ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Trade-Unionismus

d'Lëtzebuerger Land du 03.06.2022

Die OGBL-Führung ist wieder einmal sauer auf die LSAP-Minister: Sie haben zugelassen, dass die DP die Tripartite ohne den OGBL beendete. Die LSAP-Führung ist wieder einmal sauer auf die OGBL-Funktionäre: Mit ihren Kapriolen verkomplizieren sie ein Jahr vor den Wahlen das Regieren.

Das ist nicht neu. In ihrer langen Geschichte wedelten beide Organisationen stets gemeinsam. Aber sie waren oft uneins, wer der Dackel und wer der Schwanz ist.

Das Zensuswahlrecht währte länger als in anderen Ländern. So dominierten paternalistische Notabeln die Sozialdemokratie. Die modernen Massengewerkschaften entstanden in der Not des Ersten Weltkriegs. Auch als Klassenorganisationen gegen die Koalition sozialdemokratischer Notabeln mit liberalen Schmelzherren. In den Sesseln der Schmelzherren sitzen heute Alfi und EY.

Nach der Abspaltung der Kommunisten und der Niederlage im Streik von 1921 waren Partei und Gewerkschaft geschwächt. Sie verbündeten sich. Dazu nannte die Partei sich 1924 „Arbeiterpartei“. Sie wollte zum parlamentarischen Arm der Gewerkschaft werden. Die Gewerkschaft wollte zum Wählerreservoir der Partei werden. So verlagerten sie den Klassenkampf von den Betrieben und von der Straße ins Parlament. Die liberalen Schmelzherren waren zufrieden.

Statt großer Sprünge begnügte man sich nun mit kleinen Schritten. Kritikerinnen sprachen von Trade-Unionismus. Es begann die goldene Zeit der lautstarken und trinkfesten Patriarchen. Sie waren Gewerkschaftsvorsitzende, Abgeordnete und Gemeindepolitiker in einer Person, sie wurden Minister und leiteten das Tageblatt.

Nach dem Krieg wollten die Arbeiter 1944 eine Einheitsgewerkschaft. Die lautstarken und trinkfesten Patriarchen fürchteten um ihren Einfluss. Sie bevorzugten die Spaltung der Arbeiterbewegung. Die sozialistischen Notabeln aus dem Zentrum und die Arbeitergewerkschaft aus dem Süden einigten sich auf den Kompromissnamen „Sozialistische Arbeiterpartei“.

Erschreckt vom gesellschaftlichen Aufbruch der Sechzigerjahre verließen Sozialdemokraten und rechte Gewerkschafter die LSAP. Gemeinsam mobilisierten Partei und Gewerkschaft für den automatischen Index, eine fünfte Urlaubswoche und gegen den CSV-Staat. In der Stahlkrise versuchte die Gewerkschaftsführung, den Fehler von 1944 gutzumachen. Dazu ging sie symbolisch auf Distanz zur Partei. Der Versuch schlug fehl.

Seit 1984 gehört die LSAP 33 Jahre lang der Regierung an. Die Lohnabhängigen sollen der Gewerkschaftsführung vertrauen, diese der Partei und die Partei den Abgaben des globalen Finanzkapitals. Diese endemische Variante des Neoliberalismus wird als „Luxemburger Modell“ gefeiert.

Die Gewerkschaft wurde zum Pannendienst am Arbeitsplatz. Die Partei wandte sich linksliberalen Mittelschichten zu. Sie strich das Arbeitsrecht aus ihrem Wahlprogramm. Sie bemühte sich wiederholt, den „Arbeiter“ aus dem Parteinamen zu streichen. In der Bankenkrise 2008 erwachte ein linker Flügel in der LSAP. Er schlug bessere Beziehungen zur Gewerkschaft vor. Dann schlief er wieder ein.

Für die Wahlen nächstes Jahr muss man sich wieder zusammenraufen. Die LSAP will keine Gewerkschaftsstimmen an déi Lénk verlieren. Sie machte einen ersten Schritt. Der Arbeitsminister ging mit seinen Leibwächtern zur Maifeier der Gewerkschaft. Er versprach eine Expertenstudie über Arbeitszeitverkürzung. Eine Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn geht auf Kosten des Mehrwerts. Deshalb können nur Arbeitskämpfe die Arbeitszeit verkürzen. Expertenstudien sollen das verhindern.

Nach ihrem Nein zur Indexmanipulation kann die Gewerkschaftsführung schlecht zur Tagesordnung übergehen. Sie will ihre Mitglieder für die Stärkung der Kaufkraft mobilisieren. Im Wahlkampf könnte das als Mobilisierung für die Stärkung der LSAP missverstanden werden. Manche empfänden ein solches Missverständnis als schönes Happyend.

Romain Hilgert
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