Die Regierung will mehr kostenlosen Musikunterricht anbieten und so den Zugang zur musikalischen (Früh-)Erziehung erleichtern

Musik für alle

Trompetenunterricht am hauptstädtischen Konservatorium
Foto: Jessica Theis
d'Lëtzebuerger Land vom 18.01.2019

Sachte, sachte. „Ich bin ja erst eine Woche hier“, bremst Regierungsberater Gilles Lacour auf Land-Nachfrage hin, wie die Regierung die geplante Reform des Musikunterrichts angehen will. Die alte und neue DP-LSAP-Grüne-Koalition hat angekündigt, kostenlose Musikkurse auch in Kinderbetreuungsstrukturen anzubieten und so den Zugang zur musikalischen Grundausbildung zu erleichtern.

Die Idee ist nicht neu. Konservatorien, Musikschulen und Musiklehrer fordern seit Jahren, die musikalische (Früh-)Förderung zu verstärken. Lehrergewerkschaften werfen der Pisa-Bildungsstudie einen verengten Kompetenzbegriff vor: Bildung bestehe nicht nur aus Kompetenzen in Sprachenfächern und Mathematik, argumentieren sie. Kulturelle Kompetenzen zählten genauso dazu, also die Einführung in Kunst, Literatur und Musik. Geht es darum, Zeit für Musikunterricht freizumachen, lässt der Eifer allerdings oft wieder nach. Musikalische Erziehung findet, abgesehen von einer Stunde in der Grundschule und auf den Musik-Sektionen der Lyzeen, eher neben der öffentlichen Schule statt: an privaten oder staatlich subventionierten Musikschulen, im Konservatorium oder zuhause. Meist auf Initiative musikbegeisterter und bildungsbeflissener Eltern, die wollen, dass ihr Kind ein Musikinstrument spielen kann und Noten lesen lernt.

Vom Mozart-Effekt

Dabei sollte Musikunterricht kein Privileg für Kinder aus bürgerlichem Elternhaus sein. Gerade schwächere Schüler könnten davon profitieren: Forschungen belegen, dass Kinder, die früh musikalisch geschult werden, ihre kognitiven Leistungen steigern und öfters höhere Schulstufen besuchen. Musikerziehung kann soziale Kompetenz und die Reflexionsfähigkeit nachhaltig verbessern, ergab 2000 eine Langzeitstudie des Bundesforschungsministeriums für Bildung und Forschung an Berliner Grundschulen mit musikbetonter Ausrichtung (zweistündiger Musikunterricht, Erlernen eines Instruments, Musizieren im Ensemble). In musikbetonten Grundschulen war die Zahl ausgegrenzter Schüler nachweislich geringer als an Grundschulen mit konventionellen einstündigen Musikunterricht. Außerdem führte die mehrjährige erweiterte Musikerziehung bei Kindern aus musikbetonten Grundschulen zu messbarem Intelligenzzugewinn und half, die Konzentration zu verbessern. Sozial benachteiligte und in ihrer kognitiven Entwicklung wenig geförderte Kinder profitierten ebenfalls von der erweiterten Musikerziehung.

Dass der Musikunterricht in und neben der Schule aufgewertet werden soll, hatte die Dreierkoalition in der vergangenen Legislaturperiode angekündigt. Staatssekretär Guy Arendt (DP) griff das Thema im Rahmen der Assises culturelles 2016 und 2018 auf. Der Austausch zwischen 36 Experten, Musikern, Musiklehrern und Beamten im März 2016 im Schloss Burglinster bildete die Basis für den Kulturentwicklungsplan (Kep), der im Juni 2018 vorgestellt wurde und unter anderem bemängelt, die künstlerische Erziehung nehme „einen ungenügenden Platz in den Schul-Lehrplänen“ ein. Die non-formale Bildung, also Krippe und Kindergarten, sei besonders geeignet, Kunst und Kultur spielerisch zu entdecken. Als Ziel nennt der Plan, den Zugang zur Kultur für Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu verbessern und eine Kunsterziehung für den gesamten Bildungsbereich zu entwickeln. Dazu gehöre auch, den Musikunterricht zu reformieren und neu aufzustellen. Ein Masterplan, wie die Empfehlungen konkret umzusetzen sind, wie die Annäherung zwischen Konservatorien und Musikschulen auf der einen und dem Musikunterricht in der Schule auf der anderen Seite vonstatten gehen kann, fehlt jedoch noch.

„Es gibt Pisten, über die wir nachdenken“, sagt Gilles Lacour, ohne genauer zu werden. Sein Wechsel vom Kultur- ins Erziehungsministerium dürfte ein erster Schritt sein und hat insofern Signalwirkung. Parteipolitische Gründe – das Kulturministerium wird neuerdings von der grünen Politikerin Sam Tanson geleitet, das Erziehungsministerium bleibt in den Händen von DP-Mann Claude Meisch –, hätten keine Rolle gespielt, betont Lacour. Mit ihm in die Aldringer Straße wechselten zudem der kommissarische Leiter des Musikunterrichts, Pol Schmoetten, und sein Team.

Beide, Schmoetten und Lacour, dürften in der bevorstehenden Konzeptualisierungsphase eine wichtige Rolle spielen. Gilles Lacour, ehemaliger beigeordneter Direktor der Union Grand-Duc Adolphe (Ugda), größter und ältester Akteur im Bereich der Musikschulen, war enger Berater von Staatssekretär Guy Arendt und unter anderem verantwortlich für den Kontakt zu den Kulturinstitutionen und für den Bereich Musik. Kommissar Pol Schmoetten überwacht und koordiniert die inhaltlich-pädagogische Gestaltung des Musikunterrichts. An ihrer Expertise kommt Erziehungsminister Meisch nicht vorbei, will er sein politisches Versprechen einlösen.

Wer, wie, was...

Bevor Nägel mit Köpfen gemacht werden können, sind jedoch Grundsatzfragen zu klären. Wie und wo soll die musikalische Erziehung erfolgen? Welche musikalische Erziehung ist gemeint? Soll die musikalische Früherziehung im Rahmen der Schulen ausgebaut werden, wie es zum Teil bereits an Vor- und Grundschulen geschieht, wo Kinder ab vier bis sechs Jahren Singen lernen? Oder soll das außerschulische Musikangebot ausgebaut und enger mit den Schulen verzahnt werden? Wer unterrichtet dann das Fach, das Lehrpersonal in den Grundschulen oder außerschulische Kräfte aus den öffentlich-subventionierten und privaten Musikschulen im Land? Wären sie dann auch Ansprechpersonen für den Gratis-Musikunterricht in den Kinderbetreuungsstrukturen?

Um diese Fragen beantworten zu können, muss zunächst ein anderes Problem gelöst werden: Laut Gesetz sind die Gemeinden für den Musikunterricht verantwortlich. Sie stellen das Personal ein und kommen seit Jahren für mehr als ein Drittel der Kosten auf. Das Kulturministerium macht Vorschläge zur inhaltlichen Gestaltung des Musikunterrichts und wacht über die Umsetzung der Lehrpläne, die die zuständige Programmkommission entwickelt. Eine der ersten heikleren Diskussionen, die also geführt werden müsste, ist die über künftige Zuständigkeiten. Daran wären neben dem Erziehungs- und Kulturministerium das Innenministerium sowie die Gemeinden zu beteiligen.

Im Kulturbudget machen die Ausgaben für Musik mit zwei Drittel den Löwenanteil aus, was vor allem an der Philharmonie liegt, die ebenfalls im Bereich der Musikerziehung tätig ist. Eigentlich teilen sich Gemeinden (ein Drittel) und Staat (zwei Drittel)die Kosten für den Musikunterricht. Die Ausgaben seitens des Staats betrugen 2016/2017 26,7 Millionen Euro. Laut Gemeindeverband Syvicol schultern die Gemeinden mehr als ihr gesetzliches Drittel; die Kosten für Konservatorien, Kurse und Musikschulen machen den zweitgrößten Kostenpunkt der Gemeinden aus, wobei sich Luxemburg-Stadt, Esch oder Ettelbrück im Musikbereich besonders engagieren. Insgesamt besuchen etwa 16 000 Schüler, betreut von 700 Lehrern, den Unterricht der drei Konservatorien, acht regionalen Musikschulen, vier konventionierten Musikschulen der Ugda und 27 weiteren Kursen der Ugda. Die Ugda selbst zählt 5 800 Schüler, durchschnittlich kämen jedes Jahr rund 200 Schüler dabei. Vor allem bei den Kleinen verzeichne man starke Zuwachsraten, so Ugda-Direktor Paul Scholer in einem Radio 100,7-Interview Anfang Oktober 2018. Der Anteil der musikalischen Basiserziehung am Gesamtmusikunterricht liege bei rund 14 Prozent. Teils gebe es Wartelisten bei beliebten Instrumenten, wie der Gitarre oder dem Klavier. Andere, wie die Bläser und Chöre, haben es schwer, Nachwuchs zu finden.

Undurchsichtiges Finanzgebaren

Die insgesamt positive Entwicklung beim Musikunterricht schafft aber auch Probleme: Weil die Musikschulen unterschiedlich abrechnen, Schüler und Präsenzen teils noch mit der Hand eingetragen werden, hat die Buchführung eklatante Schwächen. Das Musikschulgesetz von 1998 hatte zwar die Bezahlung der Musiklehrer vereinheitlicht, ansonsten aber viele organisatorische Fragen offen gelassen. Über die Jahre entstand Wildwuchs, wie der diese Woche veröffentlichte Bericht des Rechnungshofs festhält: Obwohl sich Kultur- und Innenministerium mit je 13,3 Millionen Euro am Musikunterricht finanziell beteiligen, konnten weder die Mitarbeiter des Kultur- noch die des Innenministeriums verifizieren, ob die in Rechnung gestellten Kurse auch tatsächlich stattfanden. Die vom Kommissar Schmoetten und seinem Team gesammelten 25 000 Belege konnten nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden, rügten die Rechnungsprüfer. An- und Abwesenheiten wurden, das ergaben Stichproben, nicht systematisch erfasst. Erschwerend kommen unterschiedliche Tarife hinzu, die Eltern für den Musikunterricht bezahlen: Da es keine einheitliche Tariftabelle gibt, reicht die Preisspanne von 60 Euro jährlich bis zu mehreren Hundert Euro, je nachdem, ob der Kurs im Konservatorium, in einer konventionierten oder privaten Musikschule stattfindet. Eltern, die ihre Kinder in den Musikunterricht schicken wollen, aber das Geld nicht haben, können staatliche Unterstützung beantragen und tun das auch: Rund 200 000 Euro Hilfsgelder, schätzt Gilles Lacour, lege der Staat bei.

Mehr staatliche Unterstützung, vor allem finanzieller Natur, dürften die Gemeinden begrüßen. Zumal die Kommunen auch von Erfahrungen und der staatlichen Infrastruktur profitieren könnten, etwa auf der Ebene einer informatischen und automatisierten Abrechnung und Erfassung der Musikkurse. Schwerer fallen dürfte dagegen die Entscheidung, ob der Unterricht künftig verstärkt in der Schule oder danach stattfinden soll – und wer die Kurse gibt: Traditionell tun sich die Schulen mit außerschulischen Akteuren schwer. Angesichts von immer mehr Personal, das von außerhalb in die Schulen kommt, um beispielsweise Kurse zur Sexualerziehung, zur Suchtvorsorge zu geben oder Schüler mit Lernschwierigkeiten zu fördern, findet allmählich ein Umdenken statt.

Zusammenarbeit mit Hürden

Allerdings geht selbst die im Grundschulgesetz verankerte engere Verzahnung von Schule und außerschulischer Betreuung nur langsam vonstatten: Weil sich manche Lehrer nicht von Erziehern in ihren Unterricht „hineinreden“ lassen wollen, sich beide Seiten nicht genügend abstimmen oder weil Räume nicht geteilt werden. In anderen Gemeinden hat die Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und Grundschule vor Ort Tradition. „Allerdings geschieht dies auf der Ebene der Gemeinden und der Musikschulen und nicht systematisch landesweit“, räumt Pol Schmoetten ein. So stehen und fallen Ini-tiativen mit dem lokalen Engagement bestimmter Personen: So geschehen bei einem Projekt zur musikalischen Früherziehung des Institut européen de chant choral (Inecc) mit einer Maison relais, bei dem die Zusammenarbeit eingestellt werden musste. Das Inecc ist in der musikalische Gesangsförderung in den Schulen aktiv und organisiert gemeinsam mit dem Bildungsministerium und dem Lehrerweiterbildungsinstitut Ifen hierzu Fortbildungen.

Einen Ausbau oder eine bessere Verzahnung zwischen schulischen und außerschulischen Aktivitäten wird nicht zuletzt durch den vollen Stundenplan erschwert: Es gibt immer mehr Ganztagsschulen; geht es nach dem Koalitionsprogramm soll das Angebot ausgebaut werden. Insbesondere die Grünen waren stets für mehr Ganztagsschulen eingetreten, inzwischen haben auch die LSAP und die DP das Konzept für sich entdeckt. Musikunterricht findet traditionell am Nachmittag nach der Schule statt. „Viele Schüler haben wegen der Hausaufgaben und weil sie immer länger in der Schule sind, keine Zeit mehr, auch noch ein Instrument zu lernen, geschweige denn zu üben“, erzählt ein Musiklehrer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Die zeitliche Belastung ist reell. Darum, und natürlich wegen der Kosten, rät das Erziehungsministerium den Gemeinden verstärkt zum Bau integrativer Schulcampusse. So fällt wenigstens der räumliche Wechsel zwischen Schule, Kantine und Hausaufgabenhilfe, künftig dann womöglich auch Musikkurs, weg. Weil aber weiterhin viele Schüler zwischen Schule und Maison relais hin und her pendeln, geht wertvolle Zeit verloren. Bei musikinteressierten Eltern sind deshalb Musikschulen begehrt, die am Wochenende Unterricht anbieten. Andere vermeiden die Konservatorien und Ugda-Musikschulen bewusst und geben ihre Kinder lieber in private Musikschulen, weil sie zu viel Leistungsdruck befürchten und die Verpflichtung zum fünfjährigen Solfège-Theorieunterricht ablehnen. Um im Konservatorium Kurse zu belegen, müssen Bewerber zudem einen Eignungstest bestehen.

Pädagogische Erneuerung

Die pädagogische Ausrichtung und inhaltliche Gestaltung einer landesweiten musikalischen Früherziehung dürften ebenfalls für Meinungsverschiedenheiten sorgen: Dass das Angebot, Repertoire und die didaktischen Methoden in herkömmlichen Musikschulen mitunter veraltet sind, war Grund für eine Reform des Lehrplans der Konservatorien und angegliederten Musikschulen, die in diesem Jahr greift. Inwiefern sie Früchte trägt und sich die Unterrichtspraktiken tatsächlich ändern, bleibt indes abzuwarten: „Luxemburg ist konservativ. Da dauert es, bis sich neue Konzepte durchsetzen“, sagt ein Musiklehrer. Dass nahezu alle Schlüsselpositionen in den Musikschulen, Konservatorien und den zuständigen Ministerien seit Jahren fest in Männerhand sind, trägt nicht eben zu einem modernen, offenen und demokratischen Image bei. Und das, obwohl viele Frauen Musik unterrichten und das Profil der Musikschüler immer bunter, weil internationaler wird. Das Männerproblem wird, wenn überhaupt, eher in umgekehrter Richtung, beim fehlenden männlichen Nachwuchs für die Chöre thematisiert.

Zu klären ist nicht zuletzt die Personalfrage: Mehr Musikunterricht in Schulen und/oder Maisons relais bedeutet, dass in Zukunft wahrscheinlich zusätzliches in Musikpädagogik ausgebildetes Personal benötigt würde. Ob Luxemburg selbst Musiklehrer/innen ausbilden sollte, wird seit Jahren debattiert, zuletzt wuchs dazu die Zustimmung. Andererseits bestehen anspruchsvolle Ausbildungsangebote im Bereich Musik auf Lehramt in der Großregion, wie etwa an der Hochschule für Musik in Saarbrücken oder an den Konservatorien in Liège oder Brüssel, deren Studengänge nicht immer ausgelastet sind.

Immerhin: Nationale Strukturen, um den Zugang zur musikalischen Bildung innerhalb der Schulen zu erleichtern, existieren. Das Ifen in Walferdingen bietet dieses Jahr allein 29 Weiterbildungen im Bereich der musikalischen Erziehung für Lehr- und in Schulen tätiges Erziehungspersonal an. Der größte Teil davon richtet sich an die Grundschulen und umfasst Themen wie Singen, Musizieren, Instrumente selber bauen, Rhythmus und Rhythmusspiele, Musiktheater, Tanzen, aber auch transversale Ansätze. Bisher haben sich 376 Teilnehmende angemeldet. Interesse ist also da.

Ines Kurschat
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