Zähigkeit zahlt sich aus. Hartnäckigkeit auch. Besonders in der politischen Karriere des Friedrich Merz, nun endlich Parteivorsitzender der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und Warmlaufender für kommende Kanzlerkandidatschaften, designierter Kontrahent von Markus Söder (CSU) und Olaf Scholz (SPD). Merz soll die Partei nun endlich führen, modernisieren, sie auf die politischen und gesellschaftlichen Themen der Zukunft fokussieren, vor allem aber das Wahldebakel der vergangenen Bundestagswahl vergessen machen. Kurzum: Die wunde Seele der Christdemokraten streicheln. Dazu rief sie nach dem starken Mann. Und er erhörte sie. Wenn auch als dritte Wahl.
Die Wahl von Merz wurde jedoch erst möglich, nachdem die CDU auf die Oppositionsbank im deutschen Bundestag geschickt wurde. Damit war der Partei der Druck genommen, für anstehende Koalitionsverhandlungen um mögliche Regierungsgeschicke einen möglichst konzilianten Menschen an der Spitze zu haben, der vereinen und führen kann. Nun – der Regierungsverantwortung entledigt – können sich die Christdemokraten wieder auf ihren politischen Markenkern konzentrieren, diesen schärfen und den sich verändernden Zeiten anpassen, modernisieren und fortführen. Es darf auch wieder polternd, stammtischselig und bierzeltheimelig werden. Nicht unbedingt die Welt von Friedrich Merz.
Die politische Vita von Merz ist schnell erzählt: Einst ein aufgehender Stern am Firmament der CDU zu Beginn des Jahrtausends, griff er schnell zu Amt und Würden in der Partei. Er zog 1994 erstmals in den Bundestag ein, war von 2000 bis 2002 – als Nachfolger von Wolfgang Schäuble – Fraktionsführer von CDU und CSU und damit auch Oppositionsführer. Doch im innerparteilichen Wettkampf um die Macht konnte er gegen Angela Merkel nicht bestehen. Als sie die Fraktionsführung für sich beanspruchte, zog er sich schmollend zunächst auf den Vize-Posten zurück, bevor er 2009 den Bundestag verließ, um in der Privatwirtschaft zu reüssieren. Nachdem Merkel ihren Rückzug aus der Politik ankündigte, kehrte Merz zurück in die politische Arena, um umgehend Macht und Amt für sich zu beanspruchen. Zwei Mal verwehrte es ihm die Partei, beim dritten Mal ergab sie sich den Inszenierungen des Friedrich Merz – wohl auch aus Mangel an Alternativen.
Überhaupt waren es immer die Inszenierungen von Friedrich Merz, die ihm mehr Schein als Sein gaben. Seine Selbstdarstellungen als verwegener Jugendlicher im Sauerland, in der er gerne an einer Pommesbude abhing, lange Haare trug und mit seinem Mofa über das Kopfsteinpflaster der Kleinstadtgassen brauste, gaben ihm schnell das Image des „jungen Wilden“ in der Partei. Er schuf ein Sehnsuchtsbild des rebellischen Jungpolitikers, nach dem die Christdemokraten damals nach sechzehn bleiernen Jahren unter Vorsitz und Kanzlerschaft von Helmut Kohl nur so lechzten. Nun nach sechzehn Jahren der Mitte unter Kanzlerschaft und Vorsitz von Angela Merkel benutzt er die Vita des erfolgreichen, neoliberalen, marktgläubigen, konservativen Selfmade-Millionärs, der es nach seinem Abgang aus der Politik zu Erfolg, viel Geld und zwei Privatflugzeugen brachte. Doch damals wie heute bricht sich die Selbsteinschätzung an der Realität. Seiner Mär der verwegenen Jugend widersprachen Klassenkameraden und Mitschülerinnen, die damals sagten, einzig und allein die Aussage stimme, dass er ein Außenseiter gewesen sei. Heute heißt es, dass es über die Einkünfte von Friedrich Merz keine gesicherten Angaben gäbe.
Dennoch begibt sich die CDU unter seine Führung. Verbunden mit der Sehnsucht, dass er die Partei wieder zu dem machen werde, was sie einst war: einer großen stolzen Volkspartei als unverzichtbarer Bestandteil einer jeden deutschen Regierung. Und die CDU liefert sich Merz auf Gedeih und Verderb aus, denn nach vier Wechseln in der Spitzenposition innerhalb von gerade einmal vier Jahren muss Ruhe in die Partei einkehren. Dies verlangt Disziplin und Geschlossenheit und auch Untertänigkeit – vor allen Dingen auf Seiten der Mitglieder. Als Vertreter eines neoliberalen Wirtschafts- und traditionellen Gesellschaftsbild wird er die CDU wieder deutlich im konservativen politischen Spektrum Deutschlands verordnen. Er wird die Lücke, die in den vergangenen Jahren die rechtsextremistische AfD besetzte, wieder für die Christdemokratie zurückerobern wollen. Dabei spielt ihm deutlich in die Karten, dass die AfD sich weiter radikalisieren wird, um überhaupt noch Mitglieder und Wählerstimmen binden zu können. Hinzu kommt, dass Demokratien in politisch wie gesellschaftlich unsicheren Zeiten vermeintlich starken Männern gerne Chancen zur Profilierung bieten. Merz hat den Zeitgeist eindeutig auf seiner Seite. Auch hier hilft die Oppositionsrolle, die konservativen Gegenentwürfen zur aktuellen Regierungspolitik wieder Gehör verschaffen wird.
Fraglich ist jedoch, ob und wieweit die Partei ihm dabei widerspruchslos folgen wird. Denn ein traditionalistisches Weltbild beantwortet nicht die derzeit drängenden Fragen der Pandemie, des Klimaschutzes, von Digitalisierung und Globalisierung, von Migration und internationalen Konflikten. Ein weiteres drängendes Problem ist die Mitgliederstruktur der Partei. Sie ist eine Partei von alten, weißen Männern, die nun wieder von einem alten, weißen Mann geführt wird. Versuche der Partei, jüngere Menschen in entsprechende Positionen zu hieven, scheiterten kläglich. Merz ist gefordert, bar von seinem persönlichen Habitus das Normative des Faktischen anzuerkennen und konservative Antworten auf die drängenden Fragen dieser Tage zu geben, die nicht die Leugnung von Fakten sein können. Entscheidend wird aber auch sein, wann Merz über eine weitere seiner Selbstinszenierungen stolpern oder sich in seinem eigen Ego verheddern wird. Die Gefahr ist groß, dass er die Brocken wieder schmollend hinwirfst, sollte es nicht nach seinem Wunsch laufen.