Eis Schoul

Aus Fehlern lernen

d'Lëtzebuerger Land vom 11.03.2010

Die Anfrage an die Unterrichtsministerin klang harmlos. Eine mündliche Auskunft über „eventuelle Probleme“ bei Eis Schoul möchte der grüne Abgeordnete Claude Adam. Da pfiffen es die Spatzen schon von den Dächern. Die 2008 gegründete Ganztagsschule kämpft mit erheblichen Startschwierigkeiten. Die Zusammenarbeit zwischen den Lerngruppen und dem Personal sei nicht ideal, das Schulklima verbesserungsfähig, hatten Mitarbeiter von Eis Schoul bereits im September gegen-über dem Land angedeutet.

Die Situation spitzte sich zu, als im November ein Junge, der zuvor schon auffällig gewesen war, ein Mädchen schwer am Auge verletzte. Dass Kinder streiten oder aggressiv werden, geschieht an den besten Schulen, aber für Eis Schoul ist der Vorfall doppelt delikat: Die Schule steht wie keine andere im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit – zudem läuft die Anmeldefrist für das nächste Schuljahr. Schlechte Nachrichten kommen da nicht gut. Das weiß auch die Ministerin, die vor der Parlamentsdebatte eine Anfrage des Land lieber nicht beantworten will. Noch steht kein Termin fest, aber sie wird sich wohl fragen lassen müssen, wie es zu dem Gewaltausbruch kommen konnte und was die Schule – und ihr Ministerium – taten, um die Sicherheit der Kinder zu garantieren.

Wegen des angespannten Schulklimas und einer Häufung von disziplinarischen Zwischenfällen hatten Eltern im Herbst Alarm geschlagen und eine bessere Aufsicht und ein härteres Durchgreifen gefordert. „Die Disziplin war und ist ein Thema“, bestätigt Elternsprecherin Tonia Clement. „Der Vorfall im November markierte einen Wendepunkt“, sagt Marc Hilger, Mitbegründer von Eis Schoul und Präsident des Schulkomitees. Die Ministerin schaltete sich ein und bestellte Eltern und Personal zum Gespräch. Die loben ihr „offenes Ohr“, Mady Delvaux-Stehres habe sogleich das Heft in die Hand genommen – und mit drastischen Maßnahmen gedroht, sollten die Sicherheitsdefizite anhalten. Das war nicht zu früh, immerhin ist das Ministerium direkt für die Aufsicht von Eis Schoul zuständig. Erste Aktion: Marc Hilger wurde vom Unterricht befreit, um sich hauptamtlich um den Schulablauf zu kümmern und gemeinsam mit den Kollegen klare Verhaltensregeln aufzustellen. Im Januar unterzeichnete die Ministerin das Règlement d’ordre interne, das unter anderem ein Schulklima verspricht, „qui favorise un esprit de camaraderie et de solidarité“, und einen Aufsichtsplan vorsieht. Règlements über die Entscheidungsfindung sollen in Kürze folgen.

Das klingt nach gelungenem Krisenmanagement, und doch bleiben Fragen offen: Warum musste die Lage erst eskalieren, bevor Bewegung in die Sache kam? „Wir haben vorher keine Zeit gefunden“, entschuldigt sich Marc Hilger. Das Personal arbeitet engagiert und oft am Limit. Für Eltern, die sich um das Wohl ihrer Kinder sorgen, ist das kaum ein Trost. Abstimmungsprobleme zwischen Lehrern und Erziehern plagten auch Luxemburgs erste Ganztagsschule Jean Jaurès in Esch, die erst mit Hilfe von außen die Arbeitsteilung zwischen beiden Berufen verbessern konnte. Warum sind ihre Erfahrungen nicht in Eis Schoul eingeflossen, immerhin hatten die Gründer zwei Jahre Vorbereitungszeit?

„Es klafft immer ein Graben zwischen Theorie und Praxis“, sagt Eis-Schoul-Gründer und Forscher Denis Scuto von der Uni Luxemburg. Eis Schoul habe „alle Baustellen miteinander.“ Um die Erzieher einzubinden, habe das Konzept gemeinsame Unterrichtsstunden vorgesehen – in der Praxis aber fühlten sich Erzieher mit der Betreuung am Nachmittag alleingelassen. Inzwischen bilden Erzieher und Lehrer feste Teams über den gesamten Tag, eine Supervisorin begleitet die Umstrukturierung. „Ein externer Blick hilft, Probleme besser erkennen und Konflikte anzusprechen“, weiß Hilger heute.

Dazu gehört der Umgang mit verhaltensauffälligen Schülern. Weil man Kinder nicht stigmatisieren wollte, wurde auf die Einsicht in medizinisch-psychologische Gutachten zunächst verzichtet. Ein Fehler: Inzwischen werden sie systematisch bei der Anmeldung herangezogen. Ähnlich dem Neie Lycée sieht sich Eis Schoul mit überdurchschnittlich vielen schwierigen Schülern konfrontiert. Für Eltern, deren Sohn oder Tochter sich in der Regelschule nicht zurechtfindet, sind alternative Modelle die letzte Hoffnung. Die Erfahrung lehrt aber, dass Kinder mit Verhaltensstörungen sich mit offenen Unterrichtsformen häufig schwerer tun.

Hätte man also die Schule von unten aufbauen sollen, statt auch gleich mit Fünftklässlern zu starten? Die Antwort von Marc Hilger ist eindeutig: „Heute würde ich sagen Ja.“ Eine Einschätzung, die das Elternkomitee teilt. So hätten sich Schüler und Eltern behutsam mit Portfolio, Gruppenarbeit, Wochenplan und Co. vertraut machen können. „Ich bin froh, dass mein Sohn in der Schule ist, er lernt viel und ist sehr selbstständig“, freut sich Elternsprecherin Clement, fügt aber nachdenklich hinzu: „Das erste Jahr war in mancherlei Hinsicht ein verlorenes Jahr.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichteten Lehrer der Écoles en mouvement, Teamgeist und Verantwortung müssen sich erst langsam entwickeln. Die meisten Probleme von Eis Schoul scheinen also nicht hausgemacht.

Das gilt aber nicht für die basisdemokratische Struktur, die die Ministerin abgesegnet hat. Dabei betonen Bildungsexperten: Je autonomer eine Schule, je anspruchsvoller die Ziele, desto höher ist der Aufwand für Administration und Organisation und umso wichtiger wird eine professionelle Leitung. Seitdem sich der Präsident hauptamtlich um den Schulbetrieb kümmert, laufe vieles besser, beruhigt Inspektor Guy Medinger, der zuversichtlich ist, „dass die aktuellen Schwierigkeiten überwunden werden können“. Den Befürwortern von Schuldirektionen allerdings dürfte das neue Nahrung geben.

Ines Kurschat
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