Parteijugend

Ende der Vorstellung

d'Lëtzebuerger Land vom 30.05.2014

Jugendorganisationen haben mehrere Funktionen in den politischen Parteien: Sie sollen den Nachwuchs heranzüchten und auslesen, sie sollen mit einigen feschen Sprüchen die Partei für Erstwähler attraktiv machen und sie sollen den politischen Gegner unter dem Tisch ins Schienbein treten, wenn über dem Tisch die Mutterpartei den edlen Wettstreit der Ideen beansprucht. Nach dem Debakel der LSAP und den Verlusten von DP und Grünen bei den Europawahlen am Sonntag durfte deshalb die Jugendorganisation der CSV noch vor der Veröffentlichung der offiziösen Ergebnisse eine Pressemitteilung verschicken. Darin rechnete sie vor, dass die Regierung „eindeutig geschwächt“ worden sei und „nunmehr weit unter 50 Prozent des Wäh­lerzuspruchs“ liege. Deshalb stelle sich „aufgrund dieses schwindenden Wählerzuspruchs“ die „Frage nach der politischen Legitimität der Regierung“. Einen Tag später bestätigte CSV-Präsident Marc Spautz diese Sichtweise. Er wollte auf Nachfrage aber nicht so weit gehen, Neuwahlen zu verlangen. Denn dies hatte nach dem Debakel der französischen Sozialisten am Sonntag gleich die Vorsitzende des Front national getan. Außerdem hatte die demokratische Legitimation der Regierung schon im Herbst der Generalvikar angezweifelt, als während der Koalitionsverhandlungen gestreut wurde, dass das Erzbistum nicht von der allgemeinen Sparpolitik verschont bleibe.

Ohne Zweifel geht die liberale Regierungskoalition politisch geschwächt aus den Europawahlen hervor, ihr öffentliches Ansehen hat durch den Sieg der konservativen Opposition gelitten, auch wenn das in einigen Wochen vergessen sein dürfte. Doch die Bezeichnung von sechs Abgeordneten für das Europaparlament in Straßburg ist nicht dasselbe wie die Bezeichnung einer Regierungsmehrheit zur Verwaltung der Staatsgeschäfte in Luxemburg. Die Rechtsmäßigkeit der Regierung anzuzweifeln, erinnert deshalb an eine Destabilisierungsstrategie, deren Umgang mit den Institutionen weit abenteuerlicher wäre als die DP und LSAP im Oktober vorgeworfene Weigerung, die stärkste Partei zu Koalitionsverhandlungen einzuladen. Doch die CSV tut sich oft schwer im Umgang mit den Institutionen, wie zuletzt die Skandale zeigten, die vor einem Jahr zum Sturz ihres Premierministers geführt hatten.

Am Ende ihrer Pressemitteilung schwächt die christlich-soziale Jugend etwas ab und triumphiert stattdessen im Fettdruck: „Handlungsspielraum für große Reformen ist angesichts dieser Wahlen auf jeden Fall nicht mehr gegeben.“ Das liest sich so, als ob die CSV aus Angst vor großen Reformen keine Zeit verlieren wollte, um der Regierung das Ende der Vorstellung anzukündigen.

Dabei hat man in Wirklichkeit noch gar nichts von den großen Wirtschafts- und Gesellschaftsreformen von DP, LSAP und Grünen gesehen. Gesehen hat man bisher lediglich eine kleine Reform, jene der Studienbeihilfen, und die konnte nur missraten. Selbst die angekündigte zehnprozentige Kürzung der Betriebskosten beim Staat endete bei 8,5 Prozent. Der Rest sind großspurige Ankündigungen, die in regelmäßigen Abständen uminterpretiert, zurückgestutzt und aufgeschoben werden.

Was die CSV also in Wirklichkeit sagen wollte: Angesichts ihrer knappen Regierungsmehrheit wussten die liberalen Vierzigjährigen mit den Halstüchern, dass sie nur ihre Flinkheit und Wendigkeit einsetzen konnten, um einen Bewegungskrieg anzuzetteln. Deshalb wollten sie nach den Wahlen strategisch klug die Aufbruchsstimmung in der Öffentlichkeit und den Taumel der angeschlagenen CSV nutzen, um mit einer schnellen Reformoffensive möglichst viel politisches Terrain zu besetzen. Doch ein halbes Jahr später scheint ihre Offensive auf breiter Front in den Interessenkonflikten, der Bürokratie und der Zögerlichkeit stecken zu bleiben. Zusammen mit dem Ergebnissen der Europawahlen macht das der großen alten Tante CSV nun neuen Mut, die Koalition in einen Stellungskrieg zu verwickeln und zu zermürben.

Romain Hilgert
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