Der in Oberkorn geplante Windpark ist kein ganz gewöhnlicher. Er
wäre der erste in der Minette-Region und nur 550 Meter von den nächsten Häusern entfernt. Dort rumort es unter den Leuten

„Und wenn Cattenom explodiert?“

d'Lëtzebuerger Land vom 28.07.2017

In der Straße Um Biergwee in Oberkorn stehen Einfamilenhäuser neueren Baujahrs. Es gibt hier nur Anwohnerverkehr, denn die Straße mündet bald nach Ende der Siedlung in einen Wanderweg, der in den nahegelegenen Wald führt. Kinder spielen vor den Häusern, die Gärten sind gepflegt. Gut vorstellbar ist, dass wer hier wohnt, den Grünen zuneigen könnte. Die bilden im Differdinger Gemeinderat in einer Koalition mit CSV und LSAP die Mehrheit, sie stellen den Bürgermeister und den Umwelt- und Schulschöffen.

Um Biergwee wohnen aber auch besonders viele Mitglieder einer Bürgerinitiative, die sich „Wandtastesch“ nennt. Sie macht mobil gegen den Bau eines Windparks auf einem Plateau oben auf dem Berg hinter einem Waldstück. Dort wollen die Gemeinde und ein privater Energie-Promoteur drei Windräder errichten lassen. Eigentlich ist das nicht spektakulär: Die Windkraft ist im Aufschwung in Luxemburg. Zurzeit drehen sich 68 Windräder im Land (siehe auch S. 7). Dass die Gemeinde und ihr Investor auf Windräder mit einem 135 Meter hohen Mast setzen, an dem ein Rotor mit 130 Metern Durchmesser sich dreht, so dass vom Boden bis zur Rotorspitze jede Anlage 200 Meter in der Höhe misst, wenn der Rotor sich dreht, ist ebenfalls nicht ungewöhnlich. In Weiler im hohen Norden, wo der zurzeit leistungsstärkste Windpark Luxemburgs steht, sind die Masten der Windräder noch sieben Meter länger als die der in Oberkorn geplanten.

Speziell macht das Vorhaben auf dem Plateau beim Kazebësch in Oberkorn, dass die Windräder nur 550 Meter von den nächsten Wohnhäusern entfernt wären, die Um Biergwee stehen. Auch der Differdinger Umweltschöffe Georges Liesch meint gegenüber dem Land, so klein sei der Abstand wohl bei keinem anderen Windpark im Großherzogtum.

Und darin sieht die Bürgerinitiative den Quell allen möglichen Übels: Derart nah gelegen, würden die drei Räder zu laut und zu viel Schatten werfen. Und was, wenn sie umfallen? Immerhin verlaufen unter dem Plateau oben auf dem Berg Stollen ehemaliger Eisenerzbergwerke. „Wir haben überhaupt nichts gegen erneuerbare Energien“, erklärt Wandtastesch-Präsident Alessandro Fratini, der Um Biergwee wohnt. „Viele von uns haben Solarstrompanele auf dem Dach, und wir sind nicht etwa prinzipiell gegen Windkraft.“ Aber gegen den Windpark „da oben“ schon. Wenn man ihn baut, dann woanders.

Typische Nimby-Haltung verwöhnter Bürger? Ziemlich nah bei den nächsten Häusern würden die Windräder ja gebaut. Und Alessandro Fratini hat nicht Unrecht, wenn er sagt, „auch der Schöffenrat weiß, dass das Projekt nicht unproblematisch ist“. Gemeinde und Promoteur haben es unter diffwand.lu publik gemacht und dort auch Expertenstudien veröffentlicht. Ihnen ist zu entnehmen, dass die Windpark-Idee schon einige Jahre alt ist. Vor fünf Jahren wurde von sechs Windrädern ausgegangen. Nach einer „Bodenvorerkundung“ im November 2012 aber riet ein Geophysik-Büro aus Karlsruhe von einem Windrad ab und äußerte zu einem zweiten einen „mittleren Verdacht“ auf Risiken. Woraufhin das Projekt auf vier Räder verkleinert wurde. Rad Nummer vier fiel vor zwei Jahren Natur- und Vogelschutzbedenken zum Opfer: Rund um den geplanten Windpark liegen Natura-2000-Zonen. Ein Büro aus dem Saarland ermittelte unter anderem „hohe Kollisionsgefahren“ mit den Rotoren des vierten Windrads für Rotmilan, Schwarzmilan und Uhu sowie für durchziehende Kraniche.

Und dann die Fledermäuse, von denen viele in den alten Stollen ein Domizil gefunden haben: Über sie wurden zwischen Januar 2015 und Juni 2016 vier Berichte geschrieben. In dem letzten kam ein deutsches Büro für Landschaftsökologie zwar zum Fazit, dass die Rotoren der Anlagen keine „Schlaggefährdung“ für geschützte Fledermausarten darstellen dürften. Beispielsweise für die in Europa seltene, aber in den Stollen in Oberkorn heimische Große Hufeisennase. Abschließend aber lasse sich das noch nicht beurteilen, denn man habe bisher nur im Frühjahr gemessen. Noch wichtiger sei der Herbst. Dazu steht nichts auf der Webseite von Diffwand.

Dafür aber findet man Analysen über Lärmschutz und Schattenwurf. Zu Ersterem gibt es in Luxemburg Regeln. Zu Letzterem nicht, weshalb die Umweltverwaltung sich dabei an deutsche Kriterien hält. Ihnen zufolge darf ein Windrad höchstens 30 Minuten pro Tag oder 30 Stunden pro Jahr Schatten auf Wohngebiete werfen. Je nach Sonnenstand und Distanz zu den Häusern können die Schatten groß sein, wenn die Rotoren sich schnell genug drehen. Einem Expertenbericht nach könnten an neun von 14 relevanten Orten Tages- oder Jahres-Maximum nicht eingehalten werden. Um Biergwee, wo bezeichnenderweise besonders viele Windparkgegener wohnen, könnte das Jahres-Maximum um das Vierfache überschritten werden. Und apropos Lärm: Das laut einer großherzoglichen Verordnung geltende Maximum könnte wiederum vor allem Um Biergwee überschritten werden, nachts um ungefähr sechs Dezibel. Das ist ziemlich viel. Weil die Dezibel-Skala eine logarithmische ist, entsprechen sechs zusätzliche Dezibel einer Verdoppelung des Lautstärkeempfindens. Das, könnte man meinen, fiele schon ins Gewicht, wenn jemand in Windradnähe schlafen will.

„Ich sage Ihnen ganz klar: Stellt sich heraus, dass der Windpark nicht genehmigt werden kann, dann wird er nicht gebaut!“, unterstreicht Umweltschöffe Liesch. Das hat auch der Bürgermeister vergangene Woche im Gemeinderat gesagt, sogar mehrmals. Denn entschieden ist noch nichts. Das Projekt ist so groß, dass es eine „Umweltverträglichkeitsprüfung“ durchlaufen muss. Gemeinde und Promoteur haben das seit Oktober vergangenen Jahres von Umweltsstaatssekretär Camille Gira (Grüne) schriftlich. In dem Schreiben steht, „le projet est susceptible d’avoir des incidences négatives importantes sur l’environnement“.

Während in Vorstudien zwar manches gemessen, aber daraus vieles nur abgeschätzt und extrapoliert wird und theoretisch bleibt, geht es bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung konkreter zur Sache. Zum Beispiel zum Lärm: „Der zuständige Abteilungsleiter bei der Umweltverwaltung ist da ganz geradlinig“, erklärt ein Windkraft-Promoteur, der nichts mit dem Oberkorner Projekt zu tun hat, dem Land. „Der sagt, so und so viel Dezibel will ich maximal haben, und wenn das Limit nicht in jedem Fall eingehalten werden kann, fällt ein Windpark flach.“ Denn im Unterschied zu Deutschland ist in Luxemburg für Lärmschutz nicht der Abstand eines Windparks zu Wohngebieten entscheidend, sondern die Dezibel vor den Haustüren. Außerdem müssen Gemeinde und Promoteur in einer Umweltverträglichkeitsprüfung einen „Variantenvergleich“ liefern: neben ihrem eigentlichen Projekt zum Beispiel eines an einem anderen Standort oder in verkleinerter Form.

Die Oberkorner Bürgerinitiative scheint dem aber nicht recht zu trauen. Ihr Vorsitzender geht so weit zu sagen, „Bürgermeister und Umweltschöffe sind in derselben Partei wie die Umweltministerin und ihr Staatssekretär“. Man wisse ja, „wie aggressiv Carole Dieschbourg für erneuerbare Energien eintritt“, und Camille Gira habe vor zwei Jahren sich und die Grünen in der Regierung dafür gelobt, die Genehmigungsverfahren für Windparks vereinfacht zu haben. In anderen Worten: Er werde seinen Parteikollegen im Differdinger Schöffenrat deren Projekt schon an d’Rei maachen.

Camille Gira weist das kaum überraschend von sich. „Wir haben Prozeduren vereinfacht, aber keine Normen. Und ich werde mich hüten, in ein Genehmigungsverfahren einzugreifen.“ Was die Bürgerinitiative behaupte, habe womöglich mit „Wahlkampf“ zu tun.

Denkbar ist das natürlich. Wenngleich der Wandtastesch-Vorsitzende erzählt, die Briefe, die man an die großen Parteien im Gemeinderat geschrieben habe, seien mit „dazu äußern wir uns erst nach den Gemeindewahlen“ beantwortet worden. Ein Wunder ist das nicht. CSV und LSAP können nicht gut gegen das Vorhaben sein, das sie im Schöffenrat mit den Grünen mittragen, und die DP-Opposition gibt ebenfalls keine gute Proteststimme her. Schon die Tatsache, dass die ersten Expertenstudien zum Windpark 2012 geschrieben wurden und der Park damals noch doppelt so groß werden sollte, deutet darauf hin, dass in der damals blau-grünen Koalition sich auch die Differdinger DP mit der Windkraft ein Denkmal setzen wollte.

Dennoch könnte das Vorhaben wahlkampfrelevant werden. Gegenüber dem Land erklärt Bürgermeister Traversini, wie „erfreut“ er sei, dass Bürger sich zu dem Windpark äußern. Wenn Bürger sich äußern, sei das immer gut, solange es „sachlich“ bleibe. Und Umeltschöffe Liesch sagt, „würde ich parteipolitisch handeln, müsste ich das Projekt bis nach dem
8. Oktober in eine Schublade legen“. Stattdessen will er „mit den Leuten reden“. Im September fände eine weitere Bürgerversammlung zum Windpark statt, „das ist klar“.

Aber ob der grüne Bürgermeister und sein Umweltschöffe tatsächlich ganz gelassen dialogbereit sind, scheint nicht so sicher. Eigentlich wollten sie den Windpark längst stehen haben, 2016 war als Inbetriebnahmedatum angepeilt. Dann räumte Roberto Traversini im April vergangenen Jahres im RTL-Interview ein, „das schaffen wir nicht, es wird 2017“, und nun geht man von 2019 aus – wegen der Umweltverträglichkeitsprüfung. In der Zwischenzeit aber ist nicht nur die Bürgerinitiative „emotional“, wie Umweltschöffe Liesch das sieht und für „ganz erklärlich“ hält, „denn die Leute machen sich Sorgen“. Im Gemeinderat vergangene Woche sagte Traversini zwar, „sobald einer nachweisen kann, dass etwas schädlich ist für die Leute, die da wohnen, wird der Windpark nicht gebaut“. In dem Fall aber, fügte er an, „soll sich später keiner beschweren kommen, wenn in einem Atomkraftwerk hinter der Grenze etwas geschieht, da soll sich keiner beschweren kommen!“ Im Saal anwesende Vertreter der Bürgerinitiative fanden das ungeheuerlich: „Der Bürgermeister gab uns die Schuld, dass Cattenom explodieren könnte“, findet Alessandro Fratini.

Umweltschöffe Liesch wiederum setzte am Tag der Gemeinderatssitzung auf seine Facebook-Seite eine Karikatur, auf der ein AKW explodiert, eine Erdöl-Pipeline leckt, schwarzer Qualm aus einem Kohlebergwerk dringt – und sich vor einem Windrad auf einer grünen Wiese ein Mann aufgebaut hat und „Not in my backyard!“ ruft. Grünen-Parteipräsident Christian Kmio-
tek postete die Karikatur mit einem „No Comment“ gleich noch einmal zurück. Worauf ein kleiner Shitstorm anhob und Georges Liesch vorgehalten wurde, sich über Bedenken seiner Bürger lustig zu machen, statt ihnen zuzuhören.

Weil, so Alessandro Fratini, „die Kommunikation, die Art und Weise, wie das Vorhaben vorangetrieben wird, besonders schlimm“ sei, vermutet die Bürgerinitiative ein Komplott auch hinter der Idee von Traversini und Liesch, der geplanten Beteiligungsgesellschaft für die Bürger am Windparkprojekt zu erlauben, entscheiden zu können, wie schnell – und damit wie laut – die Rotoren aller drei Anlagen im Park sich drehen können. „Der Bürgermeister hat uns gesagt, da kriegt ihr eine Fernbedienung, und ist euch die Anlage zu laut, dann macht ihr sie einfach aus“, erinnert sich Alessandro Fratini.

Ganz so sei es nicht gedacht, sagt der Umweltschöffe dem Land. Aber eines der drei Windräder soll von einer Bürger-Beteiligungsgesellschaft erworben werden, das sei der Plan. Dieses Rad werde als „Master“ bestimmen, wie auch die beiden anderen, als „Slaves“, sich drehen. Doch davon würde nicht nur abhängen, welchen Lärmpegel die Räder von sich geben. Auf die Stromausbeute hätte das ebenfalls Einfluss – und damit auf den Erlös auf die Investitionen, die der Bürger wie die des Promoteurs. „Da wird die beste Lösung sich in Diskussionen ergeben“, meint Georges Liesch, und ist sich sicher: „Das werden bestimmt interessante Diskussionen.“

Vor denen graut es zumindest der Bürgerinitiative heute schon. „Wir wären wahrscheinlich in der Minderheit, falls auch unsere Mitglieder Anteile erwerben“, sagt Fratini, der sich erinnern kann, dass der Bürgermeister schon laut darüber nachgedacht hat, die Beteiligungsgesellschaft für alle Leute im Korntal zu öffnen. Nun ja, meint der Umweltschöffe, „vielleicht gibt es eine Möglichkeit, den Stimmen der Windpark-Anrainer mehr Gewicht zu geben. Wir lassen das zurzeit juristisch prüfen“. Politisch in der Schublade liegt das Projekt definitiv nicht.

Peter Feist
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