Die kleine Zeitzeugin

Als Jeanne 50 wurde

d'Lëtzebuerger Land du 04.08.2017

Jeanne Moreau wird 50! steht auf dem Emma-Cover, unter ihrem schönen Gesicht im Halbprofil .

O meine Göttin, 50! Die nicht mehr blutjunge Emma- Leserin, die 27-er-Midlife-Crisis schlägt gerade zu, sieht das schöne, offene Antlitz auf dem Cover, es wirkt ein bisschen müde. Die großen, die Erkenntnis heraus fordernden Augen, der großzügige Mund, sinnlich nannte man das, sinnlich gab es noch. Aber ist sie nicht ein bisschen fahl? Sie ist 50! Vergänglichkeit, wittert die nicht mehr blutjunge Leserin.

End of Story, end of Glory! 50, Kap der Hoffnungslosigkeit, wir reden von Frauen, natürlich. Die einzige Abwechslung, die sie erwartet, heißt Wechseljahre. Noch ein bisschen Büro- Schreckschraube spielen oder gute Omi, ein bisschen Gartenarbeit, den Mann ertragen, bis er rücksichtsvoll vor ihr umfällt, sich den Schicksalsschlägen in den Königshäusern widmen. Damen über 50, chansonmurmelt André Heller und gönnt ihnen ein Tässchen Tee. Für die Unkonventionellen die Lustige Witwe, die schrullige, alte Schachtel, Miss Marple, ein paar Rollenbilder gibt es ja, wählen Sie sich eins aus, meine Dramen!

Ganz dramatisch wird es für die, die im Licht der Öffentlichkeit stehen. 50, Kap der Hoffnungslosigkeit! Für sie gibt es kleine Hunde und schwule Walker. Statt Catwalk Katzenjammerwalk, etwas schwankend, mit Dauerkater Richtung Urne. Ein strahlender neuer Himmelskörper ist nämlich gerade neu geboren, in einer perfekt sitzenden irdischen Hülle. Neben ihm versinkt der Star, der die 40 überlebt hat, ich rede natürlich vom weiblichen Star, im gnädigen Dunkel. Nur ein tragisches Ende hievt ihn noch mal auf die Titelseite.

Hildegard Knef wird sich bald unter allgemeiner öffentlicher Anteilnahme ihr Antlitz aufrüsten lassen, die tragische Maske wird als Strafe gegen die Auflehnung empfunden. Erica Jongs trotziger Aufruf gegen die kollektive Panikattacke Keine Angst vor 50! ist noch nicht erschienen. Und all die anderen Muntermacher, die Trösterinnen der Betrübten, die Bestsellerinnen, die bald den Markt überschwemmen werden, sind auch noch nicht da. Wie toll es doch nicht ist, Falten zu haben, und wie frau sich mit ihren Jahresringen schmücken soll. Wo die Frauen drauf kommen, dass 50 ein geiles Alter ist, in jeder Hinsicht. Als hätten sie es nicht immer gewusst. Der erste Stress ist vorbei, es ist Hochsommer, heiß, Frau badet wollüstig im Schweiß, Hitzewallungen durchfluten sie. Das Zeitalter der großen Energie, der Königin. All das geht natürlich nicht ohne neuen Stress ab. Hormonyoga, Anti- und Pro-Agen, die Hexe in sich schüren und die Kaiserin wecken. All das, wofür es in den Buchhandlungen bald eigene Regale geben wird, die „Freche Frauen“ heißen oder „Wild in den Wechsel“. Neue Karriere, neuer Mann, die Eizelle schon kaltgestellt im Eiskasten, für alle Phälle. Relax ist es nicht, aber relax geht auch. Die knochigen Knie von Brigitte Macron dürfen auf der Welt sein, aber Brigitte Macron kann morgen auch in der Jogginghose angeschlurft kommen, sie ist so frei.

Von all dem sind wir noch weit entfernt, wie Jeanne Moreau in der Emma zu ihrem Fünfziger ein Interview gibt. Seit einigen Jahren, erzählt sie, werden ihr nur noch Rollen angeboten, in denen sie Alkoholikerinnen und Selbstmörderinnen spielen soll. Dauernd soll sie leidende Frauen spielen. Verschmähte, schmachtende Frauen, Frauen mit durchbohrten Herzen, Frauen, die mit stieren Blicken vor leeren Weinflaschen lallen. Märtyrerinnen. Opfer. Und dann sagt Jeanne Moreau den schönen Satz, den allerschönsten, den unvergesslichen Sister-Soli-Satz, für den ihr ewige Seligkeit gebührt im Heilige-Schwestern-Himmel: Das wollte ich den Frauen nicht antun. Das wollte sie den Frauen nicht antun. Diesen kranken Tragische-Tote-Frauen-Kult zu nähren. Romy, Piaf, Monroe, Dalida, gebrochene Herzen, angebliche Verfallserscheinungen von von einer voyeuristischen Öffentlichkeit belauertem Frauenfleisch. Der zerrupfte Spatz von Paris, am schönsten singt er, wenn er leidet.

Da spielte sie nicht mit. Im letzten Interview kündigt Jeanne Moreau an, die Himmelsleiter erklimmen zu wollen.

Michèle Thoma
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