Die Kritik war unmissverständlich: Luxemburg sei das einzige Land in Europa, das den Begriff der Schutzhaft kenne. „Das widerspricht den Menschenrechten, denn Haft ist Strafe und niemals Schutz.“ Vorgetragen hat sie die amtierende Präsidentin der UN-Kinderrechtskomitees, Renate Winter, bei ihrem Besuch in Luxemburg diesen Montag, mit Stationen vor der Menschenrechtskommission, dem Kinderrechtsbeauftragten, dem Parlament und beim Justizminister Félix Braz.
Letzterer steht massiv unter Druck. Die Unterbringung von Minderjährigen im Erwachsenengefängnis (ohne Anklage und Betreuung) ist ein Dauerskandal, den Menschenrechtsorganisationen seit Jahrzehnten beanstanden – und trotzdem sollte auf Betreiben der Justizbehörden eine Hintertür im reformierten Jugendschutzgesetz offen bleiben, die unter bestimmten Auflagen in Ausnahmefällen das Einsperren im Gefängnis weiterhin erlaubt hätte. Winter ist formell: Das verstoße gegen die Kinderrechtskonvention, die Luxemburg unterschrieben hat.
Das ist beileibe nicht der einzige Einwand, den die ehemalige Richterin gegen die Reform formuliert. Der Entwurf sei „ein Salat“ aus schützenden und strafenden Elementen für Kinder und Jugendliche, die in Not geraten oder mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind – und in der Form nicht kinderrechtskonform. Sei es, weil er kein Mindestalter für die Strafmündigkeit vorsieht, sei es, weil Grund und Dauer für Erziehungsmaßnahmen nicht näher bestimmt sind, sei es, weil wesentliche Rechtsgarantien fehlen. Damit stößt Winter ins selbe Horn wie die Menschenrechtskommission, der Kinderrechtsbeauftragte und der Staatsrat, der 24 formelle Einwände gegen den Brazschen Text erhoben hatte.
Ihre Empfehlung ist so resolut wie eindeutig: Statt Strafe und Schutz zu vermischen und so der rechtlichen Willkür Tür und Tor zu öffnen, sollten Regeln zum Schutz von Kindern, die beispielsweise Opfer oder Zeugen von Gewalt und Vernachlässigung geworden sind, in einem ersten Teil geregelt werden. Dazu zählen Fristen für Auflagen und erzieherische Maßnahmen, wie die Unterbringung in einem Heim oder in einer Pflegefamilie, sowie die Verpflichtung für die Justiz, das Kind, und seine Eltern, vor einer Entscheidung anzuhören. In einem zweiten Teil wären Strafen und Verfahrensrechte festzulegen. Soll heißen, jugendliche Straftäter haben dieselben Rechte im Strafverfahren wie Erwachsene, dazu zählt etwa die Unschuldsvermutung, das Recht, sich einen Anwalt zu nehmen und in Berufung zu gehen, die Anhörung durchs Gericht – und anderes mehr. Ein Kind sei schließlich „ein Mensch mit denselben Rechten und dazu noch mit Sonderrechten“.
Vielleicht ist der Vorschlag der UN-Gesandten der entscheidende Anstoß für den Justizminister, den Text so abzuändern, dass er Schutzmaßnahmen und Strafen erkennbar trennt – ohne deshalb den für Luxemburg typischen Jugendschutzgedanken aufzugeben. Winter zeigt einen dritten Weg raus aus dem ideologischen Graben zwischen reinem Jugendschutz (der in der Realität oft strafend ausfällt) und reinem Jugendstrafrecht (das der individuellen Entwicklung und dem Erziehungsgedanken zu wenig Rechnung trägt), ohne allzu viel Gesichtsverlust für alle Beteiligten. Denn auch für die Richter und Staatsanwälte, die sich gegen die Einführung eines Jugendstrafrechts anstelle eines Jugendschutzgesetzes wehren, zugleich jedoch an der Möglichkeit festhalten wollen, delinquente Minderjährige einzusperren, bietet der Vorstoß Positives: Ihre Zuständigkeiten würden klar geregelt, Interventionsmöglichkeiten präzise gefasst und somit Entscheidungen und Herleitungen transparenter und, hoffentlich, in Zukunft weniger umstritten.