Lage der Nation

„Ja, die Grünen haben hinzugelernt!“

d'Lëtzebuerger Land vom 04.04.2014

Merkwürdig sei es schon, dass die Regierung bis Ende des Monats ihr aktualisiertes Stabilitätsprogramm nach Brüssel schicken müsse und sie Anfang des Monats dem Parlament noch kein Material darüber für die Debatte zur Lage der Nation liefere, beschwerte sich CSV-Fraktionssprecher Jean-Claude Juncker am Donnerstag. Doch er muss sich noch bis zum 28. April gedulden, erfuhr er vom Premier.

Ansonsten übte Juncker als Elder statesman der Opposi­tion demonstrativ väterliche Nachsicht gegenüber seinem Nachfolger, der ihm offenbar nachzu­eifern scheine, da die Regierungspolitik vor allem Kontinuität zeige. Als Juncker die Europäische Zentralbank und die Eurogruppe als Zeugen anrief, dass die Regierung von zu optimistischen Wirtschaftsprognosen ausgehe, widersprach ihm sein ehemaliger Minister Alex Bodry im Namen der LSAP-Fraktion. Dann machte Bodry den ehemaligen CSV-Finanzminister Luc Frieden dafür verantwortlich, dass der Finanzplatz bei der Bewertung durch das Global Forum durchgefallen sei. Die Sozialisten wollen aber auch, dass „die Mehwertsteuererhöhung nicht aus dem Index her­ausgebrochen“ werde.

So zeigten die Debatten über die Lage der Na­tion vor allem, dass der am 20. Oktober erfolgte Rollentausch dazu führt, dass sich die Mehrheit und die Opposition noch während Monaten und Jahren vorhalten werden, wie sie seither mit ihren Rollen ihre Gesinnung änderten. Die grüne Fraktionssprecherin Viviane Loschetter, die eine mit pädagogischen Gleichnissen geschmückte Apologie der Regierung vorlas, beanspruchte ihr Recht auf Gesinnungswandel: „Ja, die Grünen haben hinzugelernt!“ Doch auch der stellvertretende CSV-Fraktionssprecher ­Claude Wiseler ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, die Grünen an all die Projekte zu erinnern, die sie in der Opposition ablehnten und nun in der Regierung befürworten.
DP-Fraktionssprecher Eugène Berger wollte seinerseits „nichts beschönigen“. Er blieb dabei, dass die Liberalen das Gehälterabkommen im öffentlichen Dienst für „nicht richtig“ halten.

Aber die Regierung sei nun einmal an das Abkommen ihrer Vorgängerin gebunden. Dafür verlangte er aber, dass es „in den nächsten Jahren bloß noch Null-Abkommen“ gebe. Der ehemalige Lehrer sprach sich auch für die Abschaffung der Arbeitszeitverkürzung im Sekundarunterricht nach Dienstalter aus, weil dies 260 Vollzeitarbeitplätzen entspräche.
Wie Jean-Claude Juncker forderte auch Gast Gibéryen (ADR) soziale Kompensationen für die Mehrwertsteuererhöhung und wollte sich ebenfalls nicht mit der Ankündigung zufrieden geben, dass der Ausgleich über die geplante Steuereform erfolgen soll. Denn den Haushalten mit niedrigen Einkommen, die keine Steuern zahlen, könne man auch keine Steuern erlassen. Ihnen schloss sich Serge Urbany (Linke) an, der sich unter Berufung auf die Caritas Sorgen um die Zukunft des Sozialstaats unter der neuen Koalition machte.

Romain Hilgert
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