Am Mittwoch trat David Arendt, General Manager des Freihafens Luxemburg, zum Dienst an. Er verfolgt einen engen Zeitplan: Anfang 2014 sollen sich die Türen für die Kunden öffnen

Pionierarbeit

d'Lëtzebuerger Land vom 04.11.2011

Mittwoch, 2. November 2011, Luxair-Cargo Zentrum. Kein Tageslicht dringt in die langen Flure, von den gekachelten Wänden geht ein antiseptischer Krankenhauscharme aus, wie auch vom PVC-Fußboden im dem Büro, das David Arendt, General Manager der Freihandelszone von Natural Le Coultre (NLC) in Luxemburg, an seinem ersten offi-ziellen Arbeitstag in dieser Position aufschließt. Noch verrät kein Namensschild an der Tür, dass hier ein Großprojekt geplant werden soll, ein Hochsicherheitslager für Luxusgüter, Edelmetalle und Kunst, wie es vergleichbare nur in Genf und Singapur gibt. Drinnen gibt es einen Konferenztisch, einen Schreibtisch mit Computer, ein halbes Dutzend Kleiderbügel, ansonsten außer Neonlicht Leere. Die richtige Umgebung für Pionierarbeit, wie sie Arendt in den kommenden Wochen und Monaten wird leisten müssen.

Bis Jahresende wird er seine Zeit zwischen neuem und altem Job aufteilen. Die Hälfte seiner Arbeitsstunden wird er an der Planung der Freihandelszone arbeiten. Die verbleibende Zeit wird er der Finanzierung des dritten Flugzeugs der neuen 747-8-Flotte der Frachtfluggesellschaft Cargolux widmen, wo er im Sommer als CFO kündigte, um zu NLC zu wechseln. Dass er noch ein wenig bleibt, darum habe ihn Cargolux gebeten, sagt Arendt. Ein Beleg dafür, wie gut das Verhältnis zur Frachtgesellschaft weiterhin sei. Doch nach 13 Jahren im Dienst der Cargolux freut er sich auf die neue Herausforderung: den Aufbau der Freihandelszone auf dem Flughafengelände.

Vergangenen Freitag ist die Luxemburger Gesellschaft Natural Le Coultre S.A. gegründet worden, informiert Arendt. Baupläne für das Gebäude gibt es bereits. Von der Flughafengesellschaft Luxairport liegen einige Grundstücksvorschläge innerhalb der Sicherheitszone vor. „Wir wollen bis zum Monatsende festlegen, wo genau das Gebäude hinkommt“, sagt er. Der Planungskalender ist eng. Im ersten Quartal 2012 will die Firma die Baugenehmigung beantragen, die Kommodoprozedur lancieren, wie die Genehmigungsprozedur zur Einrichtung der Freizone an sich. Schon nach den Bauferien im Sommer 2012 sollen die Bagger anrücken. Erst dann, schätzt er, wird er anfangen, zusätzliches Personal einzustellen – bis zu 100 Beschäftigte sollen mittelfristig für die Firma tätig sein.

Wie groß genau der Hochsicherheitstrakt des Freihafens wird, entscheidet sich in den kommenden Wochen. „Es gibt einen Akteur der Luxemburger Finanzbranche, der Interesse daran hat, 5 000 Quadratmeter zu belegen.“ Je nachdem, ob der Interessent mitmacht oder nicht, wird der Freihafen entweder 15 000 und 20 000 Quadratmeter Lagerfläche bieten. Zum Vergleich: Der Freihafen Singapur, das Referenzprojekt der vergangenen Jahre, in dem NLC einer von mehreren Dienstleistungsanbietern ist, bietet 30 000 Quadratmeter Lagerfläche.

NLC werde 30 Millionen Euro in den Aufbau der Freihandelszone investieren, hatte Yves Bouvier, Managing Director von NLC, dem Luxemburger Wort im August gesagt. Ein geringer finanzieller Aufwand im Vergleich zu anderen Bauprojekten in Luxemburg, beispielsweise dem Lyzeum in Esch Belval, für das 110 Millionen Euro veranschlagt sind. Das definitive Budget müsse erst noch festgelegt werden, erklärt Arendt. Die Kosten würden allerdings nicht allein durch den Bau beeinflusst, sondern auch durch den IT- und Software-Bedarf der Anlage.

Im ersten Quartal 2014 soll die Freihandelszone Luxemburg – die erste innerhalb der EU-Grenzen – ihre [-]Türen öffnen. Die Zeit drängt, sagt Arendt mit Hinweis auf die enge Planung. Auch anderenorts werde an solchen Freihäfen geplant, warnt er. Da solche Zonen im EU-Rechtsrahmen ausdrücklich vorgesehen sind, können auch andere Länder ähnliche Konzepte umsetzen. „Wem das als erstes gelingt, wird bei den Kunden einen großen Vorteil haben“, sagt Arendt. Nach Gemeinschaftsrecht werden Güter, die von außerhalb der EU in solche Freihandelszonen eingeführt werden, zolltechnisch so behandelt, als ob sie die Grenze nicht passiert hätten. Auch wird, solange die Objekte im Freihafen bleiben, keine Mehrwertsteuer auf den Dienstleistungen fällig, die auf dem Gelände erbracht werden. Erst wenn die Güter den Freihafen verlassen, müssen sie verzollt werden und die Mehrwertsteuer entrichtet werden. „Anders als bei einer Bank, die sich nicht dafür interessiert, was die Kunden in ihre Schließfächern und Tresorräume legen, wird hier alles detailliert erfasst“, erklärt Arendt. „Die ganze Anlage steht unter der Kontrolle der Zollbehörden, die jederzeit Zugang zu allen Räumen haben.“

Auch wenn die Kunstspezialisten von NLC die Luxemburger Freihandelszone planen und bauen, wird es eine Plattform werden, die anderen Dienstleistungsanbietern offen steht, wie er ausführt. Das muss man sich wie folgt vorstellen: „Es wird fünf oder sechs Kunden geben, die eine bestimmte Fläche mieten und dort jeweils ihre eigenen Sicherheitssysteme einbauen“, so Arendt, der von Sicherheitsschleusen mit Netzhautscannern spricht. Ein Hauch von James Bond oder Mission impossible ist auch im Vorstellungsvideo des Freihafens Singapur wahrnehmbar1, dem das Luxemburger Zentrum nachempfunden wird. Dieses halbe Dutzend Kunden wird seinerseits die Räume für die jeweiligen Kundenbedürfnisse einrichten und weitervermieten.

„Wir befinden uns hier an der Schnittstelle zwischen Finanz- und Logistikbranche“, meint der General Manager. Die gesicherten Lagerräume könnten beispielsweise von Fonds oder deren Depotbanken genutzt werden, die in physische Aktiva wie Edelmetalle, Diamanten, Schmuck, teure Autos und Teppiche, Wein oder Kunst investieren. Das erweitert die Palette der Dienstleistungsanbieter solcher Fonds, stimmt Camille Thommes, Direktor des Fondsverbands Alfi zu. Genaue Statistiken darüber, wie viele solcher Fonds es in Luxemburg gibt, aus denen sich Rückschlüsse auf die Nachfrage ziehen lassen würden, kann er aber nicht anführen. Auch Jean-Jacques Rommes, Direktor der Bankenvereinigung ABBL, befürwortet das Projekt, und das, wie er betont, nicht wegen des steuerlichen Rahmens. Nachdem er den Freihafen Singapur besichtigt hat, glaubt er, dass bei diesem Projekt „die richtige Luftfeuchtigkeit ein wichtigeres Argument ist als die Steuerbedingungen“, weil die fachgerechte Lagerung der Wertobjekte an vorderster Stelle stehe.

Dass es innerhalb der Landesgrenzen eine Nachfrage für die fachgerechte, sichere Lagerung von Wertgegenständen gibt, dessen ist sich David Arendt sicher. Das Angebot richtet sich auch an die Luxemburger Museen, denen es an geeigneten Lagern für ihre Kollektionen fehle, sagt er. Ein Problem, das sich nicht auf Luxemburg beschränke, wie Galerist Alex Reding von Nosbaum [&] Reding erklärt. Weltweit, sagt er, „gibt es einen enormen Bedarf an Hochsicherheitslagern“ wie die geplante Freihandelszone. Expertenschätzungen zufolge seien nur etwa 20 Prozent der Kunstschätze optimal gelagert, gibt Reding an. Das stellt die Besitzer nicht zuletzt aus Versicherungsgründen vor große Probleme: Sind die Lager nicht ausreichend abgeriegelt und so ausgerichtet, dass Gemälde, Fotos oder Skulpturen keinen Schaden nehmen, verweigerten die Versicherungsgesellschaften die Haftung. Deshalb glaubt auch er an den Erfolg des Freihafens als Lagerstelle und geht davon aus, dass er den Unternehmen Vorteile bringen wird, die im Transport und Handling von Kunstobjekten tätig sind. „Alles ist im Transit“, sagt er. Im Rahmen großer Ausstellungen würden immer mehr Objekte zwischen Institutionen verliehen oder aber gleich die Ausstellungen selbst nacheinander an mehreren Orten gezeigt, was mit großem logistischem Aufwand verbunden ist.

Deswegen ist es wichtig, dass der Freihafen auf dem Flughafengelände liegt, unterstreicht Arendt. Rund 80 Prozent der Güter, die in den Zonen in Singapur und Genf eintreffen, würden durch die Luft transportiert. Deswegen soll nicht zuletzt sein früherer Arbeitgeber Cargolux vom Aufbau des Freihafens profitieren, wo derzeit eine Arbeitsgruppe darüber nachdenkt, wie man gezielter den Transport von wertvollen Kunstobjekten als Produkt anbieten kann und die dafür notwendigen Prozesse ausgearbeitet werden. „Wenn sie einen Picasso transportieren, muss der Transport begleitet werden“, nennt er ein Beispiel. Beim Ein- und Ausladen müssen besondere Vorkehrungen getroffen werden, führt er aus, „das Gemälde darf niemals so abgestellt werden, dass jemand mit dem Gabelstapler durchfahren kann“, treibt er sein Beispiel auf die Spitze. Bei diesen Prozessen werde künftig auch Luxair Cargo und andere Logistikunternehmen eine Rolle spielen.

Geht es nach Arendt, sollen sich die Aktivitäten in der Freihandelszone aber nicht nur auf die ideale Lagerung und das Handling wertvoller Güter beschränken. Er sieht gute Chancen in den Bereichen der Zertifizierung, der Erstellung von Expertisen über und der Restauration von Kunstwerken. Dienstleistungen, auf denen innerhalb des Bollwerks Freihafen erst einmal keine Mehrwertsteuer anfallen würde. Dass es die dafür notwendigen Fachleute in Luxemburg derzeit nicht im Dutzend gibt, ist für ihn kein Hindernis. Auch andere Branchen werben Personal mit den Qualifikationen, die sie brauchen, aus dem Ausland an, stellt er fest.

„Langfristig“, schließt er, getreu dem Beispiel Singapur, wo Christie’s mit von der Partie ist, die Niederlassung eines großen Auktionshauses nicht aus. Ein Showroom, in dem die eingelagerten Objekte gezeigt werden können, ist geplant. Denn die Käufer solcher Kunstwerke se-hen sie sich vor einem Kauf an, sagt er. Die Auktionsgebote selbst würden aber zunehmend am Telefonhörer eingehen, so dass immer unwichtiger wird, wo die Versteigerung stattfindet.

Dass dies noch Zukunftsmusik ist, weiß auch David Arendt. Auch weil beispielsweise die Bedingungen für den Kunsthandel in den Nachbarländern besser sind, wo niedrigere Mehrwertsteuersätze gelten als in Luxemburg. Er ist dennoch optimistisch: „Wir haben ja noch ein wenig Zeit, bis es losgeht.“

1 http://www.naturallecoultre.sg/web/about.html
Michèle Sinner
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