Im Poche-Streit mahnt die LSAP-Parteispitze zur Geschlossenheit

Augen zu und durch

d'Lëtzebuerger Land vom 16.12.2016

„Fortschritt heißt für die LSAP, die Zeichen der Zeit zu erkennen und die Zukunft vorzubereiten“, formuliert der sozialistische Leitfaden, der „eine längerfristig ausgerichtete Anleitung mit klaren Richtlinien für politisches Wirken“ sein will. Ob die Partei den selbstformulierten Anspruch einlöst, da scheiden sich spätestens seit der Poche-Affäre die Geister. Mit der kürzlich vorgestellten Werbeaktion wollen die Sozialisten landesweit potenzielle Kandidatinnen für die Gemeindewahlen anlocken.

Die Partei habe eine Kampagne genehmigt, „qui laisse perplexes les femmes et les hommes qui, comme nous, croient en l’égalité et qui pensaient révolu le temps des clichés bas de gamme qui renvoient les femmes à leur futilité, voire leur consumérisme primaire“, empörten sich Parteimitglieder in einem Schreiben. Den Protestbrief hatten Cátia Conçalves, Joanne Goebbels, Tom Krieps, Joëlle Pizzaferri, Laurent Bauler, Carole Marx und Sammy Wagner aufgesetzt, nachdem die Insignien der Aktion publik geworden waren: ein rosa Kussmund, eine gutbürgerliche Handtasche mit einem Logo, das aussieht wie ein Dekolleté, garniert mit dem erhellenden Spruch: „Eng Posch voller Iddien“.

Initiatorin Cécile Hemmen, Präsidentin des LSAP-Bezirks Zentrum, verteidigte die Werbung, die sich einreihe in die Sensibilisierungskampagne des Chancengleichheitsministerium für mehr politische Beteiligung von Frauen, auf Radio 100,7: Die Aktion sei „vom Bezirk Zentrum ausgearbeitet“ und in einem „kleinen Kreis“ entwickelt worden. „Wir haben eine Tasche genommen, was eigentlich ein Accessoire par excellence einer Frau ist“, so Hemmen, unbeeindruckt vom Spott, der sich in den sozialen Netzwerken über die LSAP angesichts der Klischees ergoss. Cátia Conçalves warf daraufhin entnervt als Präsidentin der Femmes socialistes das Handtuch.

Seitdem versucht Claude Haagen die Wogen zu glätten: „Man kann dafür sein oder dagegen“, sagte der LSAP-Parteipräsident dem Radio 100,7. Er begrüßte, dass „viel von der Kampagne gesprochen“ werde, „ein Erfolg“. Dass die umstrittene Aktion dazu geführt hat, dass die LSAP-Frauenorganisation nun ohne Leitung dasteht, bedauerte Haagen. Eine Spaltung innerhalb der Partei sah er aber nicht, „Luxemburg hat andere Probleme.“ Über den Inhalt der Kampagne sagte der Dreifach-Mandatsträger – Haagen bekleidet neben dem Amt als LSAP-Chef das des Bürgermeisters von Diekirch und sitzt für die LSAP im Parlament – nur: „Die Richtung stimmt.“ Nun sei es wichtig, das Ziel, Frauen für die Politik zu gewinnen, tatsächlich zu erreichen.

Ob das gelingt, und ob Haagens Aufruf an die Basis, zur Routine zurückzukehren, Gehör finden wird, ist indes nicht ausgemacht. Denn es geht nicht nur um sexistische Stereotypen einer ungeschickten Werbekampagne. Auch wenn der Präsident den Anschein zu geben versucht, beim Poche-Streit handele es sich um eine weitere Kontroverse einer streitfreudigen Partei, die lediglich etwas aus dem Ruder gelaufen ist, reichen Frust und Unmut der Kritiker tiefer. Sammy Wagner formuliert es so: „Es fehlt in der Partei einer, der die Verantwortung für das Image der Partei übernimmt“, so der frühere Präsident der Jungsozialisten, der sich ernsthaft fragt, wofür seine Partei steht. „Das ist einer progressiven Partei nicht würdig.“

Nun ist das Verhältnis der Sozialistischen Arbeiterpartei zum weiblichen Geschlecht seit jeher ambivalent: Hatte sie sich um die vorletzte Jahrhundertwende als Streiterin für ein allgemeines Wahlrecht für die Frauensache verdient gemacht, tut sich die LSAP seit ihrer Gründung schwer damit, Frauen gleichberechtigt einzubinden. Obwohl die Partei mit Marguerite Thomas-Clement 1919 die erste Frau ins Parlament berief, scheint die gläserne Decke, wenn es um hohe Parteiämter geht, fast hundert Jahre später nahezu wie aus Panzerglas.

Die CSV hat seit 2001 eine 30-Prozent-Frauenquote für ihre Wahllisten, LSAP-Chancengleichheitsministerin Lydia Mutsch gelang es mit den Stimmen der Koalition diesen Herbst, eine 40-prozentige Quote für die Liste der Parlamentswahlen und eine 50-prozentige Quote für die Europawahlen durchzusetzen – auf Umweg durch ein nationales Gesetz. In der eigenen Partei scheiterte die Quote mehrfach kläglich. Vorläufiger Höhepunkt im sozialistischen Geschlechterk(r)ampf: die Online-Petition gegen eine gesetzliche Quote von LSAP-Gemeinderat Philippe Meyers aus Dippach vor zwei Jahren.

Vor diesem Hintergrund bekommt die Kontroverse um Kussmund und Handtasche für parteiinterne Feminist_inn_en einen besonderen Beigeschmack. Die Kampagne setzt nicht nur auf Klischees, sondern lädt zum Plausch beim Crémant ein. Einer der Gründe, warum sich Frauen ein politisches Engagement sehr genau überlegen, ist der nervenaufreibende Spagat: Wer es politisch zu etwas bringen will, muss Präsenz zeigen, sich in (männerdominierten) Runden durchsetzen, Netzwerke pflegen. Im stark auf persönliche Stimmen ausgerichteten Panaschier-Wahlsystem in Luxemburg gilt das erst recht. Hier ein Treffen mit dem Ortsverein, da ein Bezirkskongress, die Kleeschen-Tour und die vielen Dorffeste nicht zu vergessen. Da bleibt kaum Zeit für ein Privat-, geschweige denn ein Familienleben.

Die Vereinbarkeitsproblematik ist inzwischen aber kein Frauenthema mehr. Auch junge Männer wünschen sich mehr Zeit für die Familie. Oft müssen beide, Vater und Mutter, arbeiten gehen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Da ist es umso schwieriger, neben dem Beruf und der Familie noch ein politisches Mandat zu übernehmen. Der Politiker, dem die Frau daheim den Rücken freihält, weil sie sich um die Kinderbetreuung kümmert, stirbt zunehmend aus. Das Problem ist nicht neu, es steht in jedem Wahlprogramm, aber offenbar gelingt es der LSAP nicht, die eigenen Strukturen daraufhin zu überprüfen.

Wer jung ist, hat vielleicht keine Kinder, dafür andere Verpflichtungen neben dem Beruf. Junge Erwachsene sind heute nicht weniger politisch interessiert, wie Studien zeigen, aber sie bringen sich anders ein als noch vor 20 oder mehr Jahren. Lieber unterstützen sie kurzfristige Aktionen zu Themen, die sie umtreiben, manch einer ist in Umwelt- oder Menschenrechtsorganisationen aktiv. Im Zuge von Politikfrust und Protestwählertum können sich immer weniger vorstellen, sich langfristig für eine Partei zu engagieren.

Entscheidet sich doch jemand dazu, ist damit nicht selten ein Realitätsschock verbunden: Mit heutigen Vorstellungen von Partizipation, Transparenz und Open Access haben herkömmliche Parteistrukturen nicht viel gemein. Traditionell galt und gilt noch immer: Wer nicht das Glück der Geburt hat und aus einer bekannten Politikerfamilie stammt oder sich durch Sport oder Job (am besten Medien) bereits einen Namen gemacht hat, muss sich den Weg nach oben mühsam erkämpfen. „Ich erwarte von einer sozialdemokratischen Partei, mitreden zu können, in Entscheidungen eingebunden zu werden“, fordert Jungsozialist Patrick Weymerskirch. Genau das aber ist in verkrusteten Strukturen, in denen eine Elite die Richtung vorgibt und wichtige Entscheidungen in Hinterzimmern ausgekungelt werden, zu selten der Fall. Daran ändern auch Slogans wie „Mehr Demokratie wagen“ beim LSAP-Landeskongress in Mamer vergangenes Jahr so schnell nichts.

Dass die so genannten Volksparteien (also nicht nur die LSAP) ein Problem mit der Mitgliederbeteiligung haben, hat sich inzwischen herumgesprochen. In der LSAP sollten thematische Arbeitsgruppen die Basis stärker einbinden. Doch entweder sie funktionieren nicht richtig – oder sie bleiben interne Zirkel. Die Inhalte der Arbeitsgruppe „Parität“, die in die Werbekampagne eingeweiht war, ist selbst an sich gut informierten Mitgliedern nicht bekannt. Unklar war wohl zudem, wie sich die Kompetenzen jener Gruppe zu denen der Frauen-Unterorganisation verhielten. Verständlich, wenn die Präsidentin der Femmes socialistes da nach der Daseinsberechtigung ihrer Organisation fragt, zumal wenn eigene Vorschläge in Parteigremien stecken- und ohne Feedback bleiben.

Dabei braucht die Partei dringend neue Ideen und mehr Nachwuchs. Vollblutpolitiker wie Alex Bodry, Jean Asselborn oder auch Mars Di Bartolomeo haben die Partei geprägt, aber auch ihre Zeit ist endlich. Bei den vergangenen Wahlen war es der LSAP gelungen, mit Taina Bofferding aus Esch und Tess Burton aus Grevenmacher zwei neue weibliche Gesichter ins Parlament zu hieven. Neue Männer auf der Chamber-Bank wurden Franz Fayot und Generalsekretär Yves Cruchten. Noch tun sich die Newcomer_innen schwer damit, deutliche Akzente zu setzen. Als Präsidenten der Jungsozialisten hatten sich Bofferding und Cruchten für mehr Transparenz und mehr direkte Partizipation stark gemacht. Jetzt wirkt es mitunter so, als hätten sie den Kampfeswillen von früher an der Chamber-Garderobe abgegeben.

Inhaltliche Konturlosigkeit und fehlende Werte-orientierung wird den Sozialdemokraten nicht nur in Luxemburg, sondern in ganz Europa vorgeworfen. Der Hamburger Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl bescheinigte den deutschen Sozialdemokraten auf einem Treffen der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung 2011 „eine Substanzauszehrung sowohl als Volkspartei als auch als Mitgliederpartei“. Die Identitätskrise habe unter anderem damit zu tun, dass im zurückliegenden Jahrzehnt (mit der Hartz-Reform, d. Red.) „der Markenkern der Partei beschädigt worden“ sei. Auch in Luxemburg haben die Sozialisten den Ausbau des Dienstleistungssektors zuungunsten der Schwerindustrie noch immer nicht verwunden. Das Buhlen um Stimmen vor allem in der Mitte der Gesellschaft hat dazu geführt, dass sich klassische Unterstützer nicht mehr vertreten fühlen.

Sinkende Mitgliederzahlen, schrumpfende Zustimmung der Wähler durch den Verlust an Glaubwürdigkeit etwa beim Zukunftspak oder beim Taktieren und Lavieren um die EU-Freihandelsabkommen Ceta und TTIP bedrohen die LSAP mehr, als sie es nach außen zugeben will. Dabei gab es eigentlich spätestens nach dem desaströsen Abschneiden bei den Europawahlen 2014 nichts mehr schönzureden. Die Partei müsse sich erneuern, hieß es danach in selten gehörter Einigkeit.

Der sozialistische Leitfaden, der unter der neuen Parteiführung ausgearbeitet und im März verabschiedet wurde, um „verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen“, ist von denselben strukturellen Defiziten geprägt, die die Partei bis heute nicht überwunden hat. Der Text wurde von Denkern der Stiftung Robert Krieps ausgearbeitet, das Ziel Geschlechter-Gleichberechtigung wird erwähnt, aber kaum entwickelt. Nicht alle waren eingeweiht, Mitglieder und Unterorganisationen wurden in einem zweiten Schritt um ihre Meinung gefragt. Intern wurde daher die Kritik laut, von einer ergebnisoffenen kontroversen Diskussion sei nicht viel zu sehen gewesen. Es gab ergänzende Anträge, von den Jungsozialisten für die Einrichtung eines Nationalrats zur Bekämpfung von Ungleichheiten und zur Bildung, einst Kernanliegen der LSAP, seit dem Fortgang von Mady Delvaux und Ben Fayot aber zum Stiefkind degeneriert. Ein Vorschlag der Femmes socialistes, sich stärker für die politische Beteiligung von Frauen einzusetzen, wurde an die Parteileitung verwiesen.

Insofern ist an dem Vorwurf der Düdelinger LSAP-Abgeordneten Claudia Dall’Agnol, es gehe bei der jüngsten Kritik nicht nur um die Kampagne, wohl etwas dran. Dass die sozialistischen Frauen durchaus versucht haben, und zwar schon im Frühjahr, sich früh als Partnerinnen beim Werben um mehr Kandidatinnen einzubringen, müsste Dall’Agnol, selbst Mitglied der Femmes socialistes, aber wissen. Stattdessen greift sie auf Facebook die Kritiker_innen scharf an, weil diese ihren Frust angeblich lieber nach außen getragen hätten, statt nach innen.

Verständlich wird die Gegenattacke und das Einigeln von Generalsekretär Cruchten und Parteichef Haagen mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen: Die Partei hatte mit Wirtschaftsminister Etienne Schneider als Spitzenkandidat ihren Mitte-Kurs noch einmal unterstrichen, beim Votum über die Anti-Ceta-Resolution konnte sich die Parteispitze gegenüber dem linken Flügel erneut durchsetzen. Doch offenbar traut die Führung ihrer eigenen Strategie nicht ganz und schätzt ihre Chancen bei den Wahlen nicht so (lippen-)rosig ein. Die Reihen fest schließen, Kritik allenfalls intern, klingt da wie eine nervöse Durchhalteparole. Sonst könnten die Wähler noch mitbekommen, wie tief die Selbstzweifel wirklich sind.

Ines Kurschat
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