Geraten zwei Türken aneinander, ohne den Faustkampf wagen zu wollen, sagen sie : „Ich wünsche Dir Erfolg im Leben!“. Was heißen soll: Geh zur Hölle! Es ist aber auch ein Gruß, mit dem altgediente Mitarbeiter am Ende ihrer Karriere verabschiedet werden. Ibrahim Kalin, Sprecher des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, wählte just diesen zweideutigen Satz, um den Abschied von drei der vier höchstrangigen Generäle der Türkei zu verkünden. In der Republik Türkei ist es Tradition, dass am 30. August jedes Jahres, also am Jahrestag des Sieges der türkischen Streitkräfte über den griechischen Gegner im so genannten Befreiungskrieg, Beförderungen und Verabschiedungen in der Armee in Kraft treten. Zuvor tagt der Hohe Militärische Rat (YAS) und beschließt diese.
Kein Wunder, dass es in diesem Jahr kein „business as usual“ war. Ein Jahr nach dem versuchten Militärputsch war man auf alles gefasst. Auch das Nato-Personal verfolgte gespannt die Nachrichten aus Ankara, denn die türkische Armee ist die zweitgrößte des westlichen Verteidigungsbündnisses. Die Personalien waren dann keineswegs überraschend. Die Kommandanten der Land-, Luft- und Seestreitkräfte wurden allesamt in den Ruhestand versetzt. Der seit dem Militärputsch umstrittene Generalstabchef, Hulusi Akar, blieb auf seinem Posten, obwohl seine Rolle während des Putschversuchs bis heute ungeklärt ist.
Nach Bekanntwerden der Entscheidungen meldeten westliche Medien Besorgnis in den Nato-Etagen. Man wisse nicht, mit wem die Nato nun beim Bündnispartner Türkei zusammenarbeiten könne. Die Sorgen der Nato-Oberen sind nicht neu. Seit längerer Zeit fürchtete man, dass ranghohe türkische Militärs, die mit den Strukturen der Nato vertraut sind, und zum Teil sogar von Partnern im Militärbündnis ausgebildet worden waren, gefeuert werden sollten.
Dies war nicht die Sorge der überwältigenden Mehrheit der Türken. Im Gegenteil: Die meisten Menschen in der Türkei, unabhängig von ihrer politischen Couleur, haben keine Lust mehr auf eine traditionell selbstverliebte Armee. Streitkräfte, die von sich als Aufpasser der Nation sprechen, könnten jederzeit zuschlagen. Der Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres gab dieser Angst neue Nahrung. Seit dem Putsch wurden mehrere Tausend Armee-Angehörige verhaftet, entlassen und vor Gericht gestellt. Das Regime in Ankara inszeniert die Gerichtsprozesse gegen die vermutlichen Putschisten ähnlich denen, wie sie das Dritte Reich oder Stalin in der Sowjetunion inszenierte. Dennoch empfinden Türken kaum Empathie für die entmachteten Generäle.
Sorgen machen sie sich allerdings über die Zukunft ihrer Armee. Die Opposition befürchtet, dass Erdogan eine Clique an die Armeespitze bringt, die ihm treu ergeben ist. Militärexperte Metin Gürcan sprach vor dem Putschversuch von vier gleich starken Fraktionen in den Reihen der türkischen Streitkräften. Nach den Ereignissen des vergangenen Sommers erstarkte nur noch die Fraktion der Islamisten. Die so genannte Nato-Fraktion hingegen ist abserviert. Dass die Regierung in Ankara die Kadettenausbildung den Kemalisten entzog und gleichzeitig den Zugang der Absolventen von Religionsschulen in die Armee ermöglichte, verstärkt den Argwohn in der Bevölkerung. Viele Beobachter befürchten nun, dass mit der aggressiven Kritik aus Ankara gegen westliche Verbündete die Neustrukturierung der türkischen Armee zu einer Krise in der Nato führen könnte.
Ein erstes Indiz liefert die Krise zwischen Deutschland und der Türkei, die ausgelöst wurde durch den Streit um die im türkischen Incirlik stationierten Bundeswehrsoldaten. Ankara hatte behauptet, im deutschen Bundestag säßen TerrorUnterstützer – gemeint waren die Abgeordneten der Linken – und untersagte daraufhin dem Verteidigungsausschuss des Parlaments den Besuch der Bundeswehrsoldaten in der Türkei. Daraufhin wurden deutsche Tornados, eingesetzt im Kampf gegen den so genannten Islamischen Staat, aus der Türkei nach Jordanien verlagert. Ein ähnliches Problem mit dem deutschen Personal auf Awacs-Aufklärungsflugzeugen im Nato-Stützpunkt Konya wurde diese Woche durch die Vermittlung der Nato fürs Erste wahrscheinlich entschärft. Nun sollen sieben deutsche Abgeordnete unter Leitung eines Nato-Vertreters doch noch ihre Soldaten besuchen dürfen.
Doch dieser Kompromiss und die Reaktionen darauf deuten auf größere Verwerfungen innerhalb der Nato. Alles dreht sich um eine Frage: Kann man dem türkischen Regime mit Kompromissen oder mit Prinzipienstärke Einhalt gebieten? Nachdem die Befürworter eines EU-Beitritts der Türkei mit ihrer Heranführungsstrategie gescheitert sind, übernehmen offensichtlich die Anhänger einer „privilegierten Partnerschaft“ die Regie. Es wird immer deutlicher, dass in der EU noch viele auf eine Zusammenarbeit mit Ankara hoffen und großzügig übersehen, dass das Regime in Ankara Menschenrechte mit Füßen tritt. Ihnen ist vor allem wichtig, dass die Türkei, wie ehedem im Kalten Krieg, sich politisch nach Westen hin orientiert und das militärische Bündnis ergeben unterstützt.
Die Zeiten, in denen die Türkei diese Rolle zuverlässig erfüllte, sind jedoch längst vergangen. Es wird immer wahrscheinlicher, dass Ankara das westliche Bündnis durch die Hintertür zu verlassen sucht. Erdogan und seine Anhänger nehmen Kompromissvorschläge, wie im Streit um den Nato-Stützpunkt Konya mit Freude entgegen und weiten ihre Spielräume aus. In der Nato nutzt die Türkei jede Gelegenheit, westliche Werte zu diskreditieren und sucht dabei zunehmend die Nähe zu Moskau und neuerdings auch China. Das Land erklärte in den vergangenen Wochen islamistische Uiguren zum ersten Mal zu Terroristen. Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu betonte vergangene Woche bei einem offiziellen Besuch in China, dass die Türkei alles tun werde, um „China-Gegner in der Türkei zu eliminieren“. So nähern sich West-kritische türkische Politiker schleichend ihrem Ziel, ohne es klar ansprechen zu müssen, das Land irgendwann doch noch vom Westen abzukoppeln.