Claude Seywert übernimmt im Herbst die Encevo-Geschäftsleitung von Jean Lucius. Er spricht über Rifkin, den neuen Fokus auf Wind- und Solarenergie in der Großregion und den Wunschaktionär

Neuer Fokus

Claude Seywert im Gespräch am Konferenztisch bei Encevo in Esch
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 01.06.2018

d’Land: Herr Seywert, vergangenes Jahr hat Encevo mit 1,758 Milliarden Euro fast sieben Prozent weniger Umsatz gemacht als im Vorjahr und mit 55,7 Millionen Euro 33 Prozent weniger Gewinn. Es wurde mehr Gas, aber weniger Strom verkauft. Wie ist das zu verstehen, wenn man bedenkt, dass mit der Twinerg der größte einzelne Gasabnehmer in Luxemburg vom Netz ist und andererseits durch die zunehmende Digitalisierung zu erwarten ist, dass der Stromverbrauch steigt, auch wenn die Verbraucher, bei denen Sie ein Quasi-Monopol haben, zum Energiesparen angehalten werden?

Claude Seywert: Bei der Analyse unser Absatzvolumen muss man verstehen, dass sich unser Markt nicht auf Luxemburg beschränkt, denn dort sind die Volumen relativ stabil. Die großen Fluktuationen stammen aus Deutschland, wo wir keine Haushalte beliefern, sondern Stadtwerke und große Industriekunden. Dort hatten wir in den vergangenen Jahren relativ starke Einbußen bei den Gasverkäufen und konnten 2017 mit neuen Kunden Verträge abschließen. In Luxemburg steigt der Stromverbrauch bedingt durch das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum – man denke an die Datenzentren – und in Deutschland liefen einige große Verträge aus. Das macht schnell viel aus; manche unserer Kunden dort verbrauchen ein Drittel des Gesamtverbrauchs von ganz Luxemburg. Die Volumen allein sagen aber nicht unbedingt viel über die Ergebnisse aus, denn die Margen in diesem Bereich sind ziemlich klein.

Creos hat außerdem weniger Netzgebühren kassiert ...

Ja, es gibt drei Hauptfaktoren, die erklären, warum wir ein niedrigeres Ergebnis hatten als im Vorjahr. Der erste ist buchhalterischer Natur. Wir hatten 2016 eine Provision aufgelöst und haben sie 2017 neu gebildet, dazwischen ergibt sich ein Delta. Ein zweites Delta ergab sich daraus, dass wir 2016 unsere langfristigen Lieferverträge für den Strom, den wir nicht selbst produzieren und zukaufen, zu unseren Gunsten gegen den Strompreis an der Börse ausspielen konnten. 2017 war die Situation dann genau umgekehrt und der Strom war an der Börse billiger als in unseren Lieferverträgen. Drittens hat der Netzregulierer Anfang 2017 die Netzgebühren heruntergesetzt. Das war keine Überraschung, denn die Netzgebühren werden alle vier Jahre überprüft, aber dadurch sinken einfach die Einnahmen der Netzbetreibergesellschaft.

Sie haben den deutschen Markt bereits angesprochen; wie wichtig ist das Deutschlandgeschäft?

Das deutsche Geschäft entspricht 60 Prozent des Umsatzes, und dieser Umsatz stammt aus dem Verkauf von Energie. Wir haben dort einige große Kunden, beispielsweise den Daimler-Konzern, dessen Werke in Deutschland alle von Enovos beliefert werden. Dennoch sind wir in Deutschland ein vergleichsweise kleiner Akteur.

Sie betreiben aber auch eine deutsche Netzgesellschaft und haben dort vergangenes Jahr ein Stromnetz hinzugekauft. Warum?

Creos Deutschland hatte bisher nur ein Hochdruckgasnetz von Trier bis nach Ludwigshafen. Wir wollen aber als Gruppe auftreten, die sowohl Gas als auch Strom anbietet; wir verkaufen ja auch beides. Ganz besonders in der Großregion, im Saarland, wollen wir ein starker Partner für lokale Stadtwerke sein, und deshalb ist es wichtig, auch eine gewisse Kompetenz im Stromnetz zu haben. Als sich die Gelegenheit bot, haben wir deshalb das Stromnetz gekauft, auch wenn es kein besonders großes ist. Es ist ein Industrienetz, das die Gruben und die Industrie im Saarland verband, in etwa vergleichbar mit dem Sotel-Netz in Luxemburg. Das Interessante sind die vielen erneuerbaren Energiequellen, die daran angeschlossen sind; Wind und Sonne; und das erlaubt es uns, im Saarland an der Diskussion um die Entwicklung an der Infrastruktur teilzunehmen.

In Deutschland läuft es demnach ziemlich gut. Encevo hat vor ein paar Jahren versucht, auch auf dem belgischen Markt Fuß zu fassen und dort Endverbraucher zu beliefern, beziehungsweise das Geschäft in Frankreich auszubauen. In diesem Segment wurde eine strategische Untersuchung durchgeführt. Sind diese Versuche nicht ganz so erfolgreich verlaufen?

In Frankreich beliefern wir gar keine Haushalte, sondern nur kleine und mittlere Unternehmen. In Belgien hatten wir in der Tat den Versuch gestartet, den Endverbrauchermarkt zu erschließen. Das Ergebnis entsprach allerdings nicht unseren Erwartungen, da wir mit unseren Angeboten auf diesem extrem umkämpften Markt keine große Zahl von Kunden anlocken konnten. Deshalb haben wir entschieden, dort einen Schritt zurückzugehen.

Heißt das, Sie ziehen sich wieder zurück?

Wir werden uns zurückziehen. Unsere bestehenden Kunden werden wir natürlich nicht im Stich lassen, wir werden diese Verträge erfüllen lassen. Aber wir stellen keine weiteren Anstrengungen an, um neue Kunden hinzu zu gewinnen. Ob das eine endgültige Entscheidung ist, bleibt abzuwarten. Aber sicher ist, dass wir derzeit nicht bereit sind für diesen Markt, der zu komplex und weniger lukrativ ist, als wir uns vorgestellt hatten. Der Aufwand ist sehr groß. Obwohl wir immer von Harmonisierung in Europa reden, unterscheiden sich die nationalen Gesetzgebungen relativ stark, und der Kontakt zu Behörden und Kunden ist immer anders geregelt. Deshalb ist es relativ schwierig, das Geschäft in Luxemburg, Deutschland, Frankreich und Belgien unter einen Hut zu bekommen, und bei den Endverbrauchern ist diese Komplexität immer noch ein bisschen höher, weil es sich um ganz viele Kunden mit jeweils geringen Verbrauchsvolumen handelt. Bei den Industriekunden ist das etwas einfacher, weil sie große Volumen beanspruchen, diese aber in wenigen Transaktionen geregelt werden. Wir bleiben in Belgien daher weiterhin bei den Industriekunden aktiv.

Zurück nach Luxemburg und dem von Regierung und Handelskammer angestoßenen Rifkin-Bericht. Der betrifft Encevo ganz besonders, weil er vorsieht, dass fast die gesamte Energie, die im Land verbraucht wird, auch hier hergestellt würde und das obwohl Luxemburg bisher nahezu komplett von Energieimporten abhängig ist. Außerdem sollen die Prosumenten nicht nur weniger Energie verbrauchen, sondern sie auch selbst dezentral herstellen und verbrauchen. Das betrifft Encevo sowohl als Netzbetreiber mit Creos als auch als Energielieferant und -produzent mit Enovos. Wie bereitet sich das Unternehmen darauf vor?

Um ein paar Dinge vorwegzunehmen: Erstens war ich an der Ausarbeitung des Berichtes beteiligt und kenne den Inhalt daher ziemlich gut. Zweitens muss man unterstreichen, dass wir sehr viel Energie einsparen müssen, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, so wie sie bei der Cop21 und innerhalb der EU gesteckt wurden. Nichtdestotrotz, sogar wenn man den Rifkin-Bericht liest, der in verschiedenen Aspekten sehr aggressiv ist, sieht auch der vor, dass der Gesamtenergieverbrauch quasi stabil bleibt – sogar wenn wir im Einzelnen viel weniger verbrauchen. Das liegt zum einen daran, dass Luxemburg weiter wächst. Und zum anderen daran, dass sehr viel elektrifiziert wird. Insbesondere der Transport. Das heißt, der Energieträger Erdöl wird zurückgebaut und viel auf Strom umgestellt. Daher sehen wir für unser Unternehmen dennoch eine gute Zukunft voraus. Dann müssen wir diesen umweltfreundlichen Strom tatsächlich produzieren, mit Wind- und Solaranlagen. Das ist möglich; wir haben in Luxemburg ausreichend Wind und Sonne, um 70 Prozent des Bedarfs abzudecken, wie im Bericht angegeben. Wobei ich als Netzbetreiber sage, Verbrauch ist nicht gleich Leistung, denn der Verbrauch ist das Volumen, das über das Jahr in Anspruch genommen wird, darin aber gibt es die Spitzenzeiten, zu denen mehr gezogen wird, und die Netze sind auf diese Spitzenauslastung angelegt. Richtig ist, dass dezentral hergestellt und verbraucht werden soll, die Haushalte also zu Hause produzieren und verbrauchen sollen. Es gibt eine Gesetzesvorlage, die Anreize schaffen soll, um die Produktion für den Eigenverbrauch interessanter zu gestalten. Das hat großen Einfluss auf einen Energielieferanten wie uns, weil dieser Strom nicht mehr über unser Netz läuft und wir ihn auch nicht mehr verkaufen. Beim Gas sieht es noch mal ein wenig anders aus, man muss sehen, ob er „grüner“ werden kann.

Sie haben sicherlich Projektionen erstellt, was das für das Unternehmen bedeutet?

Die Photovoltaikanlagen der „Prosumenten“ müssen zu allererst einmal gebaut und betrieben werden. Da sehen wir eine Rolle für unser Unternehmen.

Und welche?

Zumindest eine Beraterrolle dadurch, dass wir den Leuten helfen, die richtige Anlage zu finden, und wir haben durchaus den Anspruch, auch in Zukunft in Luxemburg Hauptansprechpartner in Energiefragen zu bleiben. Außerdem brauchen die Haushalte dann Batterien, um ihre Energie zu speichern, und es wird dennoch viele Fluktuationen in der Produktion geben. Daher kann ich mir nicht vorstellen, dass es zur Extremsituation kommt, wie Rifkin sie darstellt, also dass jeder völlig unabhängig und abgeschnitten seinen Strom produziert.

Dann würde es keine Creos mehr geben.

Dann würde es tatsächlich keine Creos mehr geben. Es würde aber auch bedeuten, dass wir in einer total individualistischen Gesellschaft leben, die Infrastrukturen aufbaut, die sie eigentlich nicht braucht. Denn der zweite Teil der Rifkin-Vision ist ja die Teilwirtschaft. Soll heißen, jemand produziert und hat dann vielleicht ein bisschen zu viel Strom in seiner Batterie, jemand anders hat nicht genug, und beide teilen den Strom dann. Ansonsten müsste jeder eine Kapazität aufbauen, um seine eigene Spitzenleistung abzudecken, statt dass sich gegenseitig geholfen wird. Damit aber geteilt werden kann, braucht es weiterhin eine Netzinfrastruktur und jemanden, der das Ganze organsiert. Denn je dezentraler Produktion und Verteilung, umso komplexer wird die Verwaltung, und darin sehen wir unsere Rolle.

Als Dienstleister?

Als Dienstleister, der das verwaltet, die Stromflüsse abrechnet, was der eine Nachbar verdient, wenn er dem anderen Strom abgibt.

Das heißt ,Sie werden zum Netz-Buchhalter?

Ja, nicht nur. Denn wenn die Produktion nicht ausreicht, muss dennoch Strom importiert und zugeliefert werden. Wir sehen uns als Bindeglied zwischen den Herstellern und den Herstellungsgemeinschaften, als derjenige, der organisiert, abrechnet und die Stabilität im Netz sicherstellt, damit die Lichter nicht ausgehen. Denn wenn das passieren würde, wäre das ungünstig. Das betrifft aber vor allem die Haushalte, denn die gewerblichen Verbraucher, Industriebetriebe sehe ich auch in Zukunft nicht alle ihren jeweiligen Verbrauch selbst herstellen, und die müssen weiterhin beliefert werden.

Müssen Sie Ihre Netzinfrastruktur weiter ausbauen oder nicht, wenn mehr dezentral produziert und verbraucht wird?

Wenn man davon ausgeht, dass der Stromverbrauch weiter stark ansteigt, beispielsweise durch die Wandlung Luxemburgs zur Digital Nation, den Bau von Datenzentren, aber auch durch die Elektrifizierung des Verkehrs, wenn mehr Züge fahren, die Trambahn und Elektroautos, muss man sich natürlich fragen, wie viel zusätzliche Hardware man braucht, also wie viele zusätzliche Kabel und Leitungen verlegt werden müssen. Man kann dann natürlich alles auf die Spitzenleistung auslegen, aber der gesunde Menschenverstand gebietet, dass man den Ausbau auf ein Minimum reduziert – wenn dezentral hergestellt wird, macht es keinen Sinn, den Strom noch einmal um den halben Globus zu schicken, bevor er verbraucht wird, da kommt das intelligente Netz zum Tragen. Deshalb sollten wir vermeiden, im ganzen Land Straßen aufzureißen, um neue Kabel in jedes Haus hinein zu verlegen. Das heißt aber nicht, dass wir keine zusätzlichen Hochspannungsleitungen brauchen, weil wir insgesamt Transportkapazitäten benötigen, über die wir den Spitzenverbrauch abdecken. Denn der Spitzenverbrauch fällt hierzulande meist in die Monate Januar und Februar, da scheint nicht immer die Sonne. Wenn dann auch noch kein Wind weht, bräuchte es schon ganz viele Batterien. Daran glaube ich nicht und gehe davon aus, dass wir zu diesen Zeiten weiterhin Strom importieren müssen. Diese Transportleitungen werden dann anders beansprucht als jetzt, statt ständig zu 90 oder 100 Prozent ausgelastet zu sein, wird das dann nur in diesen Spitzenzeiten der Fall sein und den Rest der Zeit nur zu 20 Prozent. Daher müssen wir über andere Modelle nachdenken, wie diese Netze dann bezahlt werden.

Die Netzkosten machen heute die Hälfte der Stromrechnung aus. Wenn die Haushalte aber in Zukunft ihren eigenen Strom produzieren und verbrauchen, wie wollen Sie Ihnen gegenüber die Rechnung fürs Netz rechtfertigen?

Wir arbeiten an neuen Berechnungsmodellen, da ist aber noch nichts spruchreif. Von der Philosophie her ist der Ansatz folgender: Heute legen wir in jedes Haus ein Kabel und garantieren damit eine Standardleistung, die aber einigermaßen hoch ist und es ermöglicht, eine Menge Geräte gleichzeitig daran anschließen. Wenn die Haushalte aber in Zukunft ihre eigenen Batterien haben, brauchen sie die bisher von uns zur Verfügung gestellte Leistung vielleicht nicht mehr. Sie wollen aber eventuell eine Versicherung, dass sie jederzeit ihren Kühlschrank, ihren Fernseher und ihre Waschmaschine laufen lassen können, auch wenn ihre eigene Anlage gerade nicht produziert. Ich kann mir daher vorstellen, dass man eine Versicherung dafür bezahlt, dass man diese Geräte immer laufen lassen kann. Manche möchten sich möglicherweise mehr, manche weniger abkapseln, und das Modell muss darin flexibel sein. Das läuft darauf hinaus, dass nicht mehr wie heute die Rechnung teurer wird, je mehr Strom man verbraucht, sondern dass für eine Garantie gezahlt wird. Wie gesagt, diese Überlegungen laufen auf nationaler und auf europäischer Ebene.

Sie sind gerade dabei, das „intelligente“ Netz aufzubauen, indem die Strom- und Gaszähler ausgewechselt werden. Wie kommen Sie voran?

Laut Gesetz müssen wir Ende 2019 alle Stromzähler und Ende 2020 alle Gaszähler ausgewechselt haben. Wir haben heute 130 000 von insgesamt rund 280 000 getauscht, liegen also bei über einem Drittel. Ich bin zuversichtlich, dass wir fristgerecht fertig werden, obwohl die ersten Zähler – die wir inzwischen aber auch schon wieder gewechselt haben – einen Produktionsfehler hatten. Eventuell werden wir mit den Gaszählern schon nächstes Jahr fertig.

Mit den neuen Geräten können Sie den Zählerstand alle 15 Minuten auslesen statt einmal jährlich. Was machen Sie mit den ganzen Informationen?

Gute Frage, das wissen wir noch nicht so genau. Den Stromanbietern erlauben die Daten, viel differenziertere Stromrechnungen zu erstellen, beispielsweise außerhalb der Spitzenzeiten den Preis herunterzusetzen. Der Netzbetreiber kann dadurch genau verfolgen, wie der Strom im Netz verläuft. Wir überwachen das sehr genau auf der Ebene der Hochspannungsleitungen, aber wie es sich in die Häuser hinein verteilt, war bisher nicht bekannt, weil die Infrastruktur dafür fehlte. Die Daten erlauben dem Netzbetreiber viel genauer zu beobachten, wo es eventuell Engpässe gibt, wo ausgebaut werden muss und wo Wartungsarbeiten notwendig sind. Wir haben aktuell ein gemeinsames Forschungsprojekt mit der Uni, um herauszufinden, welche Erkenntnisse man aus den Daten ziehen kann und wie sie eingesetzt werden können. Eine der Fragen, die uns interessiert ist, ob sie uns zeigen, wo wir präventiv Wartungsarbeiten vornehmem müssen, bevor es zu Pannen kommt. Und natürlich brauchen wir diese Daten nachher, um wie vorhin erwähnt als Dienstleister zwischen Verbrauchern die Stromflüsse zu verwalten und abzurechnen. Aber im Moment werden sie erst einmal gesammelt, da steht noch viel Arbeit an.

Ihr Stromnetz wurde vergangenes Jahr an das belgische Stromnetz angeschlossen. Was bedeutet das?

In erster Linie: mehr Versorgungssicherheit. Bisher gab es nur den Anschluss ans deutsche Netz, und wenn es in Rheinland-Pfalz dunkel geworden wäre, dann auch in Luxemburg. Dabei muss man sagen, dass der Anschluss an Belgien nicht ausreicht, um ganz die Versorgung im ganzen Land aufrechtzuerhalten. Wir könnten aber, falls die Lichter in Belgien ausgehen, Strom via Luxemburg aus Deutschland dahin leiten, und das gibt uns auch mehr Glaubwürdigkeit gegenüber unseren Nachbarstaaten und innerhalb von Europa.

Encevo hat im 2017 rund 200 Millionen Euro investiert, und in den vergangenen Jahren schwankte das Investitionsniveau immer zwischen 200 und 240 Millionen Euro. Wird das auch in Zukunft so bleiben?

Wenn man bedenkt, wo investiert wird, wahrscheinlich schon. Von den 200 Millionen Euro vergangenes Jahr wurden rund 120 in die Luxemburger Netze investiert, 15 bis 20 Millionen in die deutschen Netze, rund 20 Millionen in den Bau von Produktionsanlagen für erneuerbare Energie und der Rest in IT-Systeme und ähnliches. Es wird in den kommenden Jahren bei ähnlich hohen Investitionen bleiben. Der Betrieb wird sich dafür nicht unbedingt mehr verschulden, weil das Betriebsergebnis ungefähr auf gleichem Niveau liegt. Das heißt, die Gruppe insgesamt generiert ausreichend Bargeld, um die Investitionen zu finanzieren.

Wie macht man Gas grüner? Meinen Sie damit Biogas?

Das ist eine Möglichkeit. Wir sehen uns aber auch andere Technologien an, beispielsweise das Power-to-Gas – das ist eine der Ursachen, die es für uns interessant machen, ein Stromnetz im Saarland zu haben –, wobei überschüssiger Strom über Elektrolyse in Wasserstoff oder Methan umgewandelt und ins Netz eingespeist wird. Dann wird das Gas sozusagen auch durch Windkraft hergestellt. Es gibt auch synthetische Gase, die hergestellt werden können und einen weniger hohen „CO2-Gehalt“ haben. Daran arbeiten die Gasbetreiber derzeit. Dazu will ich aber grundsätzlich sagen, dass Gas sehr grün ist im Vergleich zu Heizöl. Deshalb ist Gas ein Problem von morgen und hat einstweilen noch eine Rolle bei der Verdrängung weniger sauberer Energieträger zu spielen.

Encevo investiert nicht nur in die Netze der Creos, sondern auch den Ausbau eigener Produktionskapazitäten. Über das Joint-Venture mit der SEO, Soler, wurde in den vergangenen Jahren viel in Windkraftanlagen investiert. Wie sieht die Zukunft von Encevo als Stromproduzent aus?

Soler hatte Ende 2017 Wasserkraftwerke mit einer Leistung von 20 Megawatt und Windkraftwerke mit einer Leistung von 90 Megawatt in Betrieb. Das entspricht 42 Windrädern, und diese produzieren genug, um 42 000 Haushalte zu versorgen. Bis Ende 2020 sollen noch einmal Windkraftwerke mit einer Leistung von 110 Megawatt gebaut und in Betrieb genommen werden, das heißt innerhalb von zwei bis drei Jahren wird die Leistung verdoppelt. Die Regierung hat darüber hinaus kürzlich Ausschreibungen ausgelobt, um auf Industriebrachen oder bestehenden Hallen große Solaranlagen zu bauen, und wir geben dafür natürlich Angebote ab und hoffen, Verträge zu gewinnen und eine eigene Produktion aufzubauen.

Enovos hat in den vergangenen Jahren auch im Ausland Produktionsanlagen aufgebaut. Diese Versuche waren nicht alle von Erfolg gekrönt. Unter anderem in Italien. Aber auch für Biogasanlagen wurden Rückstellungen vorgenommen. Warum?

Biogas ist immer schwierig, weil es ein operatives Geschäft ist. Wenn sich die Umweltauflagen ändern, wie im vorliegenden Fall, müssen wir umrüsten. Wir haben derzeit vergleichsweile viele Biogasanlagen und verschiedene liegen weit außerhalb der Großregion. Wir haben im Rahmen unserer strategischen Bestandsaufnahme beschlossen, dass Biogas nicht das Produkt ist, wo wir uns unbedingt weiterentwickeln wollen, sondern dass wir uns auf Wind und Sonne konzentrieren. Daher werden wir sehen, was mit diesen Anlagen passiert, auch wenn wir einige in der Großregion behalten werden.

Warum dieser neue Fokus bei den erneuerbaren Energien?

Wir sind zwar in Luxemburg eine große Gruppe, sind aber dennoch nicht so groß, dass wir in jeder Technologie vorne mitmischen können, ohne unsere Kapazitäten zu überlasten. Deshalb wollen wir uns auf Wind und Sonne verlagern.

Und warum der neue Fokus auf die Großregion?

Ich würde sagen, das ist die Lehre aus dem Italien-Malheur. Wir haben gelernt, wie schwer es ist, aus der Distanz derartige Projekte zu überwachen, und wollen deshalb lieber in der Gegend bleiben, wo wir die Leute und die Gesetze kennen und häufiger vor Ort präsent sein können.

Was ist denn der Stand beim „Italien-Malheur“ – dafür wurden vergangenes Jahr die Rückstellungen von 8,6 Millionen Euro vorgenommen, von denen Sie eingangs geredet haben?

Der Gerichtsprozess läuft. Es wurden falsche Angaben gemacht über den Ursprung der Solarzellen und das Anschlussdatum, was Folgen für die Subventionen und den Einspeisetarif hatte. Die lokalen Verantwortlichen haben dort Unterlagen unterzeichnet, die wir hier nicht kontrollieren konnten. Enovos war Teilhaber in dieser Gesellschaft und ist davon nur am Rande betroffen. Aber wir haben diese Rückstellungen vorsichtshalber gebildet, falls noch was kommen sollte, obwohl wir den Wert der Anlagen ohnehin in der Bilanz schon auf Null heruntergesetzt haben. Das war für die Gruppe nicht unbedingt die beste Erfahrung.

Der Encevo-Aktionär Ardian, dem immerhin ein Viertel der Anteile gehört, will sich zurückziehen. Haben Sie den Datenraum schon eingerichtet?

Wir sind dabei. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren ja schon zweimal einen Datenraum eingerichtet, damit die Post und die BCEE ihre Due-Dilligence machen konnten. Wir aktualisieren das jetzt.

Der zuständige Minister, Etienne Schneider (LSAP), hat in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass die staatliche Beteiligung ausgebaut wurde, damit „der Staat das Sagen hat“, wie er es formulierte. Dafür gibt es gute Argumente, aber die Frage ist, ob die staatlichen Aktionäre dafür den letzten privatrechtlichen Aktionär Ardian herauskaufen müssen oder nicht. Bisher haben sie keine Absicht kundgetan, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen zu wollen.

So weit mir bewusst ist, ist der Staat aktuell nicht interessiert, die Gelegenheit zu nutzen, um weitere Anteile hinzuzukaufen.

Heißt das, die staatlichen Aktionäre haben verzichtet?

Nein, natürlich nicht. Sie halten ihr Vorkaufsrecht bis zum Schluss, um es, je nachdem wer kaufen will und ob der Interessent genehm ist oder nicht, eventuell doch noch nutzen zu können. Das heißt nur, dass sie sich derzeit nicht aktiv bewerben.

Welche Art von Interessent wäre dem Vorstand genehm?

Wir würden uns über einen industriellen Partner freuen, jemanden aus dem Energiebereich.

Warum?

Weil es für uns wichtig ist, auch im Verwaltungsrat Partner zu haben, mit denen man über die Entwicklung im Energiebereich diskutieren kann. Es stehen viele Veränderungen an. Es gibt verschiedene große Trends, da wäre es von Vorteil, im Verwaltungsrat Ansprechpartner zu haben, die vom Fach sind. Zwingend notwendig ist das nicht, aber man darf nicht aus den Augen verlieren, dass Encevo international gesehen nicht so groß ist. Und wir müssen die Änderungen vorbereiten. Wir können diese ganzen Entwicklungen nicht alleine auf allen Ebenen verfolgen. Wir tun das derzeit in Netzwerken mit anderen Energieunternehmen, in Zusammenarbeit mit Universitäten, Forschungsanstalten und Startups. Aber einen starken Partner an der Seite zu haben, wäre auch nicht schlecht. Das wäre mir auf jeden Fall lieber als ein Finanzinvestor, der aus seiner Beteiligung lediglich versucht, eine Dividende herauszupressen.

Das hat sich doch wohl als Illusion erwiesen. Zwischen den staatlichen Aktionären scheint sich aus Encevo keine Dividende pressen zu lassen, sonst würde Ardian kaum aussteigen. Sie hatten außerdem in Ihrem Verwaltungsrat solche großen industriellen Partner sitzen. Dann haben diese ihre Encevo-Beteiligungen verkauft, um die Verluste zu decken, die sich aus den Fehlentscheidungen ihrer Vorstände in Deutschland ergeben hatten, die einige maßgebliche Entwicklungen im Energiegeschäft nicht vorausgesehen hatten.

Es ist richtig, dass wir industrielle Partner hatten, die ihre Beteiligungen aus strategischen Ursachen verkauft hatten. Aber da gibt es auch welche, die sie ganz gerne zurückhätten...

Das legt ja nahe, dass eher aus Geldnot als aus strategischen Ursachen verkauft wurde...

Um das Problem mit Eon und RWE konkret anzusprechen: Deutsche Energiekonzerne im Aktionariat sind schwierig, weil Deutschland unser größter Markt ist und wir dort direkte Konkurrenten sind. Das ist nicht ganz optimal, denn in dem Fall gibt es wiederum eine Menge Themen, die man nicht im Verwaltungsrat besprechen kann. Unter Netzbetreibern ist das eine andere Sache, weil die in ihren Aktivitäten begrenzt sind. Aber Eon und RWE waren Energieversorger und direkte Wettbewerber, da redet man weniger gerne über strategische Handelsentscheidungen. Um es zusammenzufassen: Jemand aus dem Energiebereich wäre begrüßenswert, aber ein direkter Wettbewerber weniger günstig.

Claude Seywert, Jahrgang 1971, hat Physik an der ETH in Zürich studiert und ein Doktorat in Aeronautik am California Institute of Technology abgelegt. Er arbeitete drei Jahre lang beim Beratungsunternehmen McKinsey in Deutschland, bevor er in der Konzernzentrale von Arcelor-Mittal in Luxemburg in der Verwaltung anfing. Von da wechselte er an den Produktionsstandort Florange. Er war dort Mitglied der Direktion, als 2012 die Schließung der Hochöfen beschlossen wurde. Auf Youtube gibt es Videos einer angespannten Begegnung zwischen Seywert und dem Gewerkschaftsführer Edouard Martin, der ihn lobt, sich als einziges Mitglied der Firmenleitung dem Dialog mit den Streikenden zu stellen. Im selben Jahr ging Sewyert zur Netzbetreibergesellschaft Creos, deren Vorsitz er 2015 übernahm. Seywert kennt die Firmengruppe, da er für Arcelor-Mittal die Fusion zwischen Cegedel, Soteg und der Arcelor-Mittal-Filiale Saar Ferngas begleitete. Nach der Fusion vertrat Seywert den Stahlkonzern im Verwaltungsrat der Energie-Gruppe Enovos, die vergangenes Jahr in Encevo umgetauft wurde. Zu Encevo gehören einerseits die Gas- und Stromnetzgesellschaft Creos und andererseits der Gas- und Stromlieferant Enovos. Im September folgt Seywert Jean Lucius, der seine Rentenansprüche geltend macht, als CEO von Encevo. Seywert ist Luxemburger Staatsbürger, verheiratet und Vater dreier Kinder.

Michèle Sinner
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