Am Sonntag war der rastlose Reisende Jean Asselborn bis nach Berlin gereist. Drei Wochen vor den deutschen Bundestagswahlen verbrachte er seinen Abend in einem Fernsehstudio im Ostberliner Stadtteil Adlershof und schaute der trägen Wahlkampdebatte zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz zu. Nach der Sendung fiel ihm pflichtbewusst für einen Werbespot der SPD ein, dass Schulz sich „klar unterschieden“ habe „von Frau Merkel“, weil er in seinem Schlusswort gezeigt habe, „dass Politik nicht nur das Machbare ist, sondern das Denkbare, das Erreichbare“. Zu einer leidenschaftlicheren Sympathiebekundung für den Sozialdemokraten ließ er sich nicht hinreißen. Als Außenminister kann er es sich nicht mit der amtierenden und wohl auch nächsten CDU-Kanzlerin verderben.
In seinem Filmporträt Foreign Affairs hatte Pasha Rafy gezeigt, wie der Außenminister Stunden und Tage auf Flughäfen, in Flugzeugen, Limousinen, tristen Hotelzimmern und Versammlungsräumen verbringt. Es ist das nicht immer glamouröse Leben eines Handlungsreisenden. Eines Handlungsreisenden in Sachen nationale Interessen und mit ihnen verquickt die Interessen von amerikanischen Fonds, chinesischen Banken, französischen Millionären, Amazon und Google.
Dabei hat Jean Asselborn es wie kaum einer seiner Vorgänger zu seiner Kunst gemacht, das mangelnde Gewicht der Luxemburger Diplomatie zumindest ein wenig durch persönliche und manchmal private Beziehungen zu ausländischen Kollegen auszugleichen. Dafür lässt er sich durch die deutsche Provinz fahren, umschmeichelt Fersehsprecherinnen und radelt mit Amtskollegen durch sein Heimatdorf. Wer so lange im Geschäft ist wie er, muss oft neu anfangen: Seine Beziehung zum deutschen Außenminister muss neue geknüpft werden, seit Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten gewählt wurde.
Wenn bei den großen Nachbarn gewählt wird, ändern sich auch die parteipolitischen und persönlichen Beziehungen zu deren Regierungsvertretern. Für die Luxemburger Politik kommt es derzeit darauf an, auch informelle Sicherheiten aufzubauen, um nicht im Regen stehen gelassen zu werden, wenn nach dem EU-Austritt Großbritanniens über ein künftiges Kerneuropa verhandelt werden soll. Denn der seit der Finanz-und Wirtschaftskrise verschärfte Kampf gegen Souveränitätsnischen zeigt, dass das Land nicht nur Freunde kennt.
Außenminister Jean Asselborn fühlt sich dabei für Deutschland zuständig. Zum Glück regieren die Sozialdemokraten in Berlin mit, zu denen er als LSAP-Politiker einen besonderen Draht hat. Die Beziehungen zu den deutschen Christdemokraten sind nämlich seit dem Abgang Helmut Kohls schwieriger geworden. Helmut Kohl spielte den europapolitischen Mentor Jean-Claude Junckers und dieser bedankte sich vor drei Monaten damit, dass deutsche Soldaten die Leiche des zu Hause verfemten Politikers zu einem Trauerakt in das Straßburger Europaparlament trugen. Zu Kohls Nachfolgerin Angela Merkel hat Jean-Claude Juncker eine konfliktreiche Beziehung, und seit seiner Abwahl 2013 gibt es keine parteipolitischen Sympathien mehr zwischen dem Staatsministerium und dem Bundeskanzlerinnenamt.
Aber vielleicht wird in einem Jahr die CSV wieder zuständig für Deutschland. Ende vergangenen Jahres war Claude Wiseler von einem Parteikonvent zum Spitzenkandidaten der CSV für die Kammerwahlen 2018 gekürt worden, und wenige Wochen später, am 10. Februar, stattete er in Begleitung von CSV-Präsident Marc Spautz der deutschen Bundeskanzlerin und CDU-Bundesvorsitzenden Angela Merkel einen Antrittsbesuch in Berlin ab. Das Vorstellungsgespräch sollte wohl weniger den Fraktionsvorsitzenden oder Kandidaten der CSV vorführen, als den mutmaßlichen nächsten Premierminister des kleinen Nachbarstaats.
Nicht nur der Außenminister ist im Wahlkampf beim Nachbarn präsent. LSAP-Abgeordnete und -Gemeinderäte unter der Anführung von Fraktionssprecher Alex Bodry hatten vor 14 Tagen einen Ausflug nach Trier zur Wahlkampfkundgebung von Martin Schulz organisiert. Und nächste Woche wollen CSV-Politiker ebenfalls als Fanclub nach Trier zur Kundgebung Angela Merkels fahren.
Zur französischen Rechten pflegte die CSV dagegen keine Beziehungen, weil die UDR, dann RPR, UMP und nun LR kaum mehr als ein Wahlverein der Präsidenten und weit entfernt von der christlich-sozialen Ausrichtung von CSV und CDU ist. Seit der Wahlniederlage von Nicolas Sarkozy ist die Partei implodiert und auch eine christliche Partei will nicht mit Verlierern gesehen werden.
Ähnliche Vorsicht lässt nun die LSAP walten. Bei allen Vorbehalten gegenüber der Paris unterstellten Verachtung für Kleinstaaten konnte sie sich auf die Beziehungen zu Präsident François Hollande und den regierenden Sozialisten berufen. Doch inzwischen ist auch die sozialistische Partei Frankeichs implodiert, die letzten Genossen sind nur noch mit sich selbst beschäftigt.
Das ist aber die Chance der DP. Ähnlich wie die CSV tat sie sich schwer, eine strukturierte, geistesverwandte Partei in Frankreich zu finden. Und in Deutschland ist die FDP eine kleine, vorübergehend radikalliberale Partei, die seit 2013 nicht einmal mehr dem Parlament angehört. So dass die DP es für ratsam hielt, den Umgang mit ihr zu meiden. Dafür feiert sie nun den Wahlsieg von Präsident Emmanuel Macron als liberalen Sieg, das heißt auch ein wenig als ihren eigenen. DP-Präsidentin Corine Cahen hatte auf dem DP-Kongress im Frühjahr zu erklären versucht, weshalb Xavier Bettel im Grunde der bessere Macron sei.
Der nun plötzlich für Frankreich zuständige Premier hatte klugerweise schon vor den Präsidentschaftswahlen den Kontakt zu Macron gepflegt, angeblich auf Vermittlung des Klatschreporters Stephane Berne. Dabei ist bei den Treffen meist auch der liberale belgische Premier Charles Michel dabei, obwohl die diplomatischen Beziehungen zu Belgien hierzulande eher als Frage der Großregion abgehakt werden und sich niemand für belgische Innenpolitik interessiert.
Gemeinsam inszenieren sich Bettel, Macron und Michel als junge, dynamische Liberale, die mit einer alten Generation von Politikern aufräumen, marktkonforme Reformen durchsetzen und in der Europäischen Union aufräumen wollen. Bei einem Kurzbesuch vorige Woche spazierte das Trio für die Fotografen in den gleichen blauen Anzügen mit den gleichen blauen Krawatten strahlend vor der Kulisse des Senninger Schlosses.
Für Premier Xavier Bettel kommt es dabei nicht bloß darauf an, die einheimischen Wähler mit seiner diplomatischen Statur zu beeindrucken und persönliche Beziehungen zum Staatschef des großen Nachbarlands zu pflegen. Er möchte auch mit Macrons Image als junger, dynamischer Politiker einer neuen Generation identifiziert werden, der, anders als den müden und verbrauchten CSV- und LSAP-Politikern, die Zukunft zu gehören scheint.