Also nicht die. Sondern die andern. Die von unsern Geschlechtsgenossinnen, gefiedert, üblicherweise dazu bestimmt, genossen zu werden. Von uns natürlich. Nicht von Füchsen oder sonstigem Raubgetiergesindel, sondern, wie es sich gehört, von unsereiner, dem die gefiederte Genossin gehört. Samt ihrer Produktivkraft. Oder von uns, wie das mehrheitlich der Fall ist, die wir dieses Produkt erstehen. Von uns, den Konsumentinnen. Den Endkonsumentinnen, wie es etwas bedrohlich heißt.
Unser Ei! Einst fing Mensch es sich im Hühnerstall, herum tappend zwischen biederem Gegacker und trägem Gebrüte. Naturkinder soffen es einfach aus, wegen der Kraft. Salmonellen waren noch nicht erfunden. So unprofessionell konnte es nicht weitergehen, aus Ställen wurden Fabriken, aus Bauern Hühnerfarmer und dann Tierkörperproduzenten. Hin und wieder, wenn psychologisch Unvorbereitete auf die federfreien Insassinnen dieser Brutstätten des Todes trafen, gab es einen Aufschrei, und wahrscheinlich hat sich einiges verbessert. Ein paar Hafterleichterungen in den Todesbatterien, die Abstufungen der Qual und deren Benennung, damit sich Endkonsumentin auskennt. Freilufthaltung, Bodenhaltung, manche haben Ausgang.
Aber dann gehöre ich doch zu denen, die alles nicht so genau wissen wollen. Zu den 99 Prozent. Ich schaue mir nie Filme an, in denen junge Hähne, die kaum das Licht der Welt erblickt haben, lebendigen Leibes zermalmt, zerhäckselt, zu irgend etwas verarbeitet werden, die Tierkörperverwertung ist einfallsreich. Ich war noch nie in einem Schlachthaus wie echte Schriftstellerinnen, mir reicht schon die Kultur in Schlachthäusern, das Blut, das aus den Wänden schreit, ist keine Kunst. Ich köpfe hin und wieder ein Frühstücksei, meist ist es nicht das Allerbilligste, mit einer Schale, die schon in der Hand zerbricht. Meist nehme ich eins von einem glücklichen Huhn von einem guten Herrn der Hühner. Bevor der nächste Bio-Report mich wieder aller Gutmensch-Glücklichestier-Illusionen beraubt. Ich köpfe trotzdem.
Welchen Menschen, der den sauren Regen überlebt hat, und das im Regenwald Luxemburg, soll das noch erschüttern? Dass plötzlich wieder so ein Ei auftaucht, dann zwei, dann eine Länderliste, dann die Beschreibungen der Routen, die dieses fragile Symbol des Lebens nimmt, bis es im Bauch eines Scheichs bauchlandet. Das ganze Ritual, mit seinem Vorspiel, dem erstaunlichen Erstaunen, dem Aufschrecken, ein böses Wort mit Chemie, also Tod, das sich heimtückisch im Symbol des Lebens einnistet. Kleinkind, tödlich, der Killer im Osterei. Und in der Mayonnaise? All die Aufzählungen, die Prozente, der übliche Katastrophenklimax den EU-Surviverinnen so gut kennen. Das in allen Ländern beliebte Traute-Heim-Syndrom: Bei uns doch nicht! Bei uns dochdoch! Dann die Abschwächung, die Beschwichtigung. Nur wenig, nur Spürchenelementchen, spürt kein Mensch. Höchstens ein Säugling. Wenn er Dutzende pro Tag verdrückt. Aber welcher Säugling ...?
Wie viel Becquerel bis tot, wie viele Jahre bis Hirnerweichung? War da nicht mal was mit Salat, der durch die Kontinente gurkte, Leichen pflasterten seinen Weg? Die Reflexmaschine rattert, EU-Bürgerin schreckt auf, besonders wenn sie kleine EU-Bürger ihr eigen nennt. Je länger sie schon präsent ist, desto geimpfter ist sie aber, desto mehr ist ihr das Ganze einerl-Ei. Die Medienmaschine produziert ihren Hype, ihr Hypchen, dann ist wieder alles gegessen. Also peanuts, diese Eigeschichte.
Gibt ja nicht mal eine Todesliste.
Die hoch gerüsteten Putztruppen rücken weiter an, die Transporte rollen weiter, die harten, nackten, unvergänglichen Eier schimmern in der Vitrine.