Schnell ist ein politisches Erbe verspielt: Ein Altbundeskanzler tingelt durch die Welt von Politik und Wirtschaft, verdient sich damit und dabei eine Goldene Nase, profitiert – vor allen Dingen finanziell – von den politischen Errungenschaften und Verstrickungen der eigenen Kanzlerschaft und möchte halsstarrig und halsbrecherisch von seinen Privilegien nicht so recht lassen. Zurück bleibt eine Republik, die sich wundert, wie es dazu kommen konnte, und mehr noch fragt, wie diesem Treiben Einhalt geboten werden kann.
Die Frage nach der Historie ist schnell geklärt. Gerhard Schröder hat sie Ende letzten Monats in einem Beitrag unter dem Titel „Wie der frühere Kanzler Putins Mann in Deutschland wurde“ in der Tageszeitung New York Times (NYT) beantwortet. Zwei längere Gespräche mit der US-amerikanischen Zeitung brauchte es dazu: Er sei seinerzeit kaum mehr als zwei Wochen aus dem Amt geschieden, als Wladimir Putin ihn angerufen und gebeten habe, den Aktionärsausschuss von der Ostseepipeline-Firma Nord Stream zu leiten. „Hast du Angst, für uns zu arbeiten?“, habe ihn Putin gefragt. Hatte er nicht. Schröder machte den Job. Ende der Geschichte.
Eigentlich. Doch wenn Schröder gerade am Erzählen ist, schildert er in der NYT auch gleich seine Sicht der Dinge, die momentan in der Welt geschehen. „Ich denke, dieser Krieg war ein Fehler und das habe ich auch immer gesagt“, führte Schröder aus. Man müsse nun so schnell wie möglich zu einer Friedenslösung kommen. Was aber nicht einfach sei. Und weiter: „Ich habe immer deutsche Interessen vertreten. Ich tue, was ich kann. Wenigstens eine Seite vertraut mir.“ Er lässt keinen Zweifel daran, welche Seite dies ist. Denn der Altkanzler distanziert sich zwar von dem Krieg, aber nicht von Putin, den er einst einen „lupenreinen Demokraten“ nannte, und vermeidet in dem Beitrag jedwede Kritik am russischen Präsidenten. Bei „reichlich Weißwein“, wie es in dem Bericht der NYT heißt, habe er dann auch über die Kriegsverbrechen der russischen Truppen und die EU-Sanktionen gegen Moskau schwadroniert: „Das muss untersucht werden“, führte er zu den Gräueltaten von Butscha aus und fügte hinzu, dass er nicht glaube, dass diese Befehle von Putin gekommen seien, sondern von einer niedrigeren Instanz. Irgendein Schuldbewusstsein wegen seiner engen Bindungen zu Russland oder selbstkritische Reflexion ob des Krieges ließ Schröder nicht erkennen: „Ich mache jetzt nicht einen auf Mea Culpa. Das ist nicht mein Ding.“ Stattdessen wies er seine Kritiker – vor allen Dingen in seiner eigenen Partei – zurecht: „In den letzten 30 Jahren haben sie alle mitgemacht. Aber plötzlich wissen es alle besser.“
Und in der Sozialdemokratischen Partei rumort es kräftig: Mehr als ein Dutzend regionaler SPD-Vereine haben bislang ein Partei-ausschlussverfahren gegen Gerhard Schröder beantragt. Mitte Juni soll ein parteiinternes Schiedsgericht über diese Anträge entscheiden. Eine mögliche Marschrichtung gab indes SPD-Partei-chefin Saskia Esken in einem Interview mit dem Deutschlandfunk vor: „Gerhard Schröder agiert seit vielen Jahren lediglich als Geschäftsmann, und wir sollten damit aufhören, ihn als Elder Statesman, als Altkanzler wahrzunehmen.“ Er verdiene sein Geld mit der Arbeit für russische Staatsunternehmen. Gleichzeitig nutzt er aber Ressourcen, die ihm als ehemaliger Bundeskanzler zustehen.
Dies kritisierte der Bundesrechnungshof bereits im Jahr 2018 in seiner Untersuchung zu den Büros ehemaliger Kanzler und Präsidenten. Die lebenslange Ausstattung mit Arbeitszimmern, Dienstwagen samt Chauffeur und Sicherheitsleuten sowie einem Stab an Mitarbeitenden habe keine rechtliche Grundlage außer dem betreffenden parlamentarischen Haushaltsbeschluss. Für Konrad Adenauer hatte noch seine Partei das Büro bezahlt. Ludwig Erhard bekam zur „Abwicklung fortwirkender Verpflichtungen“ Hilfe aus dem Bundeskanzleramt, womit sich ein Usus begründete, der heute Staatspraxis genannt wird. Geplante Kosten für das Büro Schröder im laufenden Haushalt: 418 000 Euro. Eine großzügige Vollversorgung des Ausgeschiedenen. Der Zwiespalt der Alimentierung von ehemaligen Regierenden zeigt sich auch in der institutionellen Verortung der „Nachlaufbüros“, wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sie nennt. Der Bundestag beschließt zwar den Umfang der Privilegien, doch die Mitarbeitenden der Büros bleiben Beschäftigte des Bundeskanzleramts, das sie lediglich disziplinarisch beaufsichtigt. Funktionell und organisatorisch sind die Nachlaufbüros jedoch selbständig, unterliegen also keiner Kontrolle. Nun liegt der Verdacht nahe, dass Schröder dies ausgenutzt hat. Denn keine und keiner der bisherigen Kanzlerinnen und Kanzler, so Esken weiter, habe seine Amtszeit derart „vergoldet“, wie es Gerhard Schröder mit seinem Russlandgeschäft tat.
Somit findet sich die deutsche Politik in einer Grundsatzdiskussion wieder: Was darf und dürfen politische Amts- und Würdenträger nach ihrem Ausscheiden? Für Staatsoberhäupter mag es durchaus angemessen sein, sie in ihrem Nachwirken umfassend zu fördern. Allein um auch die Würde des Amtes zu bewahren. Kraft ihrer früheren Position hatten die Ersten im Staate eine repräsentative und integrierende Funktion, die politischer Parteilichkeit weitgehend entrückt war. Diese Symbolik glänzt weiter. Regierungschefs hingegen haben einen anderen Job. Sie haben Macht, treffen Entscheidungen, übernehmen Verbindlichkeiten, die nicht mit dem letzten Tag ihrer Amtszeit enden.
Der Haushaltsausschuss des Bundestages traf vergangene Woche eine Entscheidung. Er entzog dem Altkanzler einen Teil seiner Sonderrechte und beschloss die Abwicklung seines Büros. Begründet wurde dies nicht mit juristischen Argumenten, sondern der Ausschuss stellte fest, „dass Bundeskanzler a.D. Schröder keine fortwirkende Verpflichtung aus dem Amt mehr wahrnimmt. Das Büro des Bundeskanzlers a.D. Schröder wird daher ruhend gestellt.“ Das verbliebene Personal soll anderweitige Aufgaben übernehmen. Allerdings hatten die Mitarbeiter von Gerhard Schröder ohnehin zuvor gekündigt. Es verbleiben beim Altkanzler der Anspruch auf sein Ruhegehalt und seinen Personenschutz. Die CDU hätte Schröder auch gerne auch noch das Gehalt genommen. Die Regierungskoalition möchte nun eine grundlegende Reform der Altersversorgung von ehemaligen Regierungschefs, die sich an den tatsächlichen Verpflichtungen aus dem Amt orientieren und periodisch angepasst werden soll. Wer in der Versenkung verschwindet, soll demnach dort auch verharren.