Heute loben wir den „drolligen Poesiezeremonienmeister“ aus Berlin. Er heißt Jean-Paul Jacobs und ist ein wunderbarer Dichter. Dass er sich als „drollig“ bezeichnet, ist eine kokette Untertreibung. Er ist nämlich viel mehr: witzig, verschmitzt, augenzwinkernd, ein 70-jähriger Kindskopf, vernarrt in die literarische Spielerei, ein unverwüstlicher Träumer, der sprachgewaltig mit Sehnsüchten jongliert, vermutlich bis zu seinem Lebensende. Jean-Paul Jacobs hat es schon 1967 nach Berlin verschlagen. Sein frühes Exil beschert ihm gelegentlich heimatliche Wallungen in Form von überspitzter Nostalgie, aber seinem literarischen Schaffen hat die Berliner Verankerung nur gut getan.
Sein neuer Poesieband Die Perücke des Zephyrvogels, soeben im Phi-Verlag erschienen, ist ein Buch für die Insel. Was die Gedichte auszeichnet, ist ihre unfassbare Leichtigkeit. Dichter haben ja oft zu Recht die Reputation, Experten für schwere Kost zu sein. Jeder kennt das Unbehagen, das sich bei sogenannten Dichterlesungen breitmacht. Da stehen oder sitzen rezitierende Lyriker, denen man sofort anhört, dass sie sich unsäglich wichtig nehmen. Entsprechend klingen auch ihre Texte. Pathetisch, bedeutungsschwer, völlig humorfrei, durchsetzt mit nebulösen Metaphern, immer um das eigene Ich kreisend, immer nur die eigene Person im Visier, nichts als kunstvolle Ego-Elogen. Auf diesen Dichtern lastet manchmal auch das gesamte Elend des Universums. Dann setzen sie eine sonore Grabesstimme auf und erregen sich mit theatralischer Betrübnis über die unvollkommene Welt.
Nichts davon bei Jean-Paul Jacobs. Er ist ein Meister der feinen Ironie. Der Ironiebegabte zielt ja immer zunächst auf sich selbst, auf die eigenen Schwächen und Schrullen. Er nimmt sich selber mit Genuss auf den Arm. Er zaubert sich sozusagen weg aus dem Mittelpunkt und nähert sich den Dingen und Zuständen listig von der Peripherie. Dann entstehen Texte, die nicht ständig penetrant auf ihren gloriosen Verfasser verweisen. Bei oberflächlicher Lektüre könnte man denken: Da schreibt einer, der sich selber nicht ernstnimmt und auch das Leben nicht. Dieser Eindruck trügt. Denn der Ironiker relativiert zwar, aber er handelt nicht mit Bagatellen. Das Bedrückende, Enttäuschende, Schmerzhafte verschwindet nicht, wenn man es auf die leichte Art einfängt, es wirkt paradoxerweise sogar noch schärfer.
Jean-Paul Jacobs schreibt Gedichte, die nicht „lustig“ sind im Sinne von „harmlos“, sondern heiter und gelassen, also immer voller Spuren von Melancholie. So entsteht die Mischung: dieser Dichter ist ein Meister des Schwebezustands, seine ganze Poesie ist ein buntes Luftschiff aus mal barocken, mal zutiefst sinnlichen Wortgirlanden. Er ist ein erotischer Flaneur und Epikuräer, einer, der keine Lustbarkeiten auslässt, keinen Rausch verweigert. Insofern sind seine Texte zugleich todtraurig, weil sie immer auch die Vergänglichkeit und Vergeblichkeit mitschwingen lassen. Im Buch Die Perücke des Zephyrvogels defiliert wie beiläufig die gesamte Weltgeschichte, mitsamt den gesamten Katastrophen der menschlichen Gattung. Aber eben nicht aufdringlich oder belehrend, sondern eingewoben in den wundersamen Sprachteppich, mit poetischer Musikalität unterlegt sozusagen. Und immer federnd leicht, voller subtiler Schwingungen.
Genug des Schwärmens. Welche Chancen hat hierzulande ein derart tröstliches Buch? Buchstäblich keine. Das Kulturministerium hat soeben den nationalen Literaturwettbewerb 2011 ausgeschrieben. Verlangt wird eine ganze Gedichtsammlung, ein Lyrikband also. Für die Anstrengung, ein Buch mit Gedichten abzuliefern, stellt das Ministerium dem Gewinner ein Preisgeld von 1 500 Euro in Aussicht. Ja, Sie haben richtig gelesen. Die Summe, unter Frau Modert bisher stets 2 500 Euro für alle Gattungen, was schon von literaturfeindlichem Minimalismus zeugt, wurde dieses Jahr einfach krass herabgesetzt.
Die Ministerin ist offenbar der Ansicht, dass sie die obskuren staatlichen Sparmaßnahmen zuallererst auf die Dichter abwälzen kann. Und zwar mit drastischer Konsequenz. 40 Prozent minus. Was ist schon ein Dichter? Einer, der nicht einmal die Buchseiten ordentlich füllen kann. Da ist noch sehr viel Weiß um die Zeilen. Soll die Ministerin für weißes Buchpapier Preisgelder zahlen? Dichten kann doch jeder. „Wou d’Rief laascht d’Musel dofteg blitt, do gëtt de Kapp vum Saufe midd.“ Solche Texte könnte sogar die Kulturministerin aus dem Ärmel schütteln. Und noch etwas: bei Jean-Paul Jacobs reimt sich ja nichts. Oder doch: es reimt sich nur dann, wenn er lästert über die Reimerei. Und einem solchen Sprachluftikus soll der Staat auf die Sprünge helfen?
Zum Glück hat Jean-Paul Jacobs sein schönes Buch Die Perücke des Zephyrvogels schon veröffentlicht. Er kann daher nicht mehr auf die fatale Idee kommen, der staatlichen Dichterverhöhnungs-Jury seine Texte zu unterbreiten. Sonst hätte er riskiert, den Literaturwettbewerb zu gewinnen. Sein Buch ist zu schade für ein verächtliches Almosen der Kulturministerin.