Diese Woche feierte der flämische Verlag Mediahuis: Am 23. März 1848 erschien die erste Nummer seiner Tageszeitung Luxemburger Wort. Sie war in den Revolutionstagen von Klerikern und klerikalen Abgeordneten gegründet worden. Aus Sehnsucht nach der Machtfülle des Klerus im Ancien Régime. Als Kulturkampfinstrument gegen das nunmehr herrschende liberale Bürgertum.
Neun seiner bis heute 16 Verwaltungsratsvorsitzenden waren Geistliche. Von 13 Direktoren waren fünf Geistliche. Neun seiner 14 Chefredakteure waren Geistliche. Sie verteidigten 175 Jahre lang ihre Interessen mit den jeweils reaktionärsten Standpunkten.
Das Wort unterstützte den Putsch von König-Großherzog Wilhelm III., den Putschversuch von Großherzogin Marie-Adelheid, das Maulkorbgesetz. Es nannte die Juden „die Geißel aller Völker“ (4.1.1888). Es fand, „[e]in bißchen Faschismus – wohl verstanden – wäre absolut nicht von Uebel“ (22.4.1933). Es verteidigte den Kolonialismus. Es fand warme Worte für die Apartheid in Südafrika, den US-Krieg in Vietnam und Pinochets Diktatur in Chile. Es nannte die Abschaffung der Todesstrafe verfrüht. Es stellte Abtreibung als Bethlehemitischen Kindermord dar. In der Innenpolitik, Kultur und Geschichtsschreibung übte es „cancel culture“, ohne den Begriff zu kennen.
Die Glanzzeit des Wort war der CSV-Staat im 20. Jahrhundert. In den Neunzigerjahren erreichte es seine höchste Auflage. Es schöpfte den Anzeigenmarkt ab und machte daraus Dividenden für seinen einzigen Aktionär, den Bischof. Es war die Milchkuh des Bistums. Dieses schickte das Blatt in den Wahlkampf für die CSV. Zum Dank hegte die CSV die Kleriker als Staatsbeamte, pflegte den niedergehenden Katholizismus als Staatsreligion. Die Parteistatuten räumten der „presse amie“ einen Platz im Nationalvorstand ein.
Seit einem Viertel Jahrhundert ist die Glanzzeit des Luxemburger Wort vorüber. So lange verliert es Leser und Anzeigen. Es musste zwischen klerikal und kommerziell wählen – die Milchkuh wurde krank. Der Bischof, seine Kleriker und katholischen Unternehmer im Verwaltungsrat heuerten und feuerten Direktoren und Chefredakteure. Diese sollten bald Weihrauchschwaden fortscheuchen und neue Leserinnen anlocken. Bald die fromme Stammkundschaft und CSV-Wählerschaft bedienen. Alle Diversifizierungsversuche scheiterten. Wer erinnert sich noch an die vier Regionalausgaben des Wort, an La Voix du Luxembourg, Point 24, Radio DNR? Journalistinnen und Druckereiarbeiter bezahlten die Investitionsruinen mit Sozialplänen.
2013 beauftragte Verwaltungsrats-vorsitzender Erny Gillen Chefredakteur Jean-Lou Siweck, aus dem konservativen Blatt ein modernes konservatives Blatt zu machen. Sein Nachfolger Luc Frieden erkundigte sich 2017 bei Redakteuren, ob sie sich seine Rückkehr in die Politik vorstellen könnten. Dann feuerte er die modernen Konservativen. Er verlangte wieder ein CSV- und unternehmerfreundlicheres Blatt. Er wollte keine „Jedermannszeitung“. Er meinte Allerweltszeitung.
2013 verlor die Schutzmacht des Bistums die Wahlen. Die liberale Koalition privatisierte den Klerus, die Kirchenfabriken und den Religionsunterricht. Das Bistum brauchte Geld. Es zweifelte an der Genesung seiner Milchkuh. Es verkaufte sie an Mediahuis.
Der neue Eigentümer taufte Saint-Paul in Mediahuis um. Dann schloss er die Druckerei in Gasperich. Das Wort wird nun im limburgischen Beringen gedruckt. Das Wohl der CSV und des Klerus sind nicht Mediahuisens Geschäft.
Der Verlag macht „Jedermannszeitungen“. Selbst aus einem Blatt, das 175 Jahre lange glauben machte, die Gesellschaft sei so konservativ und reaktionär wie es selbst. Das ein Jahrhundert lang den CSV-Staat als gottgegeben darstellte. Bald hat Mediahuis „die heiligen Schauer der frommen Schwärmerei [...] in dem eiskalten Wasser egoistischer Berechnung ertränkt“ (Manifest der Kommunistischen Partei, auch 1848).