Heute loben wir die verborgenen Höchstleistungen. Wie kommt ein Ministerium dazu, mit seinen offensichtlichen Großtaten hinter dem Berg zu halten? Warum stellt eine Ministerin ihr Licht unter den Scheffel, wenn es für einmal außerordentlich strahlt und beeindruckt? Wir erinnern uns: In letzter Zeit rebellierten viele Literaturschaffende offen gegen das Kulturministerium. Der Amtsinhaberin wurde ein krasses Desinteresse für literarische Belange angelastet. Die Literatur, so hieß es, sei in den ministeriellen Planungen bestenfalls ein verkümmerter Wurmfortsatz. Auch wir, müssen wir jetzt voller Scham bekennen, haben uns an diesen wüsten Empörungsritualen munter beteiligt.
Und nun dieser grandiose Paukenschlag! Erzählen wir also die betörende Geschichte. Claude Adam, Abgeordneter der Grünen, erkundigte sich im Juli 2010 mittels einer parlamentarischen Frage, was die Kulturministerin eigentlich an staatlichen Hilfen für Schriftsteller und Verleger aufzuweisen habe? Die Antwort ließ ganze fünf Monate auf sich warten. In mühevoller und zeitraubender Kleinarbeit hatte die Ministerin nämlich alles zusammengekratzt, was entfernt den Anschein erweckt, im staatlichen Subventionsgärtlein gewachsen zu sein. Unter dem Strich kann man folgern: sie hat alle Mücken, die sie einfangen konnte, zu stattlichen Elefanten aufgeblasen. Sie wollte mit ihrer ellenlangen Aufzählung Eindruck schinden.
Dann aber kommt unvermittelt der echte Hammer: „Les frais de déplacement, de logement, des per diem et les cachets d’auteurs luxembourgeois dans le but de répondre à des invitations pour lectures publiques à l’étranger sont payés par le Ministère de la Culture; cet axe de soutien a concerné 70 invitations d’auteurs au cours de l’année écoulée.“ Und später im Text noch einmal, zur Bekräftigung: „Ainsi, en 2009, quelque soixante-dix auteurs luxembourgeois ont pu bénéficier de telles mesures de soutien et de promotion à l’étranger.»
Jetzt holen wir einmal tief Luft und stellen uns diese Sensation in extenso vor: 70 schreibende Luxemburger reisen auf Staatskosten mit ihren exzellenten Werken um die Welt! 70 großzügig geförderte Botschafter der einheimischen Schreibkunst! Diese Zahl ist derart gewaltig, dass sie nicht nur Laien, sondern auch Insider ganz einfach vom Hocker haut. Jetzt bleibt eigentlich nur ein einziger Vorwurf an die Kulturministerin übrig: Es ist schlicht unbegreiflich, warum sie diese bahnbrechende Information solange geheim gehalten hat. Sowas hängt man doch sofort an die große Glocke, damit kann man doch in alle Ewigkeit renommieren!
Was hier geschieht, erkennen wir im vollen Umfang erst, wenn wir es hochrechnen auf zwei unserer Nachbarländer. Rein proportional müssten dem Luxemburger Literaturmodell entsprechend in Frankreich 9 170 und in Deutschland 11 620 staatlich geförderte Autoren mit ihren Werken durch die Welt reisen. Da ruft jeder sofort: Unmöglich! Abstrus! Ein Schmarren! Aber genau diese kolossale Subventionslawine schafft unsere Kulturministerin. Wir sind ipso facto die Weltmeister der Literaturförderung. Alle Kritiker sind auf einen Schlag ins Unrecht versetzt, alle Meckerer bekamen ganz kräftig eins auf den ungewaschenen Schnabel. Wir haben uns übrigens schon einen ganzen Sack Asche aufs Haupt gestreut. Weitere Säcke sind beim Aschenhändler angefordert.
Noch weit verwunderlicher ist die Tatsache, dass im nahen und fernen Ausland so viele Literaturkenner unbedingt luxemburgische Autoren einladen möchten. Unsere Literatur ist also tatsächlich weltberühmt. Worüber beschweren wir uns eigentlich? Was gibt es an der Unterstützungsfreudigkeit des Kulturministeriums zu bekritteln? Natürlich wird jetzt wieder eine Handvoll Unverbesserlicher und Unbelehrbarer die alte Leier vom Stapel lassen: 70 Autoren? Alles nur Bluff und Lug und Trug, wie gehabt. Eine fahrlässige Behauptung, mehr nicht. Die übliche Selbstrettungstour der Ministerin.
Diesmal aber werden die blöden Quertreiber rabiat vom Feld geschickt. Um sie endgültig schachmatt zu setzen, braucht die Kulturministerin nur die Namensliste jener 70 Autoren zu veröffentlichen, die sie zum Zweck ihrer Beweisführung erwähnt. Das dürfte für sie ein Kinderspiel sein. Und es hätte einen phantastischen Nebeneffekt. Es könnte durchaus sein, dass zahlreiche betroffene Autoren noch gar nichts wissen von ihrem staatlichen Glück. Dass sie also quasi virtuell mit staatlicher Unterstützung durch internationale Gefilde reisen, ohne je einen Fuß vor die eigene Haustür gesetzt zu haben.
An diesem bedauerlichen Zustand sind sie natürlich selber schuld. Sie hätten sich nur bei der Kulturministerin erkundigen müssen. Und schon hätte man ihnen mitgeteilt, wo sie aus literarischen Gründen zu sein hätten: in Berlin, in Paris, in Ouagadougou, in Port au Pognon und an vielen anderen, literaturträchtigen Orten der Welt. Wer nicht nachfragt, ist eben seines Unglücks Schmied. Wir können nur hoffen, dass da nicht 70 Gespenster auf Reisen waren. Staatlicher Sukkurs hin oder her.