Graf, Linda: Maximilians Schlaf

Kaltnadelprosa

d'Lëtzebuerger Land vom 31.07.2003

An einem alten Strumpf strickt Linda Graf, 1967 in Düdelingen geboren, in ihrem Debütroman. Erzählt wird von einer Frau zwischen, oder besser: mit zwei Männern. Doch während eine solch brisante, im richtigen Leben bekanntlich nicht eben seltene Konstellation in Kunst und Literatur gemeinhin für emotionalen Sprengstoff sorgt, bleibt die Dreiecksgeschichte in Maximilians Schlaf seltsam blass und wirkt wie mit angezogener Handbremse geschildert. Hier wirbeln, um das Schreibbesteck der Autorin einmal so zu bezeichnen, keine heißen Nadeln, hier wird nicht mit harten Bandagen um Gefühle und Liebesgunst gefochten.

Ein Grund für die Zurückhaltung der Autorin sind zweifellos die Ausgangssituation und die Charaktere der Figuren. Im Mittelpunkt steht ein seit 20 Jahren verheiratetes Paar mittleren Alters, das sich in seinem durchschnittlichen Alltagsdasein in einem gewöhnlichen (luxemburgischen) Dorf eingerichtet hat. Sie, Kim, scheint im Grunde mit ihrem Hausfrauen- und Gattinnenschicksal zufrieden. Nur selten befleckt eine Ahnung von Ungenügen, Unerfülltheit ihr ansonsten reines Herz. Während Max, der als Automechaniker tätige, mundfaule, mit gesundem Schlaf gesegnete Ehemann, sich Sinnfragen gar nicht erst stellt. 

Beider schlichtes Glück wird getrübt, als in der Nachbarschaft Justin einzieht. Prompt fühlt sich Kim, die sich für "ungebildet, so maßlos dumm" hält (kein Wunder bei einem solchen Vornamen!) zu dem studierten, rätselhaft-melancholischen Lebenskünstler (Campingkocher in der Küche! Wäscheleine quer durch das Zimmer gespannt!) hingezogen - aber nur rein geistig, keinesfalls körperlich, wie sie immer wieder betonen zu müssen glaubt. Im Endeffekt allerdings erfährt die "Eskimofrau", wie sie sich selbst nennt, bei und von ihrem nächtlichen Partner dann doch mehr, als in den Wörterbüchern und Lexika auf dessen Regalen steht. Als schließlich auch noch anonyme, an Max gerichtete Briefe auftauchen ("deine frau ist eine sau"), droht die Situation zu eskalieren.

Nein! Eben nicht! Denn Gefühlsausbrüche, heftige Auseinandersetzungen gar bleiben völlig aus. Höchstens ein paar vage Schuldgefühle nagen am Gewissen der Treulosen, die immer noch steif und fest behauptet: "Geistiger Ehebruch: ich habe mich in Justins Eremitentum hineingeschmuggelt, weil ich mein windgeschütztes Dasein satt bin."

Und die Männer? Die tun, was Männer, diese Feiglinge, in solchen Momenten am liebsten tun: Sie flüchten. Justin verdrückt sich nach Amsterdam, und Max, plötzlich gar nicht mehr schläfrig, reist ihm hinterher. Aber nicht, wie man vermuten könnte, um seinen Nebenbuhler mit Worten und/oder Fäusten zur Rede zu stellen, sondern um im Ausland, wie das offenbar so eine luxemburgische Art ist, selbst einmal nach fremden Brüsten und Hintern zu grabschen und ganz zum Schluss mit Justin eine Art maskuline Freundschaft zu schließen.

Ein anderer Grund für die relative Flachheit der Grafschen Gefühlslandschaften mag der Umstand sein, dass die Autorin von der möglichen Ästhetik des Seitensprungs, zumindest als literarisches Motiv, nicht viel hält. Auch sprachlich schlägt sie in diesem Buch, ihrem zweiten nach einer 2000 erschienenen Geschichtensammlung, keinerlei Kapriolen. Stattdessen begnügt sie sich mit regelmäßigen Wechseln der Erzählperspektive, dieser oder jener kühneren Formulierung, dem einen oder anderen unkonventionelleren Bild. Ein bisschen mehr Wagemut hätte der Kaltnadelprosa ihres schmalen Romanerstlings durchaus nicht geschadet.

Zugute halten muss man Linda Graf freilich, dass sie beim stets heiklen Liebesthema ganz ohne Pathos und ohne schaurige Sentimentalitäten auskommt. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für ihr nächstes, dann aber hoffentlich rasanteres, leidenschaftlicheres Buch.

Linda Graf: Maximilians Schlaf, Roman, Editions Phi, Esch/Alzette 2003, 128 Seiten, 14 Euro.

 

 

Georges Hausemer
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