Schon ehe am Dienstag im Parlament die von ADR-Gruppenchef Fernand Kartheiser beantragte Debatte über die „Conséquences des sanctions contre la Russie sur le plan politique, économique et social“ begann, war abzusehen, was kommen würde: Kartheiser würde die Aufhebung der Sanktionen verlangen. Koalition und CSV würden widersprechen, die Piraten vermutlich auch. Am spannendsten würde zu beobachten sein, wie die Linken argumentieren.
Am Ende kam alles noch schlimmer. Kartheiser behauptete nicht nur, dass „Energie in Europa am teuersten geworden“ sei und „wir unsere Wirtschaft kaputtmachen“ durch die Sanktionen. Er moralisierte, Gas werde nun in Katar gekauft, wo die Menschenrechte nicht viel gelten, und in den USA in Form von besonders klimaschädlichem Fracking-Gas. Dabei vergessend, dass Norwegen zum großen Gaslieferanten Europas aufgestiegen ist und erstaunlich viel Gas eingespart wird. Der Ex-Diplomat dozierte auch kühl, die „Kunst der Diplomatie“ bestehe darin, auch mit einem Gegner zu reden. Den jüngsten Leaks in den USA sei zu entnehmen, dass die Ukraine einer größeren russischen Offensive nicht standhalten werde. Also müsse „der Westen“ sich fragen, ob er den Ukrainekrieg „weiter internationalisiert“, wenn nicht verhandelt werden soll. Zweieinhalb Stunden lang konnte Kartheiser die ADR als Friedenspartei inszenieren. Sie all jenen, die über Chamber TV zuschauten oder in den sozialen Netzwerken Videoausschnitte der Debatte zu sehen bekommen, als Partei des gesunden Menschenverstands empfehlen. All jenen, die Angst haben, dass weitere Waffenlieferungen an die Ukraine zu immer mehr Krieg führen, bis der in einen Atomkrieg mündet.
So eine Inszenierung kann gelingen, weil das Parlament selten über den Ukrainekrieg und was er bedeutet, diskutiert. Und wenn, dann nur nach einem oberflächlichem Gut-Böse-Schema. Wobei nicht immer klar wird, wer wofür wirklich steht und warum. Der grünen Abgeordneten Stéphanie Empain konnte man am Dienstag glauben, dass sie besonders linientreu erscheinen wollte, als sie meinte, der Internationale Währungsfonds „spielt der Kreml-Propaganda in die Hände“, weil seine Wirtschaftsprognosen für Russland positiver sind als die für die Eurozone. Die Sanktionen würden Russland schwächen, behauptete sie tapfer. Doch so einfach ist das nicht. Am selben Tag berichteten US-Medien, der Washingtoner Regierung falle auf, dass amerikanische Hochleistungschips in neueren russischen Raketen verbaut sind, die über der Ukraine niedergehen. Und dass die Sanktionen im Transit über Armenien oder das Nato-Mitglied Türkei umgangen werden. Der außenpolitische Sprecher der DP-Fraktion Gusty Graas wiederum erklärte, an Kartheiser gewandt: „Eigentlich schätze ich Sie ja, aber was Sie heute gesagt haben, ist ganz schlimm.“ Aber wieso? Kartheiser hatte schon für die Annexion der Krim Entschuldigungen gefunden und die Aufhebung der damals gegen Russland verhängten Sanktionen verlangt.
In einer Debatte, die vor allem moralisch geführt wird, kann die ADR, die moralisch nichts zu verlieren hat, sich nicht nur einen kühlen Blick auf die Weltlage erlauben. Da laufen auch die Linken in die Falle der ADR. Einen Entschließungsantrag Kartheisers, in dem die Kammer die Regierung aufgefordert hätte, sich für ein Ende der Sanktionen einzusetzen, trugen sie nicht mit; keiner tat das. Einer zweiten Motion, für eine „Friedenskonferenz“, stimmten Nathalie Oberweis und Myriam Cecchetti dagegen zu. In der moralisch geführten Debatte mit verteilten Rollen blieb Oberweis gar nicht die Zeit zu erklären, wieso. „Wir sind für den Frieden“, betonte sie beinah trotzig. Ein grinsender Fernand Kartheiser bescheinigte ihr: „Das freut uns wirklich sehr!“ Natürlich: Nur eine Viertelstunde zuvor hatte LSAP-Außenminister Jean Asselborn Kartheisers Einlassungen „rechtsextrem“ genannt.