Regierung

Superumweltwachstumsministerium

d'Lëtzebuerger Land vom 13.08.2009

Da war sogar Den neie Feierkrop nicht mehr zum Scherzen aufgelegt. Das Satireblatt, das Umweltschutz gern mit Müsliessern in selbstgestrickten Pullovern in Verbindung bringt, konstatierte nach der Vorstellung der neuen Regierung entsetzt „einen Rückschritt in die Zeit vor 1974“. Denn es war die sozialliberale Thorn-Vouel-Regierung gewesen, die vor 25 Jahren zum ersten Mal ein eigenständiges Umweltministerium eingerichtet hatte. In der Jucker-Asselborn-Regierung II firmiert das Umweltressort seit Ende Juli nur noch als Abteilung im neuen „Superministerium“ für nachhaltige Entwicklung und Infrastrukturen.

Aber weder die DP, noch die Grünen protestierten lautstark dagegen. Selbst der Mouvement écologique äußerte sich nuanciert kritisch. Vor den Wahlen hatte die Umweltorganisation Lobbyarbeit für ein „Mobilitätsministerium“ aus Bauten- und Transportressort sowie für ein „Zukunftsministerium“ für Nachhaltige Entwicklung, Klima, Energie und Umwelt betrieben. Nun beklagte sie zwar die „Einverleibung“ der Umweltkompetenz in ein Ministerium, das auch für Landesplanung, Transport und Bauten zuständig ist. Andererseits fand sie, das Superministerium unter der Leitung von Claude Wiseler und Marco Schank (beide CSV) als beigeordnetem Minister könne mit seiner Kompetenzbündelung auch „Chancen bergen“.

Wohl wahr: Es muss kein Verhängnis sein, wenn Umweltschutzbelange in einer Institution aufgehoben werden, die „Nachhaltigkeitsministerium“ heißt. Laut Regierungsprogramm soll es ab Herbst die zweite Auflage des Plan national pour un développement durable zur Verabschiedung durch die Abgeordnetenkammer vorbereiten. Entworfen hatte den neuen Plan noch die alte Regierung. Dem Ende April veröffentlich­ten Entwurf zufolge lassen sich derzeit in Luxemburg 14 „nicht nachhaltige Tendenzen“ in den drei Säulen aus Umwelt, Wirtschaft und Sozialem ausmachen, und im Umweltbereich sei der „Reparaturbedarf“ am größten: Die natürlichen Ressourcen Boden, Wasser und Luft seien „übernutzt“, das Artensterben wachse, Energieverbrauch und Autoverkehr ebenfalls (d’Land, 1. Mai 2009).

Diese Probleme auch mithilfe eines großen Planungsministeriums lösen zu wollen, macht Sinn: Wenn beispielsweise im vergangenen Jahr der Spritverbrauch durch den Straßenverkehr auch ohne „Tanktourismus“ fast 15 Prozent zur nationalen CO2-Bilanz beitrug, wenn die Pro-Kopf-Motorisierung hierzulande die mit Abstand höchste in der EU ist, und wenn im Frühjahr ein Expertenteam dem Wirtschaftsminister die Zusammenhänge zwischen dem Verkehr und der nationalen Energieeffizienz-Bilanz vorrechnete – dann ist Landesplanung ein ökologisches Anliegen par excellence. In Deutschland hatte die Partei der Grünen in den Achtzigerjahren vergeblich versucht, ein Konzept der „kurzen Wege“ zu propagieren, das die Funktionen Wohnen, Arbeiten und Freizeit einander räumlich annähern sollte. In Luxemburg sind die IVL-Fragen: „Wo soll künftig gewohnt und wo gearbeitet werden; wo sind die Landschaften besonders zu schützen, und wie lassen sich dabei die Verkehrsflüsse minimieren?“ politischer Mainstream. Würden sie beantwortet, wäre der Umwelt viel geholfen.

Weil laut Verfassung jeder Minister allein verantwortlich für sein Sachgebiet ist, hat die Bildung des Nachhaltigkeitsministeriums durch die Fusion von Ressorts die Landesplanung strukturell enorm gestärkt. Claude Wiseler und Marco Schank mögen beide das Etikett „Superminister“ nicht sonderlich, aber genau das sind sie: Als in der vorigen Legislaturperiode die vier so genannten Sektorpläne zur staatlichen Landesplanung vorbereitet wurden, begleitete der damalige Minister Jean-Marie Halsdorf (CSV) vier Fachminister, die – so will es das Landesplanungsgesetz – jeweils federführend für einzelne Pläne waren: Für den Verkehrswegeplan waren es Lucien Lux (LSAP) als Transportminister und Claude Wiseler als Bautenminister. Für die Planung der schützenswerten Landschaften war Lucien Lux als Umweltminister zuständig, für den Wohnungsbauplan der damalige Wohnungsbauminister Fernand Boden (CSV) und für die Planung der Gewerbegebiete Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP). Wenn kommenden Herbst die vier Vorentwürfe dieser Sektorpläne aufeinander abgestimmt und fertiggestellt werden, wird lediglich der Gewerbegebieteplan noch von einem Fachminister abhängig sein, alle anderen verantwortet das Superministerduo gleich selbst. Sogar den Wohnungsbauplan – dass Marco Schank Wohnungsbauminister geworden ist, macht es möglich.

Hinzu kommt: Im Nachhaltigkeitsministerium wird auch das Mobilitätsministerium Realität, das Mouvement écologique und Grünen vor den Wahlen so  am Herzen lag. Die Transportabteilung des Superministeriums ist unter anderem auch zuständig für die „allgemeine Transportpolitik“. „Définition, conception et orientation par l’inventaire des besoins, la fixation des priorités, la mise en œuvre des moyens et le contrôle des dépenses“ fallen darunter. Das gab es noch nie hierzulande. Weil die Straßenplanung in den Kompetenzbereich des Bautenministeriums fiel, war zu so viel übergeordneter Verkehrsplanung kein Transportminister bevollmächtigt; nicht einmal die Sozialisten Marcel Schlechter und Robert Goebbels, die in den Achtziger- und den Neunzigerjahren Transport- und Bautenminister in Personalunion gewesen waren.

So viel planerische Synergien Machtfülle zu nennen, ist vielleicht nicht ganz falsch. Und es ist womöglich nicht ganz ausgeschlossen, dass sie zu bilden erst möglich wurde, nachdem  die CSV die Verantwortung für all die Ressorts übernehmen zu wollen beschlossen hatte. Neben Bauten, Wohnungsbau und Landesplanung ist sie seit dem 23. Juli erstmals auch für die Umwelt zuständig, und dass sie mit Pierre Grégoire einen Transportminister stellte, ist 45 Jahre her.  Nachdem sie sich schon in der gemeinsamen Regierungszeit mit der DP zwischen 1999 und 2004 als moderne „Planungspartei“ hatte profilieren wollen, die den sicheren Weg in den 700 000-Einwohnerstaat kennt, und der damalige Landesplanungsminister Michel Wolter sehr erfolgreich das IVL-Konzept zur nationalen Herausforderung stilisierte, hat die CSV nun die „Nachhaltigkeit“ als Feld für sich entdeckt: Wenn der derzeitige US-Präsident die EU als Klimaschutzpionier zu überholen droht, eine konservative Regierung in Frankreich eine CO2-Steuer einzuführen vorschlägt und die deutsche CDU von einer „ökologischen Revolution“ redet, dann ist offenbar endgültig die Zeit gekommen, sich ernsthafter auf so wertkonservative wie umweltbewusste Wähler einzustellen.

Angesichts solcher Rahmenbedingungen könnten ökologische Belange unter CSV-Regie in den kommenden fünf Jahren durchaus groß geschrieben werden. Mit Marco Schank, dem einstigen Umweltaktivisten, der 1995 in seinem Garten das erste (kleine) Windkraftrad des Landes in Betrieb nahm, gehört dem neuen Ministerium nicht nur der Vorzeige-Öko der CSV als delegierter Minister an. Mit Claude Wiseler steht ihm jener Ex-Bautenminister vor, der in der vergangenen Legislaturperiode den Straßenbau zugunsten des Schienenbaus kürzte und nicht ein Mal mit Umweltschützern wegen eines Straßenbauvorhabens aneinander geriet.

Und vielleicht könnte der erwiesenermaßen überaus vorsichtige Geldausgeber Wiseler die ihm unterstehenden Mittel eher in „nachhaltige“ denn in kurzfristig gedachte Projekte investieren – das ist die Hoffnung so mancher Umweltaktivisten angesichts des Finanzierungsvorbehalts, unter dem das Regierungsprogramm steht. Dass Wiseler vielen seiner Parteifreunde in der Stater CSV als geradezu verbissener Befürworter des Tram-Projekts gilt, verstärkt diese Hoffnung noch. Finanzielle Prioritäten setzen muss das neue Ministerium auf jeden Fall: Die Spezialfonds seiner Vorläuferministerien zusammengenommen, verwaltet das Nachhaltigkeitsministerium allein an längerfristig gebundenen Kapitalausgaben mit Stand dieses Jahres fast 1,2 Milliarden Euro.

Allerdings soll das fusionierte Nachhaltigkeitsministerium auch zur Verwaltungsvereinfachung beitragen, die Premier Jean-Claude Juncker zur Chefsache gemacht hat. Die im Koalitionsvertrag enthaltene Liste abzuändernder Gesetze enthält mit dem Naturschutzgesetz, dem Kommodo-Gesetz, dem Abfallgesetz und dem Impatktstudiengesetz vier wichtige Umweltgesetzgebungen.

Durch Änderungen an den Texten sollen zwar auch Mehrfachgenehmigungen abgeschafft werden, die für manche Vorhaben bislang nötig sind. Doch wenn CSV-Präsident François Biltgen dem Nationalkongress seiner Partei am 20. Juli den Zusammenhang von Bürokratie-Abbau und Umweltschutz mit den Worten erläuterte, das Naturschutzgesetz werde abgeändert, damit „der Bauperimeter künftig Vorrang vor dem Biotop“ habe (d’Land, 24. Juli 2009), dann ist nicht klar, inwiefern die Umwelt als zu schützendes Gut oder als Hindernis auf dem Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verstanden wird und die Fusion des Umweltressorts mit den drei Planungsressorts dazu dienen soll, die Ökologie leichter dem einen oder anderen Sachzwang zu opfern. Sicher ist: Als Planungsministerium wäre das Nachhaltigkeitsministerium kaum schwächer geworden, hätte man das Umweltressorts in seiner Selbstständigkeit belassen.

Nicht ganz sicher scheint sich dagegen die ganze Regierung zu sein, was sie unter „Nachhaltigkeit“ versteht – mag der Begriff auch in der Regierungserklärung von Premier Juncker 20 Mal und im Koalitionsvertrag sogar 32 Mal vorkommen und damit noch inflationärer gebraucht werden als im Programm der Juncker-Polfer-Regierung vor zehn Jahren: Wenn Juncker einerseits behauptete, die Wirtschaft müsse sich „wieder restlos in den Dienst der Menschen stellen“, konnte man ihn als „letzten Kommunisten“ im Lande den Umstand überwinden zu wollen glauben, dass der Daseinsgrund eines Unternehmens in erster Linie die Gewinnmaximierung ist. Wenn er später meinte, eine nachhaltige Entwicklung sei „nicht möglich ohne Wirtschaft, die nachhaltig wächst“, und nachhaltiges Wachstum „nicht möglich ohne Wettbewerbsfähigkeit“, dann war er nicht nur wieder beim gewöhnlichen Kapitalismuskonzept angelangt. Er hatte gleichzeitig alle Hoffnungen miterledigt, die Regierung verfüge am Ende über so etwas wie eine Vorstellung für ein neues Luxemburger Modell, da die goldenen Jahre hoher Wachstumsraten womöglich nie mehr wiederkehren. Gerade in dieser Situation aber könnte eine Schwächung des Umweltressorts tatsächlich einen Rückschritt bedeuten. Ob dem so ist, entscheiden von nun an die beiden Superminister. 

Peter Feist
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