ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Index-Wahlkampf

d'Lëtzebuerger Land du 13.05.2022

Die Tripartite hat ihre Schuldigkeit getan. Das Parlament kann die geplante Index-Manipulation zum Gesetz machen. Im Laufschritt, um der nächsten Index-Tranche zuvorzukommen.

Wenn die Preise rasch steigen, drückt der Index ein Kräfteverhältnis aus. Mit ihm wird entschieden, wer die Kosten tragen muss des teureren Benzins, des abgewerteten Franken, des Russlandembargos: die Unternehmer, ihre Kunden oder ihre Beschäftigten.

In den Siebzigerjahren war die Arbeiterbewegung stark. Mit dem Streik und der Großkundgebung vom 9. Oktober 1973 trug sie zur Abwahl der CSV bei. DP und LSAP gewährten allen Lohnabhängigen und Rentnern den automatischen Inflationsausgleich. Die Gewerkschaften waren so stark, dass 1975 bei 10,72 Prozent Preissteigerung fünf Index-Tranchen in einem Jahr ausgezahlt wurden.

In den Achtzigerjahren erlebte die Arbeiterbewegung eine Niederlage. Das lässt sich am Index ablesen. Unabhängig von der Inflationsrate wurde seit 1984 nie mehr als eine Tranche jährlich ausgezahlt. Nur 1991 waren es zwei. Stiegen die Preise langsam, mussten die Unternehmer keine oder eine Tranche pro Jahr zahlen. Stiegen die Preise schneller, verzögerte oder strich die Regierung die zusätzlichen Tranchen. So senkte sie die Reallöhne der abhängig Beschäftigten. Seit bald 40 Jahren kann von „Index-Automatismus“ keine Rede mehr sein.

Das Gesetz vom 1. Juli 1981 machte den Anfang. Gegen den Widerstand der Gewerkschaften in der Tripartite verschob es die Auszahlung der Index-Tranchen. Trotz eines Streiks und einer Großkundgebung strich das Gesetz vom 8. April 1982 drei Tranchen im selben Jahr. Das Gesetz vom 27. Juni 2006 legte je eine Tranche für 2006, 2008 und 2009 fest. Die Gewerkschaften tauschten die Index-Tranchen gegen das Einheitsstatut für Arbeiter und Angestellte. In einer „Bipartite“ sagten sie auch Ja zum Gesetz vom 8. April 2011. Es schob die Auszahlung einer Index-Tranche auf. Gegen den Widerstand der Gewerkschaften beschränkte das Gesetz vom 31. Januar 2012 die Zahl der Tranchen bis 2014 auf eine pro Jahr.

Nach einigen Jahren langsamen Preisanstiegs nehmen DP, LSAP und Grüne die Index-Manipulationen wieder auf. Ihr Gesetzentwurf soll die nächste Tranche auf den 1. April 2023 aufschieben, eine weitere auf den 1. April 2024. Gegen den Widerstand der größten Gewerkschaft.

Das Gesetz soll die Index-Bewirtschaftung bis nach den Kammerwahlen regeln. Damit der Index kein Wahlkampfthema wird. Nicht wie 1984, als die LSAP versprach, den automatischen Index wieder herzustellen. Oder 2013, als die CSV ankündigte, den Index zu „deckeln“. Die Unternehmer fürchten, öffentliche Bietergefechte zu verlieren.

Nun kommt der Index-Wahlkampf wieder: Niemals mussten die Unternehmer ausgefallene Index-Tranchen nachholen. Aber Artikel 22 des Gesetzentwurfs besagt, dass „[t]outes les tranches déclenchées et non appliquées en vertu du dispositif transitoire de l’alinéa précédent, le seront au 1er avril 2024“. Die Unternehmer sollen alle aufgeschobenen Index-Tranchen auf einen Schlag auszahlen. Aber das Stichdatum ist der 1. April.

Nächstes Jahr werden die Parteien gefragt, ob sie tatsächlich den Unternehmern fünf oder 7,5 Prozent Nominallohnerhöhungen abverlangen werden. Oder ob sie rechtzeitig vor dem 1. April 2024 das Gesetz abschaffen wollen.

In der DP mögen die besseren Beamten und Angestellten den Index. Ihre Mittelständler hassen ihn. Solche Widersprüche durchziehen auch eine Volkspartei. Die CSV versteckt sich am liebsten hinter dem Sozialdialog. Die Grünen lässt der Index kalt. Die kleineren Oppositionsparteien haben nichts zu verlieren. Am meisten windet sich die LSAP. Wirtschaftsminister Franz Fayot versprach in einem Atemzug dem OGBL, dass „keng Index-Tranche wäert annuléiert ginn“, und der UEL, dass die nächste Regierung über weitere „Modulatiounen“ zu entscheiden habe (rtl.lu, 4.5.).

Romain Hilgert
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