Vergangene Woche hatten das Außenministerium, die Stadtverwaltung und der lokale Interessenverein eine Bürgerversammlung organisiert. Sie erklärten den Anrainern die Unterbringung ukrainischer Kriegsflüchtlinge in einem Kirchberger Containerbau. Einwanderungs- und Asylminister Jean Asselborn verwies auf die unterschiedlichen Rechtsstellungen von Asylbedürftigen: „Dat eent sinn déi régulaire Leit, déi Protection internationale froen, an dat anert sinn d’Leit aus der Ukrain.“
Es gibt ein Wirrsal von Rechtsstellungen für Menschen, die einem Krieg entkamen und Schutz benötigen: Menschen, die monate- oder jahrelang „demandeurs de protection internationale“ sind. Eine Minderheit, die den Status von „réfugiés“ oder der „protection subsidiaire“ erhalten hat. Menschen, die eine „autorisation de séjour pour des motifs humanitaires d’une exceptionnelle gravité“ haben oder denen ein „sursis à l’éloignement et l’autorisation de séjour pour raisons médicales“ gewährt wird. Menschen, die mit Geld oder Gewalt abgeschoben werden.
Das Wirrsal von Rechtsstellungen verwirrt der Landessprachen und -gesetze Unkundige. Sie müssen monate- oder jahrelang in Ungewissheit leben. Sie sollen sich täglich bewusst bleiben, dass ihre Existenz provisorisch ist. Dass sie aufgrund internationaler Konventionen geduldet werden. Dass ihre endgültige Niederlassung unerwünscht ist.
Das Wirrsal liefert sie der Willkür von Bürokratie und Justiz aus. Die ihnen vom Prinzip her Verdächtigungen und Misstrauen entgegenbringen. Die nur darauf warten, sie irgendwohin zurückzuschicken.
Ihnen wird keine Solidarität entgegengebracht, manchmal die moralische Überlegenheit von Mitleid. „Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen, / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey, / Wenn hinten, weit, in der Türkey, / Die Völker auf einander schlagen“ (Faust I., S. 60).
Auf Beschluss des Europäischen Rats gibt es seit dem 4. März Menschen, die eine „protection temporaire“ erhalten. Diese Rechtsstellung ist Menschen aus der Ukraine vorbehalten. Sie macht alles möglich, was laut Asylrecht unmöglich schien.
Umgehend mussten Asylsuchende aus Syrien, dem Irak, Eritrea und Afghanistan die Flüchtlingsunterkunft auf dem Kirchberg räumen. Sie wurden in der Wanteraktioun für Obdachlose auf Findel untergebracht. Sie mussten Platz machen für Flüchtlinge aus der Ukraine.
Auf den ersten Blick haben es Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine besser. Menschen aus Afrika und Asien unterliegen den Dublin-Regeln. Sie müssen Asyl im ersten EU-Land beantragen, das sie betreten. Menschen aus der Ukraine dürfen durch die Europäische Union reisen und Asyl im Land ihrer Wahl beantragen.
Zum Empfang von Menschen aus der Ukraine wurde ein Guichet unique eingerichtet. Menschen aus dem Irak haben keinen Zutritt. Sie müssen umso länger warten.
Menschen aus Syrien müssen ein halbes Jahr warten, bevor sie eine Autorisation d’occupation temporaire beantragen dürfen. Ohne Arbeit keine Wohnung: Ihre Selbstbestimmung ist auf einen Heimplatz und ein Taschengeld beschränkt. Menschen aus der Ukraine können sich sofort und ohne Arbeitserlaubnis beim Arbeitsamt melden.
Menschen, die dem Krieg in der Ukraine entkamen, sind willkommener. Ihnen werden eine andere Hautfarbe und Religion angedichtet als Menschen, die dem Krieg in Eritrea entkamen: Die Hautfarbe der parlamentarischen Demokratie, die Religion des Marktes mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb.
Denn ukrainische Männer werden als Märtyrer, ukrainische Frauen als Glaubensbekennerinnen für „unsere Werte“ gefeiert. Sie verteidigen nicht nur ihre Heimat gegen den russischen Imperialismus. Sie verteidigen zugleich die Ausweitung der westlichen Einflusssphäre im Osten. Ohne dass wir die eigene Haut riskieren müssen, um die dortigen Absatzmärkte, Arbeitskräfte und Energielieferanten gefügig zu machen. Die Gastfreundschaft ist Dankbarkeit.