Referendum in Kopstal

Die Zukunft gehört Bridel

Einfamilienhäuser in Bridel
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 25.08.2017

Die Gemeinde Kopstal im Westen der Hauptstadt ist vor allem eine Schlafgemeinde. Entlang der Merscher und Mamer Straße drängen sich die vorgartenlosen Einfamilienhäuser. Am zum Bridel aufsteigenden Hügel gibt es einige verwinkelte Gassen mit kleineren Häusern. In Bridel an der Luxemburger Straße entstehen derzeit Apartmenthäuser, dazwischen solide Einfamilienhäuser aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, einige leerstehend, vielleicht weil die Erben streiten. Dahinter, abgeschirmt vom ununterbrochenen Durchgangsverkehr, auch modernistische Bungalows und grau-weiße Quaderbauten mit Doppel- und Dreifachgaragen, einigen Gartenpools. Durch die stillen Viertel kreuzen Wach- und Schließgesellschaften, Bofrost und Hëllef doheem.

Es gibt bloß noch einen Bäcker, eine Apotheke, einen Friseursalon in der Gemeinde. Eine der beiden Tankstellen spielt den Krämerladen, das Postamt ist nachmittags keine drei Stunden geöffnet, einige Restaurants kochen italienisch, thailändisch, schweizerisch oder ­indisch-mexikanisch. Der einzige verbliebene Bauernbetrieb hört irgendwann auf, Industrie gibt es nicht.

Dorfkerne gibt es auch nicht. In Kopstal gibt es eine Kreuzung, in Bridel die Schule und die Kirche. Ab und zu geht die Rede davon, einen künstlichen Dorfkern in Bridel anzulegen, dort wo die Tankstelle steht, die den Krämerladen spielt. Aber die Leute treffen sich sowieso nicht viel. Es sind einige alteingesessene Luxemburger, viele im Rentenalter, Leute, die am Stadtrand im Grünen wohnen wollen, die Hälfte Ausländer, manche Expats, die zu jedem Schulfest kommen und dann nach Zürich oder Singapur weiterziehen.

Für Kommunalpolitik interessieren sich die wenigsten. Auch wenn der Durchgangsverkehr seit Jahren ein Dauerthema ist, wie er sich morgens aus Richtung Mersch durch Kopstal windet, im Schritttempo nach Bridel hochsteigt und dort schließlich zum Stehen kommt, um abends in umgekehrter Richtung zu stauen. Um sich nicht, wie seine Vorgänger, dem Vorwurf der Untätigkeit auszusetzen, hatte der Schöffenrat ein Jahr vor den Gemeindewahlen eine Umfrage organisiert, die noch einmal hilflos alle bereits erwogenen und wieder verworfenen Vorschläge sammelte, von der Umgehungsstraße über Busspuren bis zur Verkehrsberuhigung. Gegen den Bau eines Heims für Asylsuchende hatten einige Anrainer Einspruch eingelegt, weil sie einen Einfluss auf ihre Grundstückspreise befrüchteten. Aber für große Aufruhr sorgte nicht einmal das. In keiner Gemeinde stimmten 2015 so viele Wähler für das legislative Ausländerwahlrecht wie hier.

Ähnlich diffus ist die Parteipolitik in der Gemeinde, wo zum vierten Mal nach dem Verhältniswahlrecht abgestimmt wird. Mit jeweils drei Mandaten herrscht eine Pattsituation zwischen LSAP, DP und CSV. Stärkste Partei mit 29,05 Prozent der Stimmen 2011 ist die LSAP, die sich aber nicht so nennt, sondern „Är Equipe“. Sozialistische Gemeindepolitiker scheinen dort am erfolgreichsten, wo sie am wenigsten sozialistisch sind. Bürgermeister Romain Adam, Rechtsanwalt für Unternehmens- und Arbeitsrecht, trat 2010 die Nachfolge seines Parteikollegen Guy Linster an, in den Siebzigerjahren Staatssekretär der Mitte­linkskoalition. Im Mai hatte Romain Adam in einem Rundschreiben an alle Haushalte angekündigt, nicht mehr Bürgermeister bleiben zu wollen, weil er „net ëmmer disponibel genuch war duerch meng berufflech Flichten“. Aber er kandidiert noch einmal, seine Partei will nicht auf die Stimmen ihres Erstgewählten verzichten.

Die CSV bildet eine Koalition mit der LSAP, doch ihr Erster Schöffe, Florent Claudy, kandidiert nicht mehr. Auch bei der DP, die bis zu ihrer Wahlniederlage von 2005 mit Josette Steichen die Bürgermeisterin stellte, tritt der Erstgewählte, der ehemalige Abgeordnete John Schummer, nicht mehr an. Die Grünen, die mit zwei Mann im Gemeinderat vertreten sind, verschickten, wie schon 2011, ein Rundschreiben an die Haushalte, in dem sie drohten, keine Liste mehr aufzustellen, wenn die Gemeindeeinwohner sich keinen Ruck gäben.

Doch selbst wenn die Grünen nicht mehr in Kopstal kandidieren, werden sie mit einer Motion in Erinnerung bleiben, die ihre Räte Jean-Pierre Sunnen und Christophe Reuter, ein pensionierter Studienrat und ein Beamter des Nachhaltigkeitsministeriums, am 13. Mai im Gemeinderat eingebracht hatten. Darin wird vorgeschlagen, zusammen mit den Gemeindewahlen ein Referendum zu organisieren, ob die Südgemeinde Kopstal nicht in den Wahlbezirk Zentrum eingegliedert werden soll. Die Motion der Oppositionspartei wurde einstimmig angenommen. Wer traut sich schon, gegen eine Befragung des Volks zu sein?

Tatsächlich sollen die Kopstaler Wähler nun am 8. Oktober nicht nur einen neuen Gemeinderat bestimmen, sondern auch über die Frage entscheiden: „Souhaitez-vous que la commune de Kopstal soit rattachée à la circonscription du Centre?“ Weil das Interesse an der Gemeindepolitik gering ist und während der entscheidenden Gemeinderatssitzung vom 13. Mai auch über das Heim für Asylsuchende diskutiert wurde, weiß der größte Teil der Einwohnerschaft nichts von dem Referendum. Eine öffentliche Debatte darüber hat bisher auch nicht stattgefunden.

In den vergangenen Tagen verteilte die Gemeindeführung ein Flugblatt an alle Haushalte, das ziemlich einseitig dafür wirbt, mit „Ja“ zu stimmen. Denn „[l]a commune de Kopstal se trouve encerclée par la circonscription électorale du Centre“ und deren „sociodémographie est plus proche de celle de notre commune“, heißt es darin. Schon seit Jahren hätten zahlreiche Einwohner den Wunsch geäußert, im Zentrum zu wählen, eine Zahl wird aber nicht genannt. Eine positive Entscheidung „pourrait inciter et légitimer le nouveau collège échevinal à entamer les démarches ensemble avec le Ministre de l’Intérieur“.

Über mögliche Schwierigkeiten des Unterfangens schweigt sich das Flugblatt aus. Um die gewünschte Umklassierung vorzunehmen, müsste das Parlament das Wahlgesetz ändern. Das Wahlgesetz legt aber die Wahlbezirke nach Kantonen fest. Vielleicht müsste die Gemeinde deshalb den Kanton wechseln. Außerdem soll die Zahl der Abgeordneten pro Wahlbezirk das Verhältnis der Einwohnerzahl widerspiegeln. Müsste also der Südbezirk einen Abgeordneten verlieren und das Zentrum einen hinzubekommen?

Mit der als „sociodémographie“ aufgeführten Begründung für einen Bezirkswechsel ist gemeint, dass der Südbezirk politisch von den Arbeiterstädten des Minette-Beckens dominiert wird, die lange rot waren und es zum Teil noch heute sind, während im Finanz- und Verwaltungszentrum der Hauptstadt und ihrer Umgebung lieber liberal und konservativ gewählt wird. Zum proletarischen Südbezirk zu gehören, stört offenbar bis in die LSAP hinein Einwohner der Gemeinde mit dem vierthöchsten Medianlohn im Land. Sie fürchten, in einer verwunschenen Enklave, einem durch den Baumbusch abgetrennten Nagorny Karabach des Bankenplatzes und Europaviertels wohnen zu müssen.

Doch die soziodemographische Grenze verläuft gar nicht rund um eine umzingelte Gemeinde, wie die Gemeindeführung schreibt, sondern in Wirklichkeit quer durch die Gemeinde. Denn Kopstal im Mamertal war stets ein Arbeiterdorf, in dem Tagelöhner, Kohlenbrenner und Holzfäller lebten, danach Arbeiter der Gipsmühle, der Steingutfabrik Villeroy & Boch im Rollingergrund, Korbflechter der Sektfirma Mercier im Weidental, im Minette-Gebiet beschäftigte Gruben- und Schmelzarbeiter und Arbeiter Steinseler Industrien wie Elth/Cebi.

Dagegen ist der anfangs landwirtschaftiche Bridel auf der Anhöhe oberhalb Kopstals heute das natürliche Biotop der Porsche Cayenne. Mit Quadratmeterpreisen bis 8 000 Euro gehören die Apartmentwohnungen auf dem Bridel zu den teuersten im Land. Hier wohnen viele leitende Angestellte, Beamte und Selbständige, die am Finanzplatz, in europäischen Institutionen und in Verwaltungen arbeiten, andernorts Geschäfte, Anwaltskanzleien, Arztpraxen und Architektenbüros betreiben.

In den Fünfzigerjahren begann die Einwohnerzahl von Bridel diejenige von Kopstal um ein Vielfaches zu übersteigen, die Schule und die Post von Kopstal wurden geschlossen, nur die Gemeindeverwaltung befindet sich noch im Gemeindehauptort. Manche Brideler haben bereits vorgeschlagen, die Gemeinde in „Bridel“ umzutaufen, um die Erinnerung an das Arbeiterdorf im Tal zu verdrängen, wo sich längst die Mittelschichten breit gemacht haben. Unter jenen, die am 8. Oktober dafür stimmen werden, dass die Gemeinde zum Zentrumsbezirk geschlagen werden soll, sind wohl viele, die in Wirklichkeit vorzögen, dass Bridel in den Zentrumsbezirk eingegliedert und Kopstal im Südbezirk bleiben würde.

Romain Hilgert
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