Die Welt steht kopf: In Kriegszeiten sind von linken Parteien und Parteien der bürgerlichen Mitte vernünftige Aufforderungen zu Diplomatie, Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zu erhoffen. Von stramm rechten Parteien sind hysterischer Nationalismus, Militarismus, Kriegstreiberei zu erwarten.
Die ADR veranstaltete vergangene Woche eine Pressekonferenz. Sie legte ihren Standpunkt zum russischen Überfall auf die Ukraine dar. Sie spricht sich für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen aus. Sie wünscht sich diplomatische Initiativen zur Deeskalation und eine defensive Nato. Sie lehnt eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens sowie „Out of area“-Einsätze ab. Sie rät zu einer Wiederbelebung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Einst berief die Sozialdemokratie sich auf den Pazifismus der Arbeiterbewegung. Die Grünen hatten Wurzeln in der Friedensbewegung. Zum christlichen Weltbild der Konservativen gehörte der Princeps pacis (Isaias 9:6). Die Liberalen verehrten mit Kant den „Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann“ (Zum ewigen Frieden, 1796, S. 64).
Solche Zurückhaltung überwanden LSAP-Fraktionssprecher Yves Cruchten, die grüne Vorsitzende des verteidigungspolitischen Ausschusses, Stéphanie Empain, der CSV-Abgeordnete Claude Wiseler, der DP-Abgeordnete Gusty Graas. Bei den außenpolitischen Debatten im November überboten sie sich mit kämpferischen Erklärungen und kriegerischen Sprüchen.
Am 24. Januar informierte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock den Europarat: „We are fighting a war against Russia.“ DP, LSAP und Grüne schicken Panzerfäuste, frieren russisches Kapital ein, bezuschussen einen Wirtschaftsboykott. Sie verbieten russische Filme und regeln den Sprachgebrauch: „Deeskalation“, „Waffenstillstand“, „Verhandlungen“ wurden zu Unwörtern. Wer sie gebraucht, gilt als Kapitulant, Verräterin, Feindagent.
Solche Vorwürfe können der ADR wenig anhaben. Sie ist sowieso das Schmuddelkind der Politik. Sie weiß, dass Menschen Angst vor immer mehr Waffen für immer mehr Krieg haben. Sich vor einem Atomkrieg fürchten. Ihnen empfiehlt die ADR sich als Partei des gesunden Menschenverstands.
Vielleicht fühlt sich die ADR dem rechten Nationalisten im Kreml seelenverwandt. Zuvörderst ist sie opportunistisch. Also amoralisch. Das erlaubt ihr einen leidenschaftslosen Blick auf den Krieg. Um ein Haar nennte sie ihn einen weiteren Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA.
Die ADR hat sich nicht geändert. Sie bleibt eine Partei des aggressiven Nationalismus. Nicht nach außen gegen Russland. Sondern nach innen gegen Grenzpendlerinnen, Eingewanderte, Muslime. Denen sie die Schuld an der Not ihrer Wählerschaft auf dem Arbeitsmarkt und in den Schulen gibt.
CSV, DP, LSAP und Grüne bevorzugen Globalisierungsgewinner in den Mittelschichten. Sie geben sich weltoffen und humanistisch. Sie reden nur in moralischen Kategorien vom Krieg: als einem Kampf zwischen Gut und Böse. Ihr Nationalismus richtet sich nicht nach innen gegen die multikulturelle Arbeitskraft auf dem Kirchberg, in Cloche d’Or und Belval. Sondern nach außen gegen Russland. Das Reich des Bösen, das die ersprießlichen Geschäftsbeziehungen ruinierte.
Die alttestamentarische Erzählung vom Kampf zwischen Gut und Böse klingt naiv. Sie ist Taktik: Sie soll das Verständnis von Kriegsursachen und Interessenlagen verhindern. Sie soll historische und politische Erklärungsversuche durch eine einzige Deutung ersetzen: den Irrsinn des russischen Präsidenten.
Das Böse kann nur vernichtet werden. So lange soll der Krieg weitergehen. So lange erscheinen Verhandlungen als unmoralisch. Denn zwischen dem Guten und dem Bösen sind keine Kompromisse möglich. Ohne Kompromisse sind keine Verhandlungen möglich. Was zu beweisen war.