Der Kongress der Grünen wählte neue Parteigremien und versuchte einen politischen Ausblick nach dem Wahldebakel vor einem Jahr

„Wofür wir stehen“

François Benoy und Stéphanie Empain, die neue Präsidentschaft der Grünen
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d'Lëtzebuerger Land du 18.10.2024

„Immens schéin!“, sagt die stets gut gelaunte Ko-Parteipräsidentin Djuna Bernard ins Mikrofon, als sie am vorigen Samstag den Kongress der Grünen eröffnet. Fast 200 Delegierte sitzen im Saal des Leudelinger Kulturzentrums. Die frühere Umweltministerin Carole Dieschbourg ist gekommen, strahlend, weil seit fünf Monaten gerichtsamtlich befreit von dem Verdacht, Gartenlauben-Renovierer Roberto Traversini zu Vorteilen verholfen zu haben. „Ich komme ein bisschen wieder“, entgegnet sie auf die Frage nach politischen Ambitionen. Drei Stunden später wird sie ins Exekutivkomitee der Partei gewählt.

Der Kongress soll alle Führungsgremien neu wählen. Eigentlich hätte das schon voriges Jahr geschehen müssen, um im Zwei-Jahre-Turnus zu bleiben. Aber um nicht in einem Wahljahr von der Präsidentschaft bis zum Genderrot alle Gremien neu zu bestimmen, verlängerte ein außerordentlicher Kongress die Mandate um ein Jahr. Dass Stéphanie Empain und François Benoy, Abgeordnete bis 2023, das Präsidentenduo Djuna Bernard und Meris Sehovic ablösen sollen, ist schon seit Monaten bekannt. Gegenkandidaturen gibt es keine. Die interessanteste Wahl wird vielleicht die zum fünfzehnköpfigen Exekutivkomitee.

Vor allem aber soll der Kongress ein Signal senden, wie es nach dem internen „Reflexionsprozess“ der Partei weitergeht. Nach der Aufarbeitung der Niederlage bei den Kammerwahlen vor einem Jahr, als Déi Gréng den Fraktionsstatus verloren, und nach der Beantwortung der Frage, ob die Grünen eine strategische Neuausrichtung brauchen, und wenn ja, welche. Raphaël Gindt, bis zu den Gemeindewahlen 2023 Schöffe in Leudelingen, fragt in den Saal, ob es „heute vielleicht eine Neuausrichtung“ geben wird. Und meint, der Kongress „passt zu Leudelingen“. Die Gemeinde sei „heute kein Dorf hinter der Tankstelle mehr, sondern ein vorstädtisches Dorf, mit einem bunt angestrichenem Dorfzentrum und einem immens großen Kulturzentrum. Eine historische Dorflandschaft mit modernen Elementen“. Was genau er damit sagen will, wird nicht klar. Außer vielleicht, dass der interne Reflexionsprozess widersprüchlich verlaufen sei.

Wie Unternehmen und Organisationen das auch tun, haben Déi Gréng nach ihrem „Daseinsgrund“ und den damit verbundenen „Werten“ geforscht. Was das „strategisch“ zu bedeuten hat und wie die Partei die Ziele erreichen will, die sie mit der Strategie verbindet. Was das Land über den – intern gehaltenen – Prozess in Erfahrung bringen konnte, läuft darauf hinaus, dass die grüne Basis das Selbstverständnis der Partei nicht infrage gestellt sieht. Ein neues Grundsatzprogramm müsse nicht her. Die Frage sei eher, wie grüne Themen nach draußen getragen werden und wer das macht.

Nicht gut fand die Basis anscheinend, dass Déi Gréng als Regierungspartei 2020 ihre Zustimmung zum Freihandelsabkommen Ceta der EU mit Kanada gaben, nachdem sie in der Opposition Front dagegen gemacht hatten. Und dass sie die Covid-Politik der Regierung mittrugen, ohne das „freiheitliche Element“ stärker nach außen hin zu betonen. Dass François Bausch auf dem Parteikongress im März 2021 gegen LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert stänkerte, war eher dazu gedacht, Corona-Kritiker an der grünen Basis zu beruhigen.

Schon seit der Ankunft in der parlamentarischen Opposition sind die Äußerungen der grünen Abgeordneten mehr links einzuordnen. Vor allem bei Sam Tanson, der Präsidentin der politischen Sensibilität, die die Grünen in der Kammer nur noch sind. Wenn sie von Ökologie spricht und im gleichen Atemzug erklärt, der Mindestlohn müsse steigen, fällt das auf. In der Koalition mit DP und LSAP brachten Déi Gréng es nicht fertig mitzuteilen, dass sie Soziales mitdachten, sich bei der Einführung der CO2-Steuer dafür einsetzten, die Hälfte der Einnahmen direkt an einkommensschwache Haushalte umzuverteilen. Auch das ist eine Kritik, die intern geäußert wurde.

Was zu einer der Schlussfolgerungen der Reflexion führt: Ur-grüne Themen hätten 2023 auf der Prioritätenliste der Wähler/innen nicht weit oben gestanden. Materielle Sorgen waren wichtiger. Den Grünen aber wurde nicht zugetraut, dafür Lösungen zu haben. Dass der Wahlkampf zu den Kammerwahlen auf „Eise Bilan“ fokussiert war und auf die fünf Regierungsmitglieder, half dabei nicht. Statt sogar in Wiltz Plakate mit François Bausch und der Stater Tram aufzuhängen, wäre es besser gewesen, lokale Kandidat/innen, beziehungsweise die Nord-Liste nach vorn zu bringen.

Wie die grüne Programmatik beschaffen sein soll, umreißt Sam Tanson in ihrer politischen Rede auf dem Kongress: „Wir engagieren uns für Gerechtigkeit. Für den Schutz der Schwächsten. Für die Rechte derer, denen sie zu Unrecht aberkannt wurden. Für eine Wirtschaft, in der Naturschutz, Klimaschutz und Unternehmertum nicht zueinander im Widerspruch stehen, sondern eine Chance sind. Über all dem steht, dass wir einen Planeten brauchen, auf dem auch morgen noch Menschen leben können.“ Ganz neu ist das nicht. Als Tanson Dias „vermisster Minister“ an die Leinwand hinter sich projizieren lässt und sie damit DP-Außenminister Xavier Bettel, CSV-Arbeitsminister Georges Mischo und CSV-Umweltminister Serge Wilmes vorwirft, in ihren Ämtern zu versagen, amüsiert der Saal sich sehr.

Die Wahl der neuen Parteipräsidentschaft verläuft unspektakulär. François Benoy erhält leicht mehr Zustimmung als Stéphanie Empain, aber das will bei sieben Stimmen Unterschied im Ja nicht viel heißen. Interessanter ist, dass Tom Köller nicht ins Exekutivkomitee gewählt wird, bis Juli Chef der Verteidigungsdirektion im Außenministerium und heute im diplomatischen Dienst der Ständigen Vertretung Luxemburgs bei der Nato. Ob das Ausdruck dafür ist, dass beträchtliche Teile der Grünen die Politik nicht teilen, die François Bausch als Verteidigungsminister geführt hat? Kann sein. An der grünen Basis gibt es noch viele Pazifisten der alten Schule. Vielleicht aber ist Tom Köller einfach wenig bekannt an der Basis.

Geopolitik, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten spielen auf dem grünen Kongress und in den Erwägungen zur Gerechtigkeit keine Rolle. Nur in Sam Tansons Kritik am Außenminister, aber nicht in der Reflexion grüner Werte. Die neue Parteipräsidentin Stéphanie Empain kommentiert: „Wir haben uns auf das Wesentlichste konzentriert. Sonst hätten wir zum Beispiel auch über Schulpolitik sprechen können.“

Peter Feist
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