Leere Kirchen kosten den Staat mehr als sie ihm nutzen

Politische Wertberichtigung des Erzbistums

d'Lëtzebuerger Land vom 15.07.2016

2016 ist möglicherweise das Schlüsseljahr der modernen Sparkoalition von DP/LSAP/Grünen. Zum einen fand sie vor drei Monaten heraus, dass ihr laut Koalitionsabkommen übergeordnetes politisches Ziel der Legislaturperiode, ein struktureller Haushaltsüberschuss von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, Humbug sei, und beschloss zur Finanzierung ihrer Steuerreform ein entsprechendes Defizit von 0,5 Prozent. Zum anderen setzt sie nun, wenn nicht die Trennung von Kirchen und Staat, so doch spürbare Einsparungen bei der Bezuschussung der Kirchen um.

Diese Woche machte die Mehrheit gegen die Stimmen von CSV und ADR die neue Konvention mit dem Erzbistum über die Senkung der staatlichen Gehälterzuschüsse von 23 auf mittelfristig 6,75 Millionen Euro jährlich zum Gesetz. Wenige Tage zuvor hatte sie das Gesetz zur Abschaffung des Religionsunterrichts in den Sekundarschulen verabschiedet und den Gesetzentwurf zur Abschaffung des Religionsunterrichts in den Grundschulen hinterlegt. Bis zum Jahresende soll das Gesetz folgen, um den von den kommunalen Kirchenfabriken kontrollierten Immobilienbesitz in einen Fonds des Erzbistums zu überführen.

Am Ende der Legislaturperiode wird sich vielleicht zeigen, dass die liberale Koalition keine Reform unternommen haben wird, die nicht auch in einer Koalition mit der CSV möglich gewesen wäre, auch wenn die Christlich-Sozialen in der Opposition gegen dieses und jenes Gesetz stimmen mussten. Nur bei den Verhandlungen mit dem Erzbischof über die Kürzung der Zuschüsse für das Erzbistum hätte die CSV sich mit Rücksicht auf den rechten Rand in ihren eigenen Reihen schwer getan. Die laut Premier Xavier Bettel (DP) sechsmonatigen Verhandlungen mit dem Erzbistum seien „nur in dieser politischen Konstellation möglich gewesen“, meinte LSAP-Frak­tionssprecher Alex Bodry am Mittwoch.

Der rapide Rückgang der Gläubigen bei gleichbleibender Subventionierung hat das politische Kosten-Nutzen-Verhältnis zerstört. Laut der Euro­pean Values Study gehen sonntags noch 13 000 Leute zur Kirche. Rechnet man die öffentlichen Zuschüsse für Priestergehälter, Religionsunterricht, Kirchengebäude und desgleichen mehr zusammen, dann beträgt die jährliche Subventio­nierung 4 000 Euro pro Kopf, Tendenz steigend.

Doch in Zeiten des Neoliberalismus, des glorreichen Individualismus, haben die historischen Stützen des CSV-Staats, die Monarchie und das Erzbistum, ihre Autorität verloren. Mit ihren verquasten Moralvorstellungen und ihrer Nähe zur CSV haben sie sich politisch isoliert. Wenn Staatsbürger sich selbst nur noch Steuerzahler nennen, werden Thron und Altar nur noch als Kostenfaktoren angesehen. Als Investition wird nur die neue Konventionierung der islamischen Schura angesehen, da sie der besseren nachrichtendienstlichen Observierung dient.

Dass die Kosten des Erzbistums heute bei weitem seinen gesellschaftlichen Einfluss und politischen Nutzen übersteigen und entsprechend gesenkt gehören, weiß auch die CSV. Schließlich hatte eine christlich-soziale Kultusministerin, Erna Hennicot-Schoepges, 1997 eine Konventio­nierung des Erzbistums und drei anderer Reli­gionsgemeinschaften begonnen. Dazu wurde am Mittwoch auch die Geschichte ein wenig neu geschrieben: Alex Bodry erzählte, dass die Konventionen von 1997 gar nicht, wie bisher immer behauptet, den Triumph des antiklerikalen Flügels in der LSAP über den damaligen Koali­tionspartner CSV darstellten. Vielmehr habe das Erzbistum die Konventionen selbst verlangt und erhalten, damit es angesichts des Priestermangels schwarz auf weiß bescheinigt bekam, dass der Staat als „ministres des cultes“ gemäß Verfassungsartikel 106 nicht nur Geistliche, sondern auch Laien bezahlt. Heute stellen Laien die Mehrheit der katholischen Seelsorger dar.

Doch vor dem Hintergrund einer rasch säkularisierten Gesellschaft erwiesen sich auch die Konventionen von 1997 nur als vorübergehende Lösung. Deshalb war es erneut ein christlich-­sozialer Kultusminister, François Biltgen, der 2012 ein Gutachten über die Neuregelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen in Auftrag gab, um eine Gerichtsklage kleinerer Kirchen wegen Diskriminierung gegenüber dem Erzbistum zu verhindern. Aber das Gutachten, mit dem der Minister das belgische Modell von Kirchensubventionierung und Maisons de la laïcité durchsetzen wollte, fiel so einseitig aus, dass es politisch unbrauchbar war. Deshalb ist die CSV wohl heimlich froh, dass die liberale Koalition nun für sie die Kastanien aus dem Feuer holt.

Denn man war sich einig, so Berichterstatter Lex Delles (DP) vor dem Parlament, dass nunmehr „von einer Trennung von Kirche und Staat keine Rede sein kann, die Regierung wollte nie eine vollkommene Trennung erzwingen“. Statt der bis dahin von seiner Partei versprochenen Trennung erkannte Alex Bodry „eine progressive Entflechtung“, niemand habe behauptet, dass es „zu einer Revolution kommen“ werde. Gilles Roth redete alles noch eine Nummer kleiner als „eine politisch-ideologische Sparmaßnahme“.

Dafür war die CSV aber am Mittwoch im Parlament auch ein wenig in der unbequemen Lage, gegen Gesetze zur Umsetzung von Konventionen stimmen zu müssen, die der Erzbischof und die anderen Kultusvertreter unterzeichnet hatten. Das war vielleicht der Grund, weshalb Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat Claude ­Wiseler das Thema nicht für wichtig genug befand, um selbst dazu zu sprechen. Im Namen der CSV musste Gilles Roth halbherzig „ja zu den neuen Konventionen sagen, aber nein dazu, wie die Regierung vorgegangen ist“. Die Konventionen seien nämlich „unter einem gewissem Druck zustande gekommen, unter dem Druck eines Referendums“.

Im Siegesrausch nach den Wahlen waren die Bettel, Schneider und Braz mit einer Verwegenheit in die Verhandlungen mit dem Erzbistum gegangen, die ihnen heute längst abhanden gekommen ist. Sie hatten dem Erzbischof gedroht, die Finanzierung der Priestergehälter zum Gegenstand einer Referendumsfrage zu machen, falls er sich nicht in eine Teilprivatisierung seiner halbamtlichen Staatskirche fügen würde. Der Erzbischof machte sich offenbar keine Illusionen über die Popularität des Klerus bei den Wählern und willigte ein – zu großzügigen Übergangsbedingungen, mit denen die Regierung sich ihren damals für viele überraschenden politischen Erfolg erkaufte.

Das Ergebnis des Referendums vom Juni 2015 zeigte aber, dass der Erzbischof sich Illusionen über die Popularität der Regierung gemacht hatte: Vor einem Jahr war die Koalition schon so unpopulär, dass die Wähler auch die „vierte Frage“, einen Regierungsvorschlag gegen die staatliche Finanzierung der Priestergehälter, abgelehnt hätten. Die Zugeständnisse des Erzbistums, seine Kapitulation vor der angedrohten „vierten Frage“, erwiesen sich nachträglich als überflüssig. Der Streit darüber hält bis heute in der Kirche an: Vom Generalvikar abwärts warfen Würdenträger den ganzen Kram hin, der Erzbischof selber gilt als amtsmüde und wollte Routineaufgaben an einen Weihbischof abtreten, die Religionslehrer werfen ihm Verrat vor, die Kirchenfabriken drohen, ihm den Gehorsam zu verweigern.

Bei der verzweifelten Suche nach Gründen, um mit Nein stimmen zu können, machte Gilles Roth am Mittwoch nach einigen antiislamischen Verdächtigungen die Risiken von „Rechtsunsicherheit“ aus, für die er auch den Staatsrat kritisierte: Gilles Roth wusste zwar nicht, ob das napoleonische Konkordat mit dem Vatikan von 1801 „heute noch Bestand hat“, aber es sei ein internationales Abkommen, das über dem Gesetz stehe, wenn es noch Bestand habe. Er warf auch „zwei Parteien“, der Regierung und dem Erzbischof, vor, sich über das in der Verfassung verbriefte Recht des einzelnen Geistlichen hinwegzusetzen, sein Gehalt vom Staat zu erhalten. Vielleicht sei die Verbeamtung der Geistlichen in der Verfassung auch ein Gebot, meinte er, und kein Recht, auf das der Erzbischof durch einen Vertrag verzichten könne.

Alex Bodry warf der CSV „juristische Spitzfindigkeiten“ vor und meinte, dass durch die Ratifizierung der Konventionen das Dekret über die Kirchenfabriken wohl schon 1998 abgeschafft worden war. Auch habe die CSV jahrzehntelang Priestergehälter ohne rechtliche Grundlage ausgezahlt, bevor das in der Verfassung vorgesehene Ausführungsgesetz geschaffen worden sei. Und es sei nie definiert worden, wer überhaupt ein staatlich finanzierter „ministre des cultes“ im Sinn der Verfassung sei, ob darunter auch Laien fielen. Lauter Versäumnisse, die allerdings die LSAP als treuer Koalitonspartner der CSV mittrug.

So wird am Ende der Legislaturperiode der liberalen Koalition vielleicht die historische Mission zugefallen sein, die Aufwendungen des CSV-Staats an den schrumpfenden Einfluss des Erzbistums anzupassen, ohne dass die in zwei Jahren möglicherweise wieder an die Macht kommende CSV sich dabei die Finger schmutzig machen musste. Ähnlich wie das große Vorbild der Regierung, die sozialliberale Vorgängerkoalition der Siebzigerjahre, die Todesstrafe abschaffte und das Abtreibungsverbot lockerte.

Romain Hilgert
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