Der Sozialminister will den Erste-Klasse-Zuschlag in den Spitälern im Zuge einer Reform der Ärzte-Vergütung überflüssig machen. Das leuchtet ein, aber wird daraus was bis zu den nächsten Wahlen?

Tendenz: Einzelzimmer

d'Lëtzebuerger Land vom 19.06.2015

Zu den politischen Vorhaben, die die blau-rot-grüne Regierung von ihrer Vorgängerin übernommen hat, zählt die Abschaffung des so genannten Erste-Klasse-Zuschlags auf die Arztrechnung in Krankenhäusern: Hat ein Patient bei seiner Einweisung ins Spital gewünscht, in einem Einzelzimmer untergebracht zu werden, darf nicht nur die Klinik einen Zuschlag auf den täglichen Unterbringungspreis erheben, sondern alle den Patient behandelnden Ärzte können für ihre Leistungen 66 Prozent mehr berechnen. So hält es Artikel 49 einer Konvention fest, die 1993 der Ärzteverband AMMD und die damalige Krankenkassenunion UCM abschlossen. Für eine Gallenblasenoperation zum Beispiel darf ein Chirurg dann 751,98 Euro anstelle 453 Euro im Mehrbettzimmer verlangen. Der Preisunterschied geht zu Lasten des Patienten.

Weil schon 2009 der Koalitionsvertrag von CSV und LSAP ankündigte, „le tarif majoré de 66% pour les actes médicaux sera supprimé progressivement“, und DP, LSAP und Grüne dieses Versprechen fast wortwörtlich in ihr Regierungsprogramm kopierten, musste es eigentlich gar nicht erstaunen, dass rtl.lu vergangene Woche meldete: „Supplement fir Doktere bei Eenzelzëmmere soll ewechfalen“. Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) erklärte, wieso: Werden Krankenhäuser renoviert oder neu gebaut, würden stets mehr Einzelzimmer geschaffen. „Diese Tendenz“ wolle die Regierung „nicht dadurch bremsen lassen, dass in jedem Einzelzimmer ein Erste-Klasse-Zuschlag“ fällig wird.

Erstaunen konnte allerdings, dass die Ministerin für die Abschaffung des Zuschlags „noch kein Datum“ nennen konnte, wo der Schritt doch schon so lange im Raum steht. Und die Zahl der Einzelzimmer nimmt nicht erst seit heute zu: Im Moment stehen von 2 050 Betten in den Akutspitälern 532 in Einzelzimmern – rund ein Viertel. Doch schon die Klinik-Neubauten auf dem Kirchberg und im Norden erhielten mehr Einzelzimmer als in den älteren Häusern Standard war. Das 2003 fertiggestellte Hôpital de Kirchberg hat 33 Prozent „Erste-Klasse-Betten“. In der Bohler-Klinik gleich nebenan sind es 44 Prozent, im Centre hospitalier du Nord 39 Prozent.

Aber das ist wenig, verglichen mit dem, was jetzt gebaut oder geplant wird. In der neuen Maternité des CHL, die Mitte August ihre Türen öffnet, werden 36 der 52 Betten in Einzelzimmern zu finden sein. Die Bohler-Klinik ist dabei, durch einen Ausbau auf ungefähr denselben Erste-Klasse-Anteil nachzuziehen. Und während im gesamten CHL die Erste-Klasse-Rate gegenwärtig nur beim Landesschnitt von einem Viertel liegt, sind im Neubau des Hôpital municipal, der vielleicht 2020 fertig sein wird, nicht weniger als 60 Prozent der Betten in Einzelzimmern vorgesehen. Auch das in Esch-Raemerich geplante Südspidol könnte gegen Ende des Jahrzehnts gebaut sein – mit ebenfalls wesentlich mehr Einzelzimmern als im aktuel-len Süd-Klinikum Chem, das mit 14 Prozent so wenig „Erste Klasse“ bietet wie kein anderes Krankenhaus im Land. Daher kommt die Sorge der Gesundheitsministerin: Der Zuschlag auf der Arztrechnung könnte mehr und mehr zur Regel werden.

Also, weg damit? Den Leuten würde das sicher gefallen. Der kurze Beitrag auf dem RTL-Nachrichtenportal vergangene Woche erregte zwar nicht so viel Aufmerksamkeit wie die Meldungen nach dem Referendum vom 7. Juni, wurde aber immerhin 40 Mal von Lesern kommentiert. Die beschwerten sich mal darüber, dass es nicht genug Einzelzimmer in den Spitälern gebe, mal fanden sie es „verrückt“, dass ein Krankenhausarzt um zwei Drittel höhere Behandlungskosten in Rechnung stellen darf, nur weil sein Patient ein Einzelzimmer belegt.

Aber weil das Thema so viele Emotionen mobilisiert, ist die Abschaffung des Zuschlags vor allem ein etwas populistisches Versprechen der LSAP. 2004 hatte sie es in ihr Wahlprogramm geschrieben, ins Koalitionsabkommen mit der CSV gelangte es erst eine Legislaturperiode später. Im Wahlkampf 2013 versprach keine andere der heutigen Regierungsparteien die „progressive Streichung“ der 66 Prozent, die CSV ebenfalls nicht.

Denn allen ist klar, dass dieser Schritt sich leichter versprechen als tatsächlich gehen lässt. Dazu müsste der seit den Siebzigerjahren bestehende ungeschriebene Deal mit den Medizinern aufgekündigt werden, die laut Gesetz alle automatisch und obligatorisch Kassenärzte sind, aber ein klein wenig Privatmedizin betreiben dürfen, ohne dass man das so nennen muss. Sei es, indem sie einem Patienten, wenn der eine Konsultation zu einem bestimmten Termin wünscht, eine Convenance personnelle vom Typ CP1 bis CP7 in Rechnung stellen, die die Krankenkasse nicht erstattet. Oder sei es durch den 66 Prozent-Zuschlag in der „Ersten Klasse“ im Spital. Weil der nicht erhoben werden darf, wenn ein Patient aus medizinischen Gründen in einem Einzelzimmer liegt, sondern nur wenn er mehr Komfort wünschte, sind die 66 Prozent für den Ärzteverband ein Stück „sozialer Versorgung“: Die Behandlung des Patienten sei ja dieselbe, egal in welchem Zimmer er liegt – anders als in den Nachbarländern, wo man ohne Zusatzversicherung unter Umständen schlechter versorgt wird. Hierzulande dagegen verdiene der Arzt an jenen etwas hinzu, die es sich leisten wollen, besser gebettet zu sein. So ähnlich wie früher, als der Landarzt auf dem Dorf die Armen gratis behandelte und von den reichen Bauern ein hohes Honorar nahm. „Selektive Partizipation“ nannte AMMD-Generalsekretär Claude Schummer das vor fünf Monaten – und bei der soll es bleiben (d’Land, 9.1.2015).

Weil bisher jede Regierung eine Konfrontation mit den Ärzten nur einging, wenn es unbedingt sein musste, könnte es durchaus sein, dass auch die laufende Legislaturperiode zu Ende geht, ohne dass sich etwas am Status quo geändert hätte. Zumal die Begleichung der 66 Prozent ziemlich vergesellschaftet ist: Die Caisse médico-chirurgicale mutualiste (CMCM) zählt 267 000 Mitglieder und erstattet ihnen den Zuschlag zurück, falls eine schwere chirurgische Behandlung nötig war. In einem Extra-Regime, dessen Mitgliedschaft mehr kostet, bezahlt sie ihn bei jedwedem Krankenhausaufenthalt. Diesem Regime waren zuletzt mehr als 90 000 Personen angeschlossen. Dass die Abschaffung der 66 Prozent der Volks-Zusatzversicherung CMCM womöglich die Geschäftsgrundlage entziehen könnte, war ein weiterer Grund dafür, dass die vorige Regierung in der Gesundheitsreform von 2010 lediglich jene Passage aus dem Krankenkassengesetz streichen ließ, in der stand, die CNS schließe „obligatorisch“ Konventionen über Erste-Klasse-Zuschläge ab. Seitdem sieht es wenigstens nicht mehr so aus, als seien die 66 Prozent sogar gesetzlich vorgeschrieben.

Es gibt aber einen tieferliegenden Grund, an den Erste-Klasse-Zuschlag zu rühren. Man kann ihn wie der frühere Minister Mars Di Bartolomeo (LSAP) für „unlogisch“ halten oder für „verrückt“, wie nicht wenige Bürger. Man kann auch den Argumenten der AMMD folgen, wenn die darauf verweist, dass in den Nachbarländern Ärzte „Privatpatienten“ nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in den Arztpraxen Honoraraufschläge in Rechnung stellen dürfen: In Deutschland können sie 250 Prozent, in Ausnahmefällen sogar 350 Prozent betragen, in Belgien bis zu 400 Prozent. In belgischen Spitälern kann ein Arzt einem Patienten im Einzelzimmer 100 Prozent Zuschlag berechnen. Angesichts solcher Regeln jenseits der Grenzen beschwert der Ärzteverband sich immer wieder über die Pflichtbindung der Luxemburger Mediziner an die CNS, verweist darauf, dass sich in der EU immer mehr ein grenzüberschreitender Gesundheitsmarkt ausbildet – und dass nicht nur Privatversicherungen, sondern auch die CMCM Luxemburger Patienten rückerstattet, was in einem ausländischen Spital an Erste-Klasse-Kosten anfällt.

Doch nicht nur das ist ein Problem, falls die 66 Prozent abgeschafft werden sollten und sich gleich danach die Frage anschlösse, auf welchem Weg den Ärzten der Einkommensverlust ausgeglichen würde. „Man kann den Zuschlag nicht losgelöst von der Reform der Tarif-Nomenklatur der Ärzte diskutieren“, findet Sozialminister Romain Schneider.

Damit hat er sicherlich Recht. Die geltende Gebührenordnung, nach der die Ärzte ihre Kassenleistungen in Rechnung stellen müssen, ist nicht nur veraltet und vergütet manche chirurgischen Eingriffe mit 30 bis 40 Euro schlechter als wenn ein Klempner einen Wasserhahn wechselt. Sie enthält auch wenig Tarife für „Spitzenmedizin“, so dass in der Praxis alles Mögliche abgerechnet wird. Und sie ist zum Teil absurd ungerecht: Operiert ein Urologe einen Leistenbruch mit Hodenhochstand, kann er für den Eingriff 298,90 Euro abrechnen. Ein Chirurg dagegen kann 356,20 Euro nehmen – für dieselbe Leistung. Mit Erste-Klasse-Zuschlag werden solche Unterschiede noch um zwei Drittel größer.

Denn die Gebührenordnung der Ärzte ist als Tarifgebäude gewachsen, in dem der etwas mehr zugestanden erhält, der am lautesten ruft, er komme zu kurz. Zuständig für das Management der schwelenden Ungerechtigkeiten ist der Ärzteverband selber. AMMD-intern gibt es seit Jahren Ärger, weil verschiedene Fachgesellschaften finden, sie kämen notorisch schlecht weg. Ist nicht der Kinderarztmangel in den Kliniken vor allem ein Problem der Verdienstmöglichkeiten? Laut Generalinspektion der Sozialversicherung haben Kardiologen und Anästhesisten die höchsten Brutto-Jahreseinkünfte nach Abzug ihrer Betriebsausgaben, Pädiater rangieren an viertletzter Stelle. Die Probleme um die Kindermedizin in den Spitälern im Norden und im Süden, die im vergangenen Jahr aufgetaucht waren, haben gezeigt, dass das schlecht funktionierende Entgeltsystem der Ärzte auch das Funktionieren der Krankenhäuser in Mitleidenschaft zieht.

In dem Zusammenhang fällt auf, dass die Regierung sich im Koalitionsprogramm nicht nur vorgenommen hat, die Gebührenordnung der Mediziner von Grund auf zu reformieren. Das hatten alle Parteien 2013 in ihren Wahlprogrammen stehen, und das will auch der Ärzteverband. Der Koalitionsvertrag enthält aber noch eine besondere Note: Im Moment wird Ärzten, von wenigen Ausnahmen abgesehen, in erster Linie der Akt am Patienten vergütet, sei es eine Konsultation, eine Diagnose oder ein Eingriff. Die Tarife sind für Arztleistungen in Praxen dieselben wie im Spital. Doch dabei soll es offenbar nicht bleiben. Eine neue Gebührenordnung werde auch Bereitschaftsdiensten der Klinikärzte Rechnung tragen, Leistungen für die öffentliche Gesundheit – was immer damit gemeint ist –, sowie Qualitätszielen in der medizinischen Versorgung.

Die Idee hinter den zum Teil abstrakten Begriffen geht auch dahin, ein Krankenhaussystem, das überwiegend mit freiberuflichen Medizinern funktioniert, so auszurichten, das nicht nur der viel verdient, der viel arbeitet. Würde sie umgesetzt, wäre das eine weitreichende Reform, und die beiden sozialistischen Minister scheinen zu hoffen, eine korrekte und gerechtere Vergütung, die obendrein Sinn macht für die Spitäler als Betriebe, würde vielen Ärzten einleuchten und von ihnen unterstützt – und mit ihr die „progressive“ Abschaffung des Erste-Klasse-Zuschlags.

Aber das bleibt abzuwarten, solange keine konkreten politischen Schritte ergriffen werden. Laut Koalitionsvertrag sollte die Nomneklaturreform schon Ende 2014 abgeschlossen sein. Stattdessen hat sie bis heute nicht begonnen und die Regierung schaute nach ihrem Amtsantritt zu, wie Ärzteverband und CNS mühsam um eine Neufassung der 22 Jahre alten Konvention verhandelten – jener Konvention, die noch immer den Erste-Klasse-Zuschlag erlaubt, obwohl sie das seit der Gesundheitsreform nicht mehr muss. Während der Verhandlungen bestand die AMMD nicht nur auf der Beibehaltung des Zuschlags, sondern verlangte, ihn auf 187,5 Prozent anzuheben. Als die Verhandlungen an diesem und anderen Punkten für ein „bisschen mehr Privatmedizin“ erfolglos blieben und kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres auch ein dreimonatiger Schlichtungsversuch durch Verwaltungsgerichtshofpräsident Georges Ravarani nicht weiter führte, blieb der Ball beim Sozialminister liegen.

Und da liegt er noch. Romain Schneider will „mit allen Beteiligten reden“ – über die Nomenklaturreform, die Erste Klasse und die diversen anderen Extras, die ein Arzt vielleicht in Zukunft frei in Rechnung stellen könnte. Ein Datum dafür gibt er allerdings nicht an. Klar scheint, dass CNS und Ärzteverband erst einmal in Ruhe neue Regeln für den Médecin référent aushandeln sollen. Aber in knapp zwei Wochen beginnt die Présidence, während der Schneider obendrein die schon überfällige Reform der Pflegeversicherung vorantreiben muss. Die könnte politisch kompliziert genug werden, noch eine Großbaustelle mit den Ärzten aufzumachen, wäre vielleicht zu viel.

So dass am Ende der Markt für Zusatzversicherungen wachsen könnte, wenn mehr Einzelzimmer entstehen. Sogar die großen Gewerkschaften scheinen sich an die Vorstellung von „Zwei-Klassen-Medizin“ zu gewöhnen: Ihren Mitgliedern eröffnen sie über die gewerkschaftlichen Sterbekassen nicht nur die Tür zur Volks-Zusatzversicherung CMCM, sondern machen den Sterbekassen obendrein noch Konkurrenz durch Gruppenverträge mit Privatversicherern. Die CGFP hat schon seit längerem einen Vertrag mit der DKV. Der LCGB winkt neuen Mitgliedern mit Krankenversicherungen bei Foyer, und ohne viel Wind darum zu machen, ist schon im März 2013 auch der OGBL eine Partnerschaft mit der DKV eingegangen. „Niemand kommt mehr umhin“, heißt es in dem gemeinsamen Faltblatt von OGBL und DKV, das man von der Webseite der Gewerkschaft herunterladen kann, „die bestehende Versorgungslücke mit einer privaten Krankenversicherung zu schließen.“ Diese „Tendenz“ habe der OGBL „frühzeitig erkannt“. Bleibt zu hoffen, dass dem sozialistischen Sozialminister die Gewerkschaften dennoch beistehen, falls er an den Erste-Klasse-Zuschlag rührt. Fragt man den Ärzteverband, dann will der zwar eine neue Gebührenordnung, aber keine Grundsatzreform der Vergütungen der Krankenhausärzte, wie sie im Regierungsprogramm angedeutet ist. Und keine Abschaffung des Erste-Klasse-Zuschlags – das sei eine Frage des Prinzips.

Peter Feist
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