Weil sich das Frachtaufkommen seit der Krise nicht wirklich erholt, muss am Findel umgedacht werden

Es liegt was in der Luft

d'Lëtzebuerger Land vom 09.03.2012

Er hatte wenig gute Nachrichten zu vermelden, als Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler (CSV) Anfang Februar mit dem zuständigen Parlamentsausschuss über die Entwicklung des Flughafens Findel diskutierte. Vor allem in Bezug auf das Frachtaufkommen:. Denn stiegen die Passagierzahlen in Findel 2011 um zehn Prozent auf 1,791 Millionen Fluggäste, wie auch die Zahl der Luxair-Passagekunden (1,197 Millionen) um fünf Prozent, war das Frachtaufkommen rückläufig. Vergangenes Jahr wurde sieben Prozent weniger Fracht in Findel umgeschlagen als noch 2010, insgesamt 656 651 Tonnen. Damit ist das Frachtvolumen auf das Niveau von 2003 zurückgefallen. Die Cargolux, die vergangenes Jahr für 72 Prozent des Frachtvolumens im Cargocenter verantwortlich war, transportierte 482 712 Tonnen, den Ministeriumsangaben zufolge ein Rückgang von 7,4 Prozent. Dabei schien das Luftfrachtgeschäft noch vor kurzem Zukunftsbranche zu sein. Bis 2008 stieg das Frachtvolumen kontinuierlich. Die Luxair subventioniert mit ihrem Einkommen aus der Luftfrachtabwicklung das Linienfluggeschäft, vor wenigen Jahren träumte man bei der Cargolux noch vom Börsengang. Nun scheint sich die Branche von der Krise 2008 und 2009 nicht mehr richtig zu erholen; die Cargolux braucht vielleicht bald ein Kapitalerhöhung (siehe nebenstehenden Artikel). Die Frage ist: warum?

Über ein Drittel der weltweiten Warenströme werden als Luftfracht transportiert, weshalb die Branche als Indikator für den Zustand der Weltkonjunktur gilt. Entsprechend rückläufig war das Geschäft ab der zweiten Jahreshälfte 2011. Ging man Anfang 2011 noch von einem Wachstum aus, bilanzierte der Weltverband Iata vor wenigen Tagen einen Rückgang der Flugfracht von 0,6 Prozent für 2011. Schlimmer noch war es in Europa und ganz besonders auf den Routen zwischen den Fabriken Asiens und den Konsumenten Europas: minus 20 Prozent. Ein Problem für den Flughafen Luxemburg, der, wie Luxair-Cargo-Direktorin Hjoerdis Stahl sagt, sehr „asienlastig“ ist. „Als es in China boomte, hat man davon profitiert“, sagt Stahl. Mit den chinesischen Exporten stieg das Frachtaufkommen in Findel. Nun hat die Regierung in Peking eine wirtschaftliche Drosselung programmiert und will erst einmal die Binnennachfrage stärken. Die Entwicklung trifft auch andere Marktteilnehmer. Zum Beispiel Jade Cargo, die deutsch-chinesische Cargo-Airline, die auch den Findel anflog. Oder Cargoitalia, die für ihren Niedergang die Wettbewerber am Flughafen Mailand, Cargolux Italia, mitverantwortlich macht.

Indes, an der Konjunkturflaute allein kann es nicht liegen, denn andere Flughäfen in der Großregion steigern kontinuierlich ihr Frachtaufkommen. Beispiel: Frankfurt Hahn oder Lüttich. Hüben wie drüben gibt es kein Nachtflugverbot und in Lüttich hat der Express-Dienst TNT seine Basis eingerichtet. Hahn hat das Frachtvolumen 2011 im Vergleich zum Vorjahr um 25 Prozent auf 286 419 Tonnen gesteigert. Lüttich hat 2010 den eigenen Angaben zufolge 639 434 Tonnen umgeschlagen.

Dabei sollte man die Zahlen nicht überbewerten: Der Flughafen Hahn macht 2012, wie Geschäftsführer Wolfgang Pollety der Hunsrücker Zeitung im Januar sagte, voraussichtlich einen Verlust von um die 12 Millionen Euro, schwarze Zahlen erwartet man erst in fünf Jahren. Und Lüttich mit der fulminanten Frachtentwicklung berücksichtigt in seinen Zahlen Branchenkennern zufolge auch die Fracht an Bord solcher Flugzeuge, die dort nur zum Tanken aufsetzen.

Eines aber unterscheidet die beiden Flughäfen – außer der Nachtflugerlaubnis – deutlich von Findel: Ihr aggressives Marketing und Verkaufsgebahren. „In Luxemburg hat man sich zu sehr auf organisches Wachstum verlassen“, stellt auch Yves Hoffmann, Luxair-Sprecher, fest. Für die Zeit nach dem China-Boom, wurde nicht geplant. Während in Lüttich und Hahn ganze Verkaufs- und Marketing-Abteilungen auf Kundenfang gehen, stellt Luxair-Cargo gerade erst einen Direktor für diesen Zuständigkeitsbereich ein.

Wie sich der Flughafen als Ganzes, nicht nur Luxair-Cargo, potenziellen Interessenten präsentiert, steht noch auf einem anderen Blatt. Denn die Interessen der verschiedenen Akteure sind noch lange nicht deckungsgleich. Dem Flughafenbetreiber Lux Airport müsste eigentlich daran gelegen sein, möglichst viele Kunden zu gewinnen, ob Passage- oder Frachtfluggesellschaften oder beispielsweise auch Frachtabwickler. Auf der Webseite von Lux Airport ist eine Liste der Frachtfluggesellschaften der einzige Hinweis, dass es am Flughafen Luxemburg überhaupt Frachtaktivitäten gibt – Hahn informiert in einer 50-seitigen Präsentation über den Frachtbereich, mit nicht weniger als drei Fotos, auf denen der Kunde Cargolux zu sehen ist.

Dabei ist die Konstellation am Findel nicht einfach. Es gibt die dominante Frachtgesellschaft Cargolux, die über 70 Prozent am Volumen des Abwicklers Luxair Cargo darstellt, die wiederum über die Luxair-Gruppe größter Aktionär ihres größten Kunden ist. Die Diskussionen, wer von wem abhängig ist, toben spätestens seit Luxair sich 2009 an der rettenden Kapitalerhöhung von Cargolux beteiligte. Beide haben nur bedingt Interesse daran, viel Konkurrenz am Findel zu sehen. Dazwischen steht die Flughafenbetreibergesellschaft, deren Direktor im früheren Berufsleben selbst das Luxair-Cargocenter befehligte, und die den beiden Großkunden nicht auf die Füße treten will oder vielleicht nicht durfte. So wundert es nicht, dass Claude Wiseler vor dem Parlamentsausschuss klagte, es gebe keinen einheitlichen Ansprechpartner. Um den Status Quo zu brechen, haben die zuständigen Ministerien die bereits 1996 gegründete Société de promotion et de développement de l’aéroport de Luxembourg aus der Mottenkiste geholt, wie das Nachhaltigkeitsministerium auf Anfrage bestätigt. Und zwar buchstäblich. Bei der außerordentlichen Generalversammlung im Dezember 2011 musste man feststellen, dass drei der 1996 eingesetzten Verwaltungsratsmitglieder in der Zwischenzeit verstorben sind. Der frühere Cargolux-Mitarbeiter Jeannot Erpelding, der dort für die Flugrechte und die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war, soll ihr neues Leben einhauchen, und nach Wille der neuen Verwaltungsratsmitglieder von Staat und Förderagentur LFB unter anderem als „Neutraler“ und „Unabhängiger“ international Kundschaft für Luxemburg anwerben.

Bei Luxair-Cargo hat man in der Zwischenzeit eine Liste potenzieller Neu-kunden erstellt. Weil das Passage-Geschäft, anders als an großen Flughäfen in Frankfurt, London oder Paris, in Luxemburg begrenzt ist, und deswegen Airlines, die viel Fracht auf Passagiermaschinen transportieren, ausfallen, kommen nur solche in Frage, die über ein eigenständiges Frachtnetzwerk verfügen, erklärt Stahl. Dieses Liste will man nun abarbeiten: „Wir warten nicht mehr, bis sich alle einig sind.“ Damit reagiert Luxair-Cargo auch auf Kritik der Gewerkschaften. Vergangenen Herbst hatte der OGBL Politik und Firmenleitung mangelnden Einsatz auf der Verkaufsfront vorgeworfen. Und dass sie sich vor allem auf die Einführung neuer Prozeduren konzentriere, die auf Kosten der Flexibilität gingen. Dass viele neue Prozeduren eingeführt wurden, streitet Hjoerdis Stahl nicht ab, weist aber darauf hin, dass es vorher kaum welche gab. Auch das sei nicht gut fürs Geschäft. Sicher seien dabei Fehler passiert, räumt sie ein. Sie presche schon mal vor, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt habe. Doch die Statistiken, die sie nun erheben könne, dienten auch als Präsentationsmate-rial bei der Kundenakquisition.

Dass die Cargolux sich mitten im Flottenumbau befindet, deswegen mehrere Maschinen, mit oder ohne Crew, angemietet hatte, half der Airline vergangenes Jahr sicher nicht, effizient zu arbeiten. Die vielen Leasings und dass man in der Routenführung sehr flexibel war, um hier und da Fracht aufzunehmen und dadurch die Auslastung zu verbessern, führte zudem wohl zu mehr Verspätungen als üblich. Ein Problem, das sich, wenn sich Boeing künftig nicht mehr mit der Lieferung der neuen Flugzeuge verspätet, besser regeln lassen müsste. Das ist nicht unwichtig. Einerseits weil Kunden, die sich für einen Lufttransport statt einem Schiffstransport ihrer Waren entscheiden, ohnehin mehr Wert auf Zeitgewinn und Pünktlichkeit setzen. Andererseits weil Verspätungen für Organisationsprobleme in der ganzen Abwicklungskette sorgen. Nämlich dann, wenn das Bodenpersonal für andere Zeiten eingeplant war und die Schicht schon vorbei ist, wenn das Flugzeug schließlich landet. Wenn das spät abends passiert, kann es vorkommen, dass Flugzeuge, die eigentlich am gleichen Tag wieder starten sollten, wegen des Nachtflugverbots bis um Folgetag warten müssen.

Deswegen wird auch an anderen Stellen geschraubt. Mit dem Zoll hat man sich auf eine neue Organisation geeinigt, der nun 24 Stunden täglich offen hat, berichtet Stahl. Auch bei den Veterinären und den Pflanzenschutzinspektoren hat man umorganisiert, beziehungsweise Personal eingestellt, damit der 24-Stundendienst gewährleistet werden kann, ohne absurde Präsenzzeiten von den Mitarbeitern zu fordern. Das ist wichtig für Tier- und Pflanzentransporte. Die Cargolux verlor kürzlich einen Großkunden, der wöchentlich 100 Tonnen Schnittblumen nach Luxemburg einflog und sie nun lieber nach Maastricht bringt.

Zudem tut sich etwas in punkto Flughafengebühren, wie es aus dem Nachhaltigkeitsministerium heißt. Dort besteht bereits eine Vorlage für eine neue Gebührenstruktur, um beispielsweise solchen Firmen, die viele Tonnen einfliegen, Rabatte gewähren zu können, wie es andere Flughäfen auch machen. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht“, sagt Stahl, „und können den Kunden deswegen nun ein besseres Produkt anbieten als vor den Umstellungen.“ So versucht man, die Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen. Von heute auf morgen werden aber Ergebnisse nicht zu erwarten sein.

Michèle Sinner
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