Die Meldung freut nicht nur die Lehrer und ihre Berufsvertretungen: Am vergangenen Freitag hieß der Regierungsrat den zwischen Lehrergewerkschaften und Erziehungsminister Claude Meisch (DP) ausgehandelten Kompromiss gut, der zentrale Elemente der Reform des Beamtenstatuts bei den Lehrern zurücknehmen wird. Wie bei den Grundschullehrern wird das berufsbegleitende Praktikum (Stage) bei den Sekundarschullehrern künftig maximal zwei Jahre, also sechs Trimester, dauern. Im ersten Jahr steht ihnen ein persönlicher Berater zur Seite; darauf folgt eine Vertiefungsphase. AnwärterInnen für das Lehramt mit Berufserfahrung können sich diese anrechnen lassen und so die Dauer des Stage auf ein Jahr verkürzen. Parallel wird die Kürzung der Anfangsgehälter für Beamten, die umstrittene 80-90-90 Regelung, zurückgenommen. Damit löst die DP-LSAP-Grüne-Regierung ein Wahlversprechen ein.
Entsprechend begrüßte Patrick Arendt die Entscheidung gegenüber RTL-Radio Lëtzebuerg: „Es wäre besser gewesen, Herr Meisch hätte von Anfang an auf uns gehört“, so ein sichtlich zufriedener SEW-Präsident, der nicht nur eine Kürzung der Dauer anmahnte, sondern einen „sinnvollen Stage“ verlangte. Das berufsbegleitende Praktikum war neben den reduzierten Anfangsgehältern der größte Zankapfel der Reform des Beamtenstatuts, die von der CSV/LSAP 2011 beschlossen wurde, aber von Blau-Rot-Grün umgesetzt werden musste.
Déjà-vu im Stage
Zum Stage im Sekundarunterricht drang nicht so viel Kritik nach außen, der SEW hatte vor allem gegen den ursprünglich auf drei Jahre angesetzten neuen Stage in der Grundschule gewettert mit der Begründung, Kursinhalte seien redundant und die Verschlechterungen spitzten die Personalnot zu. Dass angehende Lehrer trotz bereits erfolgreich abgeschlossenem Studium während des Stage noch zusätzliche Prüfungen ablegen sollten, die im Falle eines Scheitern ein Ende der Beamtenkarriere hätten bedeuten können, sorgte für besondere Unruhe und Empörung. Von 181 Stagiaires jenes ersten Stage-Jahrgangs bestanden vier die Prüfung nicht.
Ob es stimmt, dass sich viele Kursinhalte überschneiden und für die Praxis nicht relevant genug sind, ist unklar. Belastbare Umfragen gibt es nicht. Minister Meisch hatte mehrfach betont, zuletzt im Gespräch mit dem Land diese Woche, der Stage mache nur Sinn, „wenn er einen Mehrwert zur Grundausbildung bringt“. Die Verantwortlichen betonen, viele Teilnehmende begrüßten die berufsbegleitende Unterstützung und bewerteten sie als hilfreich. Eigentlich war das ohnehin der Leitgedanke: Das Institut de formation de l᾽éducation nationale (Ifen) in Walferdingen hatte den Grundschullehrer-Stage mit Lehrern aus der Praxis und Dozenten der Uni so konzipiert, dass Elemente aus dem Studium und Beispiele aus der Praxis vertieft werden sollten. Dafür standen und stehen erfahrene Berater den angehenden Lehrern zur Seite. Hospitationen in den Schulen und Peer-Gespräche mit KollegInnen sollten zum Austausch und zur Reflexion über Best practices dienen. Zudem wurden die Teilnehmenden regelmäßig zur Qualität der Kurse befragt und Inhalte und Angebot gegebenenfalls angepasst. „Wenn wir aber kein Feedback bekommen, können wir auch keine Änderungen vornehmen“, sagt Ifen-Leiter Camille Peping.
Offen für Feedback
Fragt sich, wie das neue Kursangebot aussehen wird. Denn stundenmäßig verändert sich für die Stagiaires ohne Berufserfahrung nicht viel: Insgesamt sind bei zwei Jahren Stage weiterhin 108 Kursstunden vorgesehen; Junglehrer sollen im zweiten Jahr in der Période d’approfondissement stärker als bisher eigene Schwerpunkte setzen können. Die Gefahr einer sinkenden Qualität durch einen Zwei-Jahres-Stage sieht Meisch nicht: Die Prinzipien seien dieselben, nur könnten die Weiterbildungsangebote nun „individualisierter und im Dialog“ zugeschnitten werden.
Doch die gewerkschaftliche Kritik geht über den Stage hinaus. Schon deshalb ist es unwahrscheinlich, dass mit dem jetzt gefundenen Kompromiss Ruhe einkehren wird. Der Brief einer Lehrerin mit der Überschrift „Ech packe mäi Beruff net méi!“, den das SEW auf seiner Webseite veröffentlichte, beschreibt den Frust, der sich bei ihr und KollegInnen durch Belastungen in Folge der Grundschulreform 2009 angestaut habe, durch neue Aufgaben wie Differenzierung und Inklusion, durch eine „Beweis- und Handlungspflicht“, die sich in Form einer „übertriebenen Bürokratie“ und mehr Kontrollen durch die regionalen Direktionen ausdrücke. Der Brief beschreibt Seiten des Berufs, die in der Öffentlichkeit weniger thematisiert werden, wo Polemiken um Privilegien, wie lange Schulferien und ein hohes Gehalt, dominieren.
Allerdings bleibt auch hier unklar, wie verbreitet das darin beschriebene Burnout-Szenario ist, ob es sich um wenige krasse Fälle handelt oder um eine allgemeine Stimmung – und was dagegen zu tun sei, wenn sich Lehrer „desillusioniert“ zurückziehen oder „aus der Klasse flüchten“. Es gibt, wie die Autorin anmerkt, zu Burnout und Wohlbefinden des Lehrpersonals keine Daten, gegen eine solche Analyse zu den beruflichen Qualifikationen, den Arbeitsbedingungen und der Belastung hatten sich die Gewerkschaften stets gewehrt.
Dafür dass der Druck in der öffentliche Schulen zunimmt, sprechen die Schülerzahlen, die sowohl in Grund- als auch in Sekundarschulen steigen. Der Lehrermangel ist unstrittig. Er ist auch nicht erst seit zwei Jahre ausgebrochen, wie manche meinen, sondern hat sich über die Zeit kontinuierlich aufgebaut, weil die Schülerbevölkerung schneller gewachsen ist, als der Staat Lehrer ausbilden und einstellen konnte.
Mehr Schüler, weniger Lehrer
Durch die Krise 2017 wurde lediglich deutlich, dass in manchen Schulen die Personaldecke so dünn geworden war, dass Förderkurse nicht stattfinden konnten und der reguläre Unterricht in Gefahr schien. Mit einem Kraftakt wurden Reserven mobilisiert. Dadurch gelang es dem Ministerium, die akuten Personalnot ohne Stundenausfall zu bewältigen, aber die strukturellen Ursachen dahinter blieben bestehen, wie beispielsweise die starke Feminisierung in den Grundschulen, die ihren Preis hat. Angehende Mütter, und zunehmend Väter, wechseln häufig auf Teilzeit, um Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Außerdem reicht die Zahl der Lehrkräfte, die die Uni am Ende des Studiums mit einem Lehramts-Diplom verlassen, bei weitem nicht aus.Die Gewerkschaften warnen seit Jahren vor dieser schwelenden Personalkrise. Mit der Reform des Beamtenstatuts wurde die Tonlage schärfer: Der Beruf des Lehrers werde durch die zunehmenden Belastungen unattraktiv, der neue Stage, Kontrollen durch verpflichtende Mitarbeitergespräche und das schlechtere Gehalt für BerufsanfängerInnen führten dazu, dass sich immer weniger für das Lehramt interessierten, hieß es seitens der Gewerkschaften.
Doch die Ursachen sind komplexer und weniger eindeutig. Einen Effekt auf den Lehrer-Nachwuchs hatten und haben die Zulassungsbedingungen zum Lehramtsstudium, wie das Luxemburger Wort kürzlich nachzeichnete. Sie wurden im Laufe der Jahre mehrfach geändert. Für das Bachelor-Studium mussten BewerberInnen in der Vergangenheit ein Zulassungsexamen in den drei Landessprachen und seit 2011/2012 auch in Mathematik und Naturwissenschaften bestehen. Die Uni begrenzte damals den Zugang auf maximal 100 Studienanfänger. Das Zulassungsexamen wurde von einem einfachen Concours in ein Examen-concours umgewandelt, eine Hürde, an der viele StudienbewerberInnen scheiterten. Zahlen der Uni Luxemburg, die das Wort veröffentlichte, zeigen, dass die Anzahl der Einschreibungen im Studiengang Erziehungswissenschaften zwischen 2009/10 von 136, die direkt zugelassen wurden, auf 86 im Jahr 2012/13 sank. Das waren auf einen Schlag 50 weniger Lehramtsstudierende als im Jahr zuvor. Weder das von der Uni gesteckte Ziel der hundert Einschreibungen geschweige der vom Unterrichtsministerium im Rahmen aufwändiger Projektionen berechnete Lehrerbedarf von über 200 wurden also erreicht. Es war 2014, als die Durchfallquote über 60 Prozent betrug, dass Meisch die Notbremse zog und ankündigte, den Examen-Concours 2016 abzuschaffen und durch einen einfachen ersetzen. „Es kann nicht sein, dass die Uni nur 60 Bewerber zulässt, wenn wir 250 neue Lehrer brauchen“, kommentiert Claude Meisch das Auseinanderklaffen zwischen Angebot und Nachfrage gegenüber dem Land. Die Uni lockerte die Zulassungsbedingungen 2014, als BewerberInnen mit Schwächen in Französisch trotzdem das Studium antreten konnten, vorausgesetzt, sie arbeiteten die Defizite während des vierjährigen Studiums auf. Im Herbst 2018, angesichts anhaltend zu niedriger Bewerberzahlen, wurden die Bedingungen weiter gelockert und auch Kandidaturen mit Defiziten in Mathe, Naturwissenschaften, Deutsch und Luxemburgisch zugelassen.
Äddi, Generalist?
Es sind also mindestens zwei Entwicklungen, die es unwahrscheinlich machen, dass die Personalkrise im Grundschulwesen schnell behoben werden kann. Gemessen am Bedarf schreiben sich zu wenige Interessenten in ein Lehramtsstudium ein, ein Trend, der nicht auf Luxemburg begrenzt, sondern EU-weit zu beobachten sei, betont Meisch. Zugleich erfüllen Interessenten aber immer häufiger nicht die Bedingungen, um zum Lehramtsstudium zugelassen zu werden. Nicht nur Schüler, sondern auch angehende Lehrer kämpfen also mit den Anforderungen der Mehrsprachigkeit. Das deckt sich übrigens mit Berichten aus den Schulen: Eltern, deren Kinder die öffentliche Schule besuchen, beklagen, dass ihr Kind mit Aufsätzen nachhause kommen, die offensichtlich von der Lehrkraft fehlerhaft korrigiert wurden. Diejenigen, die korrektes Französisch oder Deutsch beibringen sollen, scheinen also in Rechtschreibung und Grammatik selbst nicht sattelfest zu sein. Auf wie viele Lehrkräfte trifft das wohl zu?
Das Wort schlussfolgert angesichts der Defizite, der Generalist in der Grundschule, der alle Altersstufen und Fächer abdeckt, sei „vom Aussterben bedroht“, und fordert die Politik auf, mit einer Reform der Lehrerausbildung „nicht mehr allzu lange“ zu warten. Die Frage, die bisher niemand beantwortet hat, ist: Wie sollte diese aussehen? Minister Meisch warnt davor, die Generalistenausbildung zu schnell infrage zu stellen: „Das würde bedeuten, dass Kinder in der Grundschule künftig öfters den Lehrer wechseln müssten.“ Andererseits: Unterrichten Lehrer Sprachen, ohne sie selbst fehlerfrei zu beherrschen, darf sich niemand wundern, wenn auch die Schüler trotz vieler Stunden Französisch Sprachdefizite aufweisen. Die Krise des gesetzlich verankerten mehrsprachigen Ausbildungsanspruchs ist offensichtlich nicht nur an den Schülerleistungen festzumachen. Die Sprachendebatte hat sich noch lange nicht erledigt.