Im Anschluss an die Tripartite-Sitzung Anfang März, während der die Sozialpartner das Konjunkturpaket der Regierung bestaunen durften, hatte Premier Jean-Claude Juncker eine kurze Pressekonferenz gegeben. Am Ende seiner Erklärungen kündigte er gut gelaunt an, dass die Arbeiten der Tripartite nun bis nach den Wahlen abgeschlossen seien.
Das war möglicherweise ein Fehler. Sicher wollte die Regierung die Diskussion über die von den Gewerkschaften heftig kritisierten 109 Forderungen des Unternehmerverbands UEL um jeden Preis bis nach den Wahlen aufschieben. Und weil die Tripartite im Laufe der Jahre die zentrale Stelle zur Beilegung sozialer Probleme geworden ist, hoffte die Regierung oder zumindest die CSV vielleicht, dass mit der Tripartite auch die soziale Frage während des Wahlkampfs vom Tisch sei.
Aber ohne Tripartite fühlen sich die auf das „Luxemburger Modell“ eingeschworenen Gewerkschaften in einer der tiefsten Wirtschaftskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg von jeder Beteiligung am „Krisenmanagement“ ausgeschlossen. Um sich und die von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Einkommensverlusten bedrohten Beschäftigten nicht zu passiven Opfern der Krise zu machen, schien die Exekutive des OGB-L keinen anderen Ausweg gesehen zu haben, als auf die Straße zu gehen, am 16. Mai, einem arbeitsfreien Samstag. Dass dabei den befreundeten LSAP-Politikern im Wahlkampf eine Tribüne geboten wird, um sich in der ersten Reihe als letztes Bollwerk des Sozialstaats ablichten zu lassen, ist vielleicht kein unwillkommener Nebeneffekt.
Inzwischen hatte die CSV zudem angekündigt, dass sie die Anfangsgehälter beim Staat kürzen will. Möglicherweise war das noch ein Fehler. Denn so fiel es der CGFP weitaus leichter, dem OGB-L unter ihrem neuen, aus dem öffentlichen Dienst stammenden Vorsitzenden den Verrat von 1998 zu verzeihen und, ebenso wie der ohnehin gerne kämpferische Landesverband, an der Kundgebung teilzunehmen.
So entstand nach und nach eine kritische Masse, die dazu führte, dass kaum eine Gewerkschaft es sich erlauben kann, abseits zu stehen. Diese Woche rief auch die Bankgewerkschaft Aleba zum 16. Mai auf. Nach einigem Zögern entschied sich selbst der zwischen parteipolitischer und gewerkschaftlicher Solidarität hin und her gerissene LCGB, dabei zu sein.
An dieser hierzulande eher seltenen, breitestmöglichen Gewerkschaftseinheit hat die CSV also kein unerhebliches Verdienst. Dafür überträgt sie dem LCGB nun eine um so größere Verantwortung. Denn noch ist nicht ganz klar, wofür und vor allem gegen wen drei Wochen vor den Wahlen manifestiert werden soll. Selbstverständlich für den Aufschwung, für die Arbeitsplätze und für den sozialen Schutz. Aber gegen die Krise, gegen Betriebsschließungen, gegen die UEL, gegen die Kürzung der Anfangsgehälter, gegen eine weitere Indexmanipulation, gegen die CSV, gegen die CSV/LSAP-Regierung oder gegen die Politiker allesamt, die heimlich „das dicke Ende“ nach den Wahlen vorbereiten?
Der LCGB muss nun wohl dafür sorgen, dass die Ziele der Kundgebung unverbindlich genug bleiben, damit neben LSAP-Ministern auch aufrichtige CSV-Kandidaten, wie die LCGB-Führung, und – wer weiß – vielleicht sogar die Minister Biltgen und Jacobs an der Spitze mit marschieren können. Also kein neuer 9. Oktober versucht wird, um im letzten Augenblick auf der Straße doch noch eine Koalition ohne CSV zu erkämpfen.