhaltigen Beweise gibt, die das Regime in der Türkei aber täglich für alles Schlechte im Land verantwortlich macht. Ahmet Altan war der Chefredakteur der inzwischen verbotenen Tageszeitung Taraf. Taraf hatte vor einigen Jahren Dokumente veröffentlicht, die Putschpläne der Militärs gegen die Regierung offenbarten. Durch Altans Arbeit landeten damals Putschverdächtige im Gefängnis. Damals freute sich Erdogan über die mutige Berichterstattung. Doch nachdem die Zeitung kurz darauf ihn und seine Regierung kritisierte, verbündete er sich mit den angeklagten Militärs, und nach dem gescheiterten Putschversuch landete diesmal Altan im Gefängnis.
Solche schnell wechselnde Bündnisse in der Türkei machen es zunehmend schwierig, die Lage der Journalisten im Land zu begreifen und zu verbessern. Laut Journalistengewerkschaft der Türkei (TGS) sind zur Zeit 161 Journalisten in Haft, das sind mehr als in China oder Russland. Die meisten warten seit Monaten darauf, dass ihnen überhaupt gesagt wird, wessen sie beschuldigt werden. Auch Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten, befinden sich auf dieser Liste, wie Deniz Yücel, Korrespondent der deutschen Tageszeitung Die Welt.
Ein Großteil der Inhaftierten ist in den Medien der Gülen-Bewegung tätig gewesen, die Erdogan und die Vertreter des Regimes konsequent Fetö nennen. Unter dieser Gruppe der Medienmitarbeiter befinden sich nicht nur schreibende Journalisten, sondern auch diejenige, die beispielsweise für das Layout zuständig waren.
Eine ähnlich große Gruppe bilden die kurdischen Journalisten. Sie waren schon vor dem Putschversuch immer wieder von willkürlichen Festnahmen betroffen. Nach dem 15. Juli gingen türkische Behörden noch härter gegen sie vor. Ihre Zeitungen, Nachrichtenagenturen und Fernsehsender wurden verboten. Nicht nur sie selber, sondern auch diejenige wurden eingesperrt, die gegen ihre Verhaftung protestierten.
Damit ist die lange Liste der inhaftierten Journalisten aber nicht zu Ende. Denn die islamistische Regierungspartei, AKP, und der Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nutzten das Chaos und den Schreck des Putschversuchs und gingen auch gegen Laizisten und linksliberale Intellektuelle vor. Die laizistischen Zeitungen Cumhuriyet und Sözcü, die erste hauptsächlich kemalistisch und Sözcü eher staatstragend, wurden hart angepackt. Vor allem die Verhaftung führender Mitarbeiter von Cumhuriyet im vergangenen November löste im In- und Ausland heftige Kritik aus. Doch am schlimmsten getroffen wurden die linksliberalen Kommentatoren. Sie haben keine breite politische Unterstützung in der Bevölkerung und sind damit die Zielscheibe von fast allen anderen Gruppen. Untereinander sind sich die verschiedenen Gruppen und die jeweiligen inhaftierten Journalisten nämlich überhaupt nicht grün. Laizistische Autore sind in der Regel gegen Journalisten, die für die Gülen-Bewegung arbeiteten, weil sie Islamisten sind. Diese sind gegen die Kurden und Kurden wiederum gegen Laizisten, weil sie gleichzeitig streng türkisch-nationalistisch sind.
Dass das Regime die Verhaftungswelle häufig ohne eine offizielle Klage durchziehen kann, liegt auch ein bisschen an der mangelnden Solidarität der Betroffenen untereinander. Oft beschuldigen sie sich gegenseitig – das nutzen die Handlanger Erdogans im Justizapparat aus. Lange Haftzeiten sind offensichtlich als Strafe gedacht, weil Gerichtsprozesse, würden sie nach rechtsstaatlichen Regeln geführt, keine Chance auf Erfolg haben. Viele der Vorwürfe gegen die Journalisten sind lächerlich und haltlos.
Ein Journalist von Cumhuriyet beispielsweise wird beschuldigt, Fetö-Mitglied zu sein, weil der Bruder eines Bäckers, bei dem er einmal eine türkische Pizza bestellt habe, auf seinem Mobiltelefon die App ByLock installiert habe, die, so behauptet die Regierung, nur Mitglieder von Fetö benutzen würden. Der Krieg des Regimes gegen Journalisten ist für Erdogan noch aus einem weiteren Grund von Vorteil: Nach dem willkürlichen Wegsperren der Kritiker hat er seine eigene Leute in fast allen Medien unterbringen können. Die meisten türkischen Zeitungen und Fernsehsender sind heute Sprachrohre Erdogans.
Das Gros der Mitarbeiter in diesen Medien sind bisher unbekannte Menschen, die auch nicht wie Journalisten agieren, sondern eher wie mediale Attentäter des Regimes. Sie werfen mit Dreck um sich – vor allem gegen Berufsjournalisten, die professionelle Kriterien einhalten. Oft werden ihnen Vorwürfe gegen inhaftierte Journalisten früher zugespielt, als deren Anwälte davon erfahren. Es gibt Scharfmacher, die gegen Oppositionelle hetzen und damit drohen, sie würden die Sicherheitskräfte auf sie loslassen. Das Schlimme ist: Das passiert dann auch tatsächlich.
Diese Willkür des Regimes gegen die Medien trägt allerdings zur außenpolitischen Isolation der Türkei bei. Das wiederum wirkt sich allmählich negativ auf die Wirtschaft aus. Inflation, Arbeitslosigkeit und Staatsschulden schnellen in die Höhe. Inzwischen beunruhigt das die Bevölkerung und sogar manche in der regierenden AKP. Ob die Angst, das Land könne gegen die Wand fahren, die Bürger dazu bringt, dem Regime die Rote Karte zu zeigen, ist allerdings fraglich. So lange dies nicht passiert, werden die Journalisten im Land weitere Willkür über sich ergehen lassen müssen.