Seit ihrem Rücktritt 2022 als Umweltministerin hat Carole Dieschbourg Zeit ihren Interessen nachzugehen. Über was denkt sie gerade nach?

„Ech refuséiere, gläichgülteg ze ginn“

Die grüne Politikerin Carole Dieschbourg
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 20.12.2024

Neben der Specksmühle stehen fünf Esel auf einer Weide in Lauterborn, einem Vorort von Echternach. An der Tür der Kaffeerösterei kommt uns am Montag der Border Collie Happy entgegengerannt. Später am Nachmittag wird ihn ein Stammkunde loben: „En ass scho méi verstänneg ginn.“ Carole Dieschbourg, ganz in Schwarz gekleidet, steht im Mühlenladen, neben Regalen voller fair gehandeltem Biokaffee. 1897 kaufte ihr Urgroßvater Jean-Pierre Dieschbourg die Specksmühle. Heute arbeitet Carole Dieschbourg hier halbtags als Angestellte.

Die Esel, die in ihrem Winterfell gekleidet neben der Mühle grasen, wissen nichts davon, aber vor fünf Jahren wurden sie zu einem Politikum. Damals warfen CSV-Politiker den Eltern der Umweltministerin Carole Dieschbourg vor, auf ihrem Gelände einen Viehunterstand ohne Genehmigung abgerissen und an anderer Stelle neu errichtet zu haben. Das Wasserwirtschaftsamt widersprach: Der Eselunterstand sei wegen Hochwassergefahr rechtskonform verlegt worden. Die Eltern von Carole Dieschbourg halten seit den 1990er-Jahren Esel, und die Aufmerksamkeit war schon öfter auf sie gerichtet. Aber schon mal aus einem freudigeren Anlass: Am Nikolaustag zogen die Esel samt Karren regelmäßig durch Echternach. Der politisch-mediale Trubel vor fünf Jahren ließ die Esel unberührt. Carole Dieschbourg aber zeigt sich noch immer angefasst über das öffentliche Ausleuchten des Eselunterstands. Dass ihre Arbeit als Politikerin kontrolliert wurde, sei normal. Dass Stimmung gegen Familienangehörige gemacht wurde, sei nicht normal.

Carole Dieschbourg hatte ihre Anteile am Mühlen-Unternehmen verkauft, bevor sie 2013 Ministerin wurde. In der Rösterei wird heute nur noch Buchweizen gemahlen. Die bio- und demeter-zertifizierte Hauptmühle ist seit 2017 stillgelegt: Die Maschinen stammen aus dem Jahr 1911, und eine grundlegende Modernisierung des denkmalgeschützten Gebäudes wäre ein Mammutprojekt gewesen, das über ein vergleichsweise günstiges Produkt – Mehl – hätte refinanziert werden müssen. Die Mühle befindet sich in einer Übergangsphase, bevor sie ihre neue Bestimmung findet. Vielleicht geht es der ehemaligen Politikerin gerade ähnlich.

Seit 2022 war Carole Dieschbourg parteipolitisch kaum noch aktiv. Im April vor zwei Jahren trat sie als Umweltministerin zurück. „Ich fände es unverantwortlich, wenn nochmals im Parlament über diese Affäre gesprochen und Zeit verloren werden würde“, erklärte sie damals. Die „Affäre“, das waren die Umbauarbeiten an dem in einer Naturschutzzone gelegenen Gaardenhaischen von Roberto Traversini. Im Raum stand der Verdacht, Dieschbourg habe ihren Parteikollegen, den damaligen Differdinger Bürgermeister, bevorteilt. Vermutlich war weniger der Verdacht gegen Dieschbourg der eigentliche Rücktrittsgrund, sondern der prozedurale Ablauf: Laut der damaligen Verfassung musste das Parlament entscheiden, ob weitere Ermittlungen gegen die Ministerin eingeleitet werden sollten. Das war politischer Zündstoff. Im Juli dieses Jahres wurde Dieschbourg schließlich freigesprochen.

In der Mühle landete Carole Dieschbourg schon einmal nahezu außerplanmäßig. „Eigentlich wollte ich Lehrerin werden und hatte in Deutschland meine Praktika abgeschlossen“, erzählt sie am Montag. Sie ist studierte Germanistin und Historikerin; ihre Masterarbeit schrieb sie über Sklaverei im alten Rom. Nach dem Studium begann sie, den Mühlenbestand im Rahmen eines EU-Leader-Projekts zu inventarisieren, und stieg kurzerhand ins Familienunternehmen ein. Dabei eignete sie sich neue Fähigkeiten an: Buchhaltung, Marketing und Personalmanagement. Gleichzeitig empfand sie die hiesige Gesellschaftspolitik als „hannendran“ – während ihres Studiums in Deutschland koalierten bereits Rot-Grün. Schon länger war sie zivilgesellschaftlich im Mouveco engagiert. „Aber ich dachte mir, anstatt Parteipolitik nur von außen zu kritisieren, könnte ich mich auch parteipolitisch engagieren.“ Mit 31 Jahren trat sie schließlich der grünen Partei bei.

In Deutschland hatte sie möglicherweise auch festgestellt, dass die Grünen keine Daueroppositionspartei sind. Als die politische Newcomerin mit 36 Jahren in die Regierung berufen wurde, war die Überraschung groß – außerhalb des Ostens war sie nämlich eine Unbekannte. Dass viele ihr vertrauen, spiegelte sich jedoch in den Wahlzetteln wider: Auf nationaler Ebene erzielte sie den größten prozentualen Gewinn an Personenstimmen innerhalb ihrer Partei, wie der Journalist Jochen Zenthöfer berechnete. Im Télécran feierte er sie: Sie sei die erste grüne Umweltministerin Luxemburgs und zugleich die erste Ministerin ihrer Partei im Großherzogtum.

Vermisst sie die nationale Politik? Es habe ihr Freude bereitet, sachorientiert an Themen zu arbeiten, sagt Dieschbourg. Als Ministerin sei man mit ganz unterschiedlichen Akteuren aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Kontakt. „Aber in der politischen Arena werden auch Diskussionen geführt, die alles andere als sachlich sind.“ Sie sei ein politischer Mensch und Politik könne man auch ohne Amt machen – vor der eigenen Haustür. Letztlich könne man jedoch nicht leugnen, dass sich durch Verträge vieles voranbringen lässt. Und Verträge schließt man nun mal eher auf einem Ministerstuhl ab, analysiert sie.

Das Onlinemedium Reporter urteilte 2022, der Streit um Traversinis Genehmigung habe Dieschbourg die politische Karriere gekostet. Wie es für sie in der Post-Gaardenhaischen-Zeit weitergeht, bleibt allerdings offen. Vor zwei Monaten wurde Dieschbourg auf dem Kongress der Grünen ins Exekutivkomitee gewählt. Gefragt nach ihren politischen Ambitionen, hält sie sich jedoch bedeckt: „Ech sinn elo politesch lokal aktiv, a fir de Rescht gesi mer,“ sagt sie. Nach ihrem Rücktritt munkelten Parteikolleg/innen, sie könnte, sobald die Gaardenhaischen-Anschuldigungen ausgestanden seien, eine Karriere in einer internationalen Organisation anstreben. Bisher hat sich Dieschbourg jedoch für das act local entschieden. Auf die Frage, was sie genau macht, wenn sie nicht in der Mühle ist, bleibt sie vage. Sie lässt durchblicken, dass sie junge Politiker/innen aus dem Osten berät, falls diese Fragen an sie herantragen. Darüber hinaus sei sie mit NGOs aus den Bereichen Umwelt und Frauenrechte im Gespräch. Konkrete Namen will sie nicht nennen. „Als Ministerin hatte ich einen enormen Input und habe viel über Gesetzgebungen gelernt. Dieses Wissen will ich weitervermitteln“, erklärt Dieschbourg.

Seit zwei Jahren hat die Germanistin wieder mehr Zeit, Bücher zu lesen. Kürzlich hat sie ein Werk der Transformationsforscherin Maja Göpel gelesen, das sie inspirierte. Carole Dieschbourg ist eine Stabilo-Boss-Leserin: Sätze sind in Blau und Lila markiert. Manche aber auch mit Bleistift mehr krumm als gerade unterstrichen. Besonders beeindruckt hat sie der Satz: „Seien wir ein Wirk.“ „Wirk“ ist eine Zusammensetzung aus „wir“ und „wirken“. Es drückt aus, dass wir als Gesellschaft unsere Zukunft gestalten können und dass unsere Lebenswelt „aus unser aller Zusammenwirken“ entsteht, sagt Dieschbourg. Wir könnten wählen, welchen Einfluss wir haben wollen – sei es in Energie- und Tierwohlfragen oder, wie wir Demokratie und Gemeinschaftssinn stärken. „Dat sinn haart Themen, dat si keng soft Themen“, betont die grüne Politikerin. Denn es gehe darum, einen sicheren Ort zum Leben zu bewahren.

Nach ihrem ersten Mandat beschrieb Laurent Schmit von Reporter Carole Dieschbourg 2018 als „so sachlich wie Pierre Gramegna, so umgänglich wie Xavier Bettel und so streitlustig wie Etienne Schneider.“ Jochen Zenthöfer lobte im Cicero ihre ungekünstelte Art – sie lasse sich „keine gestylte Öffentlichkeitsarbeit aufdrängen.“ Da Luxemburg zum Zeitpunkt des Pariser Klimagipfels 2015 die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, koordinierte sie die Verhandlungen für die EU. Im Spiegel wurde anschließend berichtet, Dieschbourg werde in EU-Kreisen als „extrem engagiert“ und „geschickt“ charakterisiert. In ihrer ersten Mandatsperiode wusste Dieschbourg in mehreren Dossiers zu überzeugen: Unter ihrer Leitung entstanden über den Stausee hinaus Trinkwasserschutzgebiete – mittlerweile sind 80 Prozent der Quellen geschützt. Sie brachte wichtige Reformen auf den Weg, darunter die Reform des Wald- und Naturschutzgesetzes. Die CSV verschonte sie in ihrer Oppositionsarbeit weitgehend; Meco-Aktivist und Ex-Umweltminister Marco Schank kümmerte sich um Umweltthemen. Und was heute kaum vorstellbar scheint: Die CSV-Parteispitze um Claude Wiseler dachte damals ernsthaft über eine künftige schwarz-grüne Koalition nach.

Nachdem die CSV 2018 nicht in die Regierung gewählt wurde und die Dreierkoalition in eine zweite Runde ging, wendete sich das Blatt: Von der Oppositionsbank aus entdeckte die CSV die Umweltpolitik und die Grünen als Angriffsfläche. Als schließlich die Gaardenhaischen-Affäre hochkochte, zog eines „ihrer beißwütigsten politischen Tiere“ los, wie das Land Michel Wolter beschrieb, um Dieschbourg politisch auszuschalten. Während einer mehr als einstündigen Rede in der Kammer im Jahr 2019 warf Wolter ihr vor, „die Chamber, die Presse und die Öffentlichkeit belogen, in die Irre geführt und wichtige Elemente aus dem Dossier verschwiegen“ zu haben. Es handele sich um „einen der größten Umweltskandale der vergangenen Jahre“, und forderte ihren Rücktritt. Am Folgetag titelte das Wort mit einem Zitat von Wolter: „Ministerin hat auf ganzer Linie versagt“. Wolter sollte schließlich nicht recht behalten: Dieschbourgs Beamte hatten den Gartenlauben-Amateurrenovierer Traversini nicht bevorteilt. Während der Ermittlungen wurde jedoch deutlich, dass die Verwaltung mit der Auslegung ihres Naturschutzgesetzes überfordert war und es womöglich willkürlich handhabte. In manchen Fällen stellte sie Genehmigungen für Gebäude aus, deren Existenz rechtlich nicht anerkannt oder unklar war – wie im Fall von Traversini. In anderen Fällen tat sie das nicht.

In ihrer Zeit als Ministerin beklagte sich Dieschbourg bei ihren Beamten, die Presse sei oberflächlich und sensationslüstern. Der Medientrubel rund um die Gaardenhaischen-Affäre haftet an ihr wie Schwefel: „Ech ginn haut virun allem op Skandaler ugeschwat, wann ech ënnert de Leit sinn.“ Wahrscheinlich aber wird die Skandal-Klette abfallen, sobald sie mit neuen Projekten in die Öffentlichkeit tritt. Bis zum jetzigen Zeitpunkt hatte sie Interviewanfragen systematisch abgelehnt. Derweil hält sie sich auch auf ihren Social-Media-Kanälen zurück; sie hat sie zwar nicht gelöscht, bespielt sie jedoch nicht. Wie unterirdisch die Debatte in denNetzwerken verlaufen kann, musste Dieschbourg vor allem 2020 feststellen. Unter dem Impuls des Piraten Marc Goergen eskalierte ein Streit um Mufflons in Echternach. Piraten unterstellten der Umweltministerin, sie wolle die Tiere grundlos töten, und veröffentlichten ein Video mit dem Titel „RIP Mouffelen“. Im Vorspann wurde behauptet: „Dese Weekend ginn d’Mouffelen erschoss. A wien ass Schold? D’Agentin Dieschbourg.“ Auf Social Media tobte ein Shitstorm. Sie ließ die Naturverwaltung schließlich nicht eingreifen. Dabei war der Abschuss indiziert, da sich die nicht heimische Art ungebremst ausbreitete, weil der Jagdpächter sich nicht an den Abschussplan hielt.

Carole Dieschbourg bezeichnet sich als Katholikin. Sie hat die Enzyklika Laudato Si von Papst Franziskus gelesen, die sich mit Umwelt- und Klimaschutz befasst. Bei den Vorbereitungen zum Pariser Klimaabkommen 2015 besuchte sie mit anderen Umweltminister/innen den Papst. „Damals habe ich die Kirche als progressive gesellschaftspolitische Kraft in Umweltfragen erlebt“, sagt sie. Als Kind hatte sie zudem große Freude daran, in einem Kinderchor mitzusingen, der Gottesdienste musikalisch begleitete. Derzeit aber sei sie enttäuscht darüber, wie während des Papstbesuchs Frauen thematisiert wurden und wie Jean-Claude Hollerich in der Caritas-Affäre reagierte. „Zu sagen, dass man biografisch-kulturell mit dem Katholizismus vertraut ist, schließt keine kritischen Urteile über die Institution Kirche aus“, so Dieschbourg.

Ihr Border Collie Happy liegt unter dem Tisch und schläft mittlerweile. Die Esel, das Mühlenkulturerbe, der Nebel, der um die Tannenbäume hochzieht, Carole Dieschbourg, die Zeit hat, ihren Interessen nachzugehen – all das strahlt Gemächlichkeit aus. Es steht im Widerspruch zu einem Roman, der im Mühlenladen liegt: Der Morgenstern von Karl Ove Knausgaard. In diesem taucht das Motiv der chaotisch verschwimmenden Grenzen zwischen Mensch- und Tierwelt wiederholt auf. Füchse werden in der urbanen Umgebung gesichtet, ein Dachs verirrt sich in ein Wohnzimmer und tötet eine Hauskatze. Krebse verlassen ihr Element und ziehen vom Wasser aufs Land. Fische in einem Fjord vermehren sich auf bedrohliche Weise, Vögel sind auf merkwürdige Weise unruhig. Die Tiere verweisen auf eine Welt, die aus den Fugen gerät; darauf, dass Ökosysteme vor dem Kollaps stehen. Dieschbourg will gegen diesen Kollaps kämpfen: „Ech refuséiere, gläichgülteg ze ginn.“ Sie orientiert sich an einem Zitat des Ökonomen Eric Young: „Vielleicht ist kein vorsichtiges Wort. Es ist eine herausfordernde Behauptung der Möglichkeit angesichts eines Status quo, den wir nicht zu akzeptieren bereit sind.“

Stéphanie Majerus
© 2025 d’Lëtzebuerger Land