Die Stadt Luxemburg kennt seit Jahren eine rasante Zunahme der Zahl ihrer Einwohner und der Zahl der Arbeitsplätze. Anfang dieses lebten 110 499 Menschen in der Hauptstadt. In den letzten zehn Jahren ist diese Zahl um 25 371 (+29,8%), beziehungsweise 2,6 Prozent jährlich, gestiegen. In der Hauptstadt arbeiten Schätzungen zufolge über 170 000 Leute. Diese Zahl hat zwischen 2005 und 2012 um 21,4 Prozent zugenommen. Da nur etwa jeder fünfte Arbeitsplatz mit einem Einwohner der Hauptstadt besetzt ist, pendeln werktags täglich über 125 000 Leute nach Luxemburg-Stadt zur Arbeit; die große Mehrheit davon kommt sogar über die Grenze. Zum Vergleich: In der Schweizer Grenzstadt Genf sind lediglich etwa ein Viertel der Arbeitnehmer Pendler. Luxemburgs Situation ist somit völlig einzigartig.
Diese schnelle Entwicklung auf dem Wohn- und dem Arbeitsmarkt in Luxemburg-Stadt sowie der gewaltige Pendlerstrom bringen große Herausforderungen für den Erhalt der Lebensqualität, die Mobilität und den Wohnungsmarkt mit sich. Es ist heute kaum mehr vorstellbar, dass die Bevölkerungsentwicklung in der Hauptstadt in den 1980er Jahren rückläufig war und Einwohner ins Umland abgewandert sind. Angesichts der Tatsache, dass es landesplanerisch sinnvoll ist, dass die Stadt Luxemburg als Hauptstadt und Wirtschaftszentrum des Landes vorrangig im Gegensatz zu ländlichen Gemeinden wächst, nimmt die Stadt Luxemburg mit der Vorlage des neuen Flächennutzungsplans (PAG) diese komplexe Herausforderung an und versucht nachhaltige und lösungsorientierte Wege zu gehen.
Die Basis des neuen Flächennutzungsplans der Stadt Luxemburg ist die Étude préparatoire, die eine vollständige Analyse über vorhandene Biotope und Lärmbelästigungen bis hin zu Fahrradwegen liefert. Um bestens auf die Bedürfnisse und Vorstellungen der Bürger einzugehen, wurden im Vorfeld der Ausarbeitung des PAG eine große Online-Befragung und Workshops in allen Stadtvierteln organisiert. Dieser partizipative Prozess wurde von Professor Klaus Selle von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen entwickelt, der auf kooperative Projektentwicklung spezialisiert ist und seine Methode in Luxemburg erstmals auf einer Veranstaltung des Mouvement écologique vorgestellt hatte. Ein Hauptbefund dieser Bürgerbeteiligung war, dass die Bewohner die Weiterentwicklung ihrer Stadt wünschen, allerdings nicht auf Kosten der Lebensqualität. So sollen etwa die Grünflächen und die urbanistische und bauliche Struktur der bestehenden Viertel erhalten bleiben und bei der Weiterentwicklung der Viertel respektiert werden.
Über die Hälfte des Territoriums der Stadt Luxemburg ist nicht als Bauland ausgewiesen. Da mit den neuen Teilbebauungsplänen (PAP nouveaux quartiers) zahlreiche neue Grünflächen, Parks und Spielplätze entstehen, wird der Anteil der Grünfläche langfristig sogar noch um bis zu 14 Prozent wachsen. Auch sieht der neue PAG keine Ausweitung des „Bauperimeters“ vor; immerhin gibt es noch ein gewaltiges Verdichtungspotential von etwa 550 Hektar. Anders als im Plan sectoriel logement vorgesehen, möchte die Stadt Luxemburg prioritär innen verdichten. Das Wohnungsbauministerium plante etwa Großprojekte auf den Flächen Béchel und Erzepond in Zessingen. Im neuen Flächennutzungsplan sind diese Flächen als Zones d’aménagement différé klassiert, demnach ist dort keine Bebauung vorgesehen.
Im Rahmen der umfassenden Strategischen Umweltprüfung (SUP), die alle Fragen des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes analysiert hat, wurden auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg insgesamt 70 Flächen auf dort vorkommende Arten und Biotope, aber auch auf mögliche kumulative Auswirkungen, wie etwa die Frischluftzufuhr, geprüft. Die Stadtverwaltung hat versucht, im PAG allen Schlussforderungen der SUP Rechnung zu tragen: Mehrere Flächen wurden im Gegensatz zum alten Flächennutzungsplan nicht mehr als Bauland ausgewiesen oder die mögliche Bebauung der Parzellen wurde stark eingeschränkt. In den neuen Teilbebauungsplänen (PAP) müssen erhaltenswerte Flächen integriert oder in unmittelbarer Nähe kompensiert werden. Laut SUP liegt der maximal mögliche Bodenverbrauch beim vorgeschlagenen PAG übrigens mit 283 Hektar deutlich unter dem Orientierungswert des Nachhaltigkeitsministeriums von 333,6 Hektar.
Durch neue Teilbebauungspläne werden in Zukunft zudem neue Grünkorridore, Parks und Renaturierungen geschaffen: In Beggen etwa kann so das Bett der Alzette renaturiert werden und ein naturnaher Park entstehen. Im Rahmen der Verdichtung in Zessingen und der Bebauung der Porte de Hollerich wird der Zessinger Park mit der Péitruss vernetzt. Durch den PAP Paul Wurth/Van Landewyck wird eine zurzeit vollständig versiegelte Fläche durch ein neues Viertel mit einem lebendigen Nutzungsmix und einem historischen Park aufgewertet. Die Grünvernetzung ist nicht nur für die Artenvielfalt und das Klima wichtig, sondern sorgt für Naherholungsgebiete und kürzere Wege auch zwischen den bestehenden Vierteln.
Die Mobilitätsstudie zum neuen Flächennutzungsplan bestätigt erneut, dass das Straßennetz bereits heute vollkommen ausgelastet ist. Mit den Instrumenten des PAG wird weiter versucht, möglichst viele Pendler und Einwohner zum Umstieg auf Bus, Fahrrad und künftig auch auf die Tram zu bewegen.
Nachdem es 20 Jahren lang versäumt wurde, ist der Bau der Straßenbahn seit 2014 endlich beschlossene Sache. Im neuen Flächennutzungsplan sind bereits Korridore für den Ausbau nach Kockelscheuer und Hollerich eingetragen. Ab 2017 wird also ein angepasstes Verkehrsmittel nach und nach die Polyzentren der Stadt (Kirchberg, Zentrum, Bahnhof, später Ban de Gasperich und Porte de Hollerich) miteinander verbinden und die Verkehrsprobleme in den Griff bekommen. Die hohe Kapazität und eine eigene Spur erlauben es der Tram, die vielen Menschenmassen schnell und effizient zu transportieren. Mit dem Bau der Straßenbahn werden übrigens auch gesicherte Fahrradwege entlang der gesamten Strecke gebaut, denn bekanntlich ist kein anderes Verkehrsmittel derart gut geeignet, die vielen kurzen Wege innerhalb der Stadt schnell zurückzulegen. Zudem sind in allen neuen Teilbebauungsplänen Fuß- und Radwege vorgesehen. Für die Feinverteilung zwischen den Vierteln wird aber auch weiterhin der Bus eine wichtige Rolle spielen.
Neben der Priorisierung des öffentlichen Verkehrs und der aktiven Mobilität muss aber auch die Zunahme des PKW-Verkehrs in der Stadt gebremst werden. Dazu verstärkt die Stadt Luxemburg mit dem neuen Flächennutzungsplan das bereits heute ehrgeizigste Parkraummanagement des Landes. Künftig kann nur noch ein Parkplatz auf 175 Quadratmeter Bruttobaufläche bei Büros errichtet werden; bis jetzt sind es etwa 150 Quadratmeter. Bei Einfamilienhäusern muss kein Stellplatz und bei Mehrfamilienhäusern nur mehr ein Stellplatz pro 0,8 Wohnungen errichtet werden. Bislang gilt: ein Stellplatz pro Wohnung. Dass es, außer in „autofreien Vierteln“, auch in Zukunft noch eine Pflicht für Stellplätze geben soll, erklärt sich dadurch, dass der öffentliche Raum vermehrt für Fußgänger und Fahrradwege genutzt werden soll. Parkende Autos sollen weitestgehend vom Straßenraum in Sammelgaragen verlegt werden.
Luxemburg kennt bekanntlich einen großen Wohnungsmangel. Mit dem neuen PAG übernimmt die Stadt Luxemburg ihre Verantwortung, dass mehr Wohnraum geschaffen werden soll. Ganz im Sinne einer Stadt der kurzen Wege soll prioritär Wohnraum entlang der Hauptentwicklungszentren Kirchberg, Zentrum, Bahnhof, Ban de Gasperich, Porte de Hollerich und Route d’Arlon entstehen. In den Polyzentren, in denen das Leben pulsiert, gearbeitet wird und wo viele Menschen schnell mit der Tram von A nach B kommen können, soll dicht und hoch gebaut werden. Die Bebauung zahlreicher leerstehender Flächen und alter Industriebrachen steht bevor, so etwa die Teilbebauungspläne „Paul Wurth/Van Landewyck“, „Porte de Hollerich“, „Villeroy&Boch“ und natürlich auch auf dem Kirchberg oder im Ban de Gasperich.
Bei diesen neuen Projekten werden die Flächen mindestens zur Hälfte mit Wohnungen bebaut und Fahrrad- und Fußwege sowie Grünflächen zur Naherholung und zur ökologischen Vernetzung sind von Anfang an eingeplant. Während der Ban de Gasperich und die Cloche d’Or noch einige Jahre bis zur Inbetriebnahme der Tram mit Verkehrschaos konfrontiert sein werden, wird die Straßenbahn zwischen dem Hauptbahnhof und der Porte de Hollerich zeitgleich mit der Entstehung dieser Viertel gebaut. In Zessingen wurden übrigens die Parzellen um die Rue Verte als „Zone prioritaire 1“ eingestuft: Werden sie nicht innerhalb der nächsten Jahre bebaut, fallen sie wieder aus dem „Bauperimeter“. Mit dieser Maßnahme sollen die Eigentümer motiviert werden, die 1 500 Wohnungen auf diesem Gelände schnellstmöglich zu bauen. Im Rahmen der Erneuerung des Flächennutzungsplans wurden die Vorschriften zur Bebauung von Baulücken zudem vereinfacht und es soll mehr Wohnraum im Verhältnis zu Büroflächen entstehen. In einer Zone mixte urbaine etwa müssen in Zukunft in den beiden letzten Stockwerken Wohnungen eingerichtet werden.
Aus der Bürgerbeteiligung im Rahmen der Ausarbeitung des neuen PAG geht allerdings auch klar hervor, dass die Bewohner innerhalb der Viertel eine Entwicklung im Respekt mit der bestehenden Bausubstanz wünschen. Nachdem 2015 bereits 3 000 zusätzliche Wohnungen zum „Ensemble sensible“ eingestuft wurden, sollen mit dem neuen PAG nochmals 500 Häuser hinzukommen. Mit dieser Maßnahme wird der Charakter der betroffenen Häuserreihen geschützt. Auch darf die Parzellierung innerhalb des „Ensemble sensible“ nicht geändert werden. Dies erlaubt es Promotoren somit nicht mehr, einfach eine alte Häuserreihe einzureißen, um sie durch sterile Apartmentblocks zu ersetzen. So bleibt die Seele der bestehenden Viertel erhalten und eine weitere Zunahme des Verkehrs wird verhindert. Mit dem neuen PAG werden in der Stadt übrigens 7 100 der etwa 20 000 Häuser geschützt.
Die vieldiskutierten Potenziale des Flächennutzungsplans, also ein mögliches Wachstum der Bevölkerung von 110 700 auf 176 000 und eine Zunahme der Zahl der Arbeitsplätze von über 170 000 auf 260 000 durch eine Verdichtung von 550 Hektar, sind keine Wunschszenarien, sondern lediglich Potenziale, die bereits mit dem alten PAG realisierbar waren. Wie sich die Bevölkerung und die Arbeitsplätze tatsächlich entwickeln, hängt auch von zahlreichen anderen Faktoren ab, etwa von der Attraktivität des Standortes Luxemburg, vom europäischen und internationalen Kontext und natürlich von der Migration.
Anders als sein nicht mehr zeitgemäßer Vorgänger Joly-Plan aus den 1990er Jahren gibt der neue Flächennutzungsplan nachhaltige Antworten auf die komplexen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Stadt Luxemburg. Die Hauptstadt soll sich kohärent, vor allem entlang der Polyzentren Kirchberg, Stadtzentrum, Bahnhof, Ban de Gasperich und Porte de Hollerich, die sehr gut an den öffentlichen Transport angebunden sind, weiterentwickeln. Die traditionsreichen Viertel hingegen sollen im Respekt mit ihrer historischen Entwicklung und der bestehenden Bausubstanz evolvieren. Der „Bauperimeter“ wird mit dem neuen Flächennutzungsplan nicht ausgeweitet, sondern es soll vor allem zwischen den Vierteln verdichtet und grün-vernetzt werden.