In Zürich wird das Landesmuseum umgekrempelt

Die Neuinszenierung der Schweiz

d'Lëtzebuerger Land vom 25.03.2010

Nationalhymne, Nationalfahne und Nationalbank – was braucht es mehr, um glücklich zu sein? Seit dem 1. Ja-nuar hat auch die Schweiz – nach über 100 Jahren Streiterei – ganz offiziell ein Nationalmuseum. „Nation hat immer einen gewissen Beigeschmack von ‚Grande Nation’, es klingt nach Trompetenstoß und so weiter“, nörgelte im Parlament Chris­toph Mörgeli von der rechten SVP, blieb aber in der Minderheit. Die Sozialisten gaben sich bei der Verabschiedung des neuen Museumsgesetzes patriotisch: „Wir haben kein Problem mit dem Begriff der Nation. Wir unterstützen die Schweizer Fußballnationalmannschaft.“ Außer­dem heiße das Parlament ja selbst Nationalrat.

Zum „Schweizer Nationalmuseum“ gehören nun das ehrwürdige Landesmuseum in Zürich, das Forum Schweizer Geschichte in Schwyz, das vor allem Wechselausstellungen präsentiert, Schloss Prangins am Genfersee, das eine Schau zum 19. Jahrhundert zeigt, und das neue Sammlungszen-trum in Affoltern, das über 820 000 Objekte konserviert und auch die übrigen 950 Schweizer Museen bei Restaurierungen unterstützen soll. Die Vorläufer-Institution „Musée-Suisse-Gruppe“ wurde aufgelöst und einzelne Häuser, etwa das Zollmuseum bei Lugano, an Kantone übergeben.

Für die Besucher ändert sich nur das Landesmuseum. Es war Ende des 19. Jahrhunderts aus einer Bürgerbewegung hervorgegangen, die gegen den Verkauf von Kulturgütern ins Ausland kämpfte. Sein Standort war jahrelang heftig umstritten. Die Hauptstadt Bern baute frech bereits vor der Entscheidung einen großen Tempel, das heutige Historische Museum – und bekam den Zuschlag schon aus Prinzip nicht. Auch das Museum in der Basler Barfüsserkirche hätte eigentlich das Schweizer Nationalmuseum werden sollen, das damals allerdings nicht so heißen durfte. Die Bestechungsskandale und Geschäfte, die dazu führten, dass es dann 1898 in Zürich eingeweiht wurde, sind bis heute nicht ganz aufgeklärt. Eine Rolle spielte jedenfalls, dass Zürich kein eigenes Geschichtsmuseum einrichtete, sondern seine reichen Sammlungen der Eidgenossenschaft stiftete, samt einem Gebäude dafür.

Das verspielte Märchenschloss neben dem Zürcher Hauptbahnhof sollte eine Einheit von Architektur und Ausstellung bieten. Der Rundgang führte von den Pfahlbauern, die als Urschweizer galten, bis zu einer großen Halle mit Waffen des 16. Jahrhunderts – endete also lange vor dem Bürgerkrieg von 1847 und den Geburtswehen der modernen Schweiz. In den nüchternen 1950er Jahren wurde jedoch das üppige Dekor der Gründerzeit beseitigt und das Gesamtkunstwerk verhunzt. Jetzt wird die Staatsvitrine wieder in den alten Glanz zurückversetzt.

Am vergangenen 1. August, dem Na-tionalfeiertag, wurden in einem frisch sanierten Flügel zwei neue Dauerausstellungen eröffnet. Geschichte der Schweiz präsentiert nun die Highlights des Landesmuseums in vier Themenfeldern: „Niemand war schon immer da“ behandelt die Migrationsgeschichte von der Bronzezeit bis zum heutigen Einbürgerungstest. In „Glaube, Fleiß und Ordnung“ geht es um Religion und Aufklärung. In der ehemaligen Ruhmeshalle erläutert „Durch Konflikt zur Konkordanz“ die politische Geschichte der Schweiz. Spektakulär ist ein neun Meter hohes Rad, das Armbrüste, Kuhglocken, Bundesbrief, Heidi und andere Symbole trägt und die alten Mythen „zugleich auflösen und respektieren“ soll. Darunter wird in einer Art Luftschutzkeller das Verhalten der Schweiz in den Weltkriegen diskutiert. Der Abschnitt „Die Schweiz wird im Ausland reich“ provoziert mit der These, dass die helvetische Wirtschaft von den Söldnern des Mittelalters bis zum Tourismus immer schon exportorientiert war. Die Besucher erfahren hier, dass die Chemieindustrie durch Patentklau groß wurde, und dürfen in den Schließfächern eines Banksafes stöbern. Im Untergeschoss gibt die Galerie Sammlungen erstmals einen repräsentativen Einblick in die Kollektionen des Landesmuseums.

Dieses Jahr sollen ein Flügel mit historischen Räumen, ein Kindermuseum und ein Turm zur Zürcher Stadtgeschichte folgen. Dann fehlt noch ein Anbau für Wechselausstellungen. Den Wettbewerb dafür hatten im Jahr 2000 zur allgemeinen Überraschung zwei junge Architekten aus Basel gewonnen. Ihr Projekt wurde nach Einsprüchen des Heimatschutzes um ein Drittel verkleinert. Nächsten Juni sollen die Zürcher über die Finanzierung abstimmen. Im Jahr 2016 könnte das neue Landesmuseum fertig werden. Falls die Nation es sich nicht wieder anders überlegt.

www.nationalmuseum.ch
Martin Ebner
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