Leitartikel

Ultima ratio

d'Lëtzebuerger Land vom 12.04.2019

Es könnte der Durchbruch sein: Eine Woche, nachdem die amtierende Präsidentin des UN-Kinderrechtskomitees wieder Richtung Genf abgereist war, kündigte der grüne Justizminister Félix Braz via Zeitung und Fernsehen an, Minderjährige würden künftig nicht mehr im Erwachsenengefängnis eingesperrt, auch nicht, wenn sie eine Straftat begangen haben. Seinen viel kritisierten Entwurf will der Minister aber nicht zurückziehen, sondern so abändern, dass er mit internationalen Kinderschutznormen und -rechten in Einklang ist. Der CSV geht das nicht weit genug. Sie kritisierte prompt, Braz halte nur deshalb an der umstrittenen Vorlage fest, um sein Gesicht zu wahren.

Die CSV hat gut reden: Skeptische Stimmen, das Jugendschutzgesetz von 1992 sei nicht mehr zeitgemäß, ertönten schon wenige Jahre nach der Verabschiedung, spätestens aber vor rund 20 Jahren. Der Entwurf von 2009 vom damaligen CSV-Justizminister Luc Frieden hätte vor den kritischen Blicken des UN-Kinderrechtskomitees heute ebenfalls nicht bestanden. Und seit dem Tod des Abgeordneten Mill Majerus kommen zum Thema Jugendschutz von der CSV praktisch keine eigenen Impulse mehr. Zudem befand auch die Genfer Vertreterin, der Text könnte als Grundlage dienen, sofern er Zuständigkeiten präzise benenne, klarer zwischen Schutz und Strafe trenne, sowie Altersgrenzen, Fristen und Rechtsgarantien vorsehe, die bislang fehlen.

Dass Braz jetzt behauptet, sein Entwurf sei von allen mitgeschrieben und getragen worden, stimmt so nicht und ist eine Schutzbehauptung, wie sie Politiker, die unter Druck stehen, gerne einmal machen: Der Kinderrechtsbeauftragte, Vertreter des Jugendamts und die Ombudsfrau haben wohl mitdiskutiert, aber nicht mitgeschrieben; die Menschenrechtskommission war aus Protest gegen das Beharren von Richtern und Staatsanwaltschaft, unter Auflagen Minderjährige auch weiterhin in Schrassig einzusperren, aus den Beratungen ausgestiegen. Hier schreibt sich der Justizminister die Geschichte schön.

Mit den Worten von Braz, denen freilich noch Taten folgen müssen, wäre dann endlich ein Schlussstrich gezogen unter ein jahrzehntelanges Kräftemessen zwischen Justizbehörden und sozialem Sektor, der darauf gedrängt hat, den Einfluss der Justiz in Kinderrechtssachen zu beschneiden, und sie nur dort einzuschalten, wo das Kindeswohl bedroht ist, dies um Stigmatisierungen zu vermeiden.

Es ist eine traurige Tatsache, dass trotz Jugendschutzphilosophie Minderjährige selbst bei Bagatelldelikten rechtlos weggesperrt wurden, auf Geheiß von Gerichten, die dies zu ihrem vermeintlichen Schutz taten, obwohl hinlänglich bekannt war, dass Infrastrukturen und Personal vor Ort für eine Therapie oder Resozialisierung völlig ungeeignet waren. Oft wurde diese Form der Schutzhaft mit dem Argument verteidigt, es sei kein Platz in einem Erziehungsheim mehr frei.

Die Gretchenfrage ist also, ob die Wegsperrpraxis bei Minderjährigen jetzt tatsächlich von Grund auf hinterfragt wird. Freiheitsberaubung, zumal bei Minderjährigen, ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte und sollte die ultima ratio sein und nur bei schweren Fällen angeordnet werden. Die Jugendgerichtsbarkeiten hatten in ihrem Gutachten zur Reform gefordert, auch chronische Ausreißer aus Heimen, statt in Schrassig dann in die mit Stacheldraht und Gittern abgesicherte Unité de sécurité in Dreiborn einzusperren und dort zu behandeln. In der Vergangenheit hatten Justizvertreter jedoch bestritten, Ausreißer in Schrassig eingesperrt zu haben. Offenbar gab und gibt es nach wie vor Hardliner, die das anders sehen. Sie gilt es jetzt zu überzeugen – oder zu überstimmen.

Ines Kurschat
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